20. 2. 2000
Was es nun war. Was es sein könnte.
Der Mann sah bürgerlich aus. Dunkel gekleidet. Kaschmir wahrscheinlich. 35 bis 40 Jahre alt. Samstagnachmittagshopper in der Innenstadt. Samstagnachmittag. 19. Feber. Sein Kind 6 oder 7 Jahre. Der Mann hielt das Kind an den Schultern. Mit beiden Händen. Als müßte er es von diesem Anblick wegdrehen. Und schüttelte es bei jedem seiner Ausrufe. Das Kind stand da. Wurde geschüttelt und sah auf seine Schuhe. Der Mann rief, "Schaut's euch doch an. Wie ihr ausschaut!" Sein Gesicht war wutverzerrt. Sein Gesicht war rot angelaufen und der Mund aufgerissen. Der Mann hatte einen richtig schönen Wutanfall und machte sich mit Verachtung Luft. "Euch will doch e keiner!" zischte er und schüttelte sein Kind. Der kleine Sohn sah auf seine Schuhe.
So schrecklich aufgeregt hatte den Mann eine Gruppe autonomer Frauen. Sie liefen über den Graben. Der Stephansplatz war Frauenschwerpunkt. Die Frauen dieser autonomen Frauengruppe sahen sicherlich nicht so aus, wie der Mann in der dunklen Jacke sich das so wünscht. Daß Frauen aussehen. Aber. Die Entscheidung dieser Frauen, nicht so aussehen zu wollen und nicht so zu sein, wie dieser Mann sich das so vorstellt. Diese Entscheidung konnte der Mann nicht respektieren. Es sollte ihn nicht einmal interessieren. Eigentlich. Wie das weltweit ziviler Grundstandard ist. Er muß es auch nicht mögen. Aber hassen. Das ist etwas ganz anderes. Haß birgt immer die Absicht zu vernichten. Auszulöschen. Austreten. Und das stand diesem Mann ins Gesicht geschrieben. Seinem Sohn brachte er gleich bei. Nicht angepaßte Frauen werden gehaßt. Und das "Euch will doch e keiner!" verliert ganz schnell den sexuellen Unterton und gerät ins Existenzielle.
(S. 19)
© 2002, Böhlau Verlag, Wien, Köln, Weimar.
Publikation mit freundlicher Genehmigung des Verlags.