Zeitschrift für Literatur.
Heft 150.
April 2001. <r> 113 S., brosch.; m. Abb.; DEM 28.-.
ISBN 3-88377-664-5.
Es ist ein überraschend schmaler Band geworden, den Heinz Ludwig Arnolds renommierte Münchner "Zeitschrift für Literatur" als 150. Band Heimito von Doderer widmet. Knapp 90 Seiten, abzüglich des gewohnt sorgfältigen Apparates, ob der Qualität der Beiträge wäre ein Mehr sicher wünschenswert gewesen.
Schon Lutz-W. Wolffs flott geschriebener Eröffnungsbeitrag "Auf dem Weg zur Strudlhofstiege", zieht den Leser förmlich in den Band hinein. Es geht hier nicht nur um die komplexe Entstehungsgeschichte von Doderers wohl populärstem Roman, sondern um das Werden eines Autors entlang der inneren wie äußeren Brüche und Wechselfälle eines Lebens in Zeiten zweier Weltkriege. Roland Kochs essayistische "Variationen über Heimito von Doderer" entbergen eine Fülle von Widerständigem im Werk Doderers, der jahrzehntelang als affirmativer Autor gelesen wurde. Steffen Martus widmet sich dem komplexen "Fall Gütersloh" und Gerald Sommer reflektiert anhand einer kurzen brieflichen Äußerung Doderers zu Ingeborg Bachmann über das Verhältnis der beiden Autoren zueinander bzw. ihre Positionen in der zeitgenössischen Literaturszene. "Geniales Frauenzimmer (25 Jahre!). Gehört in eine Anstalt" - keine Formulierung, die von psychologischem Feingefühl zeugt, aber auch keineswegs ein Zeichen von Geringschätzung für eine jüngere Kollegin und sehr aussagekräftig für das Verhältnis der Geschlechter in den fünfziger Jahren.
Doderers nicht selten rüder Ton ist unter anderem auch Thema in Uwe Japps fulminanter "Mikrologie der Wut". Der Untertitel des Beitrags - "Affektive Aufgipfelungen in Heimito von Doderers Kurzprosa" - zeigt ein besonderes Phänomen der Dodererforschung. Es scheint schwer, sich der Sogwirkung von Doderers charakteristischem Sprachstil zu entziehen. Sekundäre Arbeiten sprechen mitunter so gekonnt im Dodererschen Ton, daß sich die gerne ausführlichen Zitationen nur schwach vom Umgebungstext abheben. Thematisch mit Japps Ansatz verbunden untersucht Christoph Deupmann das Phänomen der Gewalt in Doderers Werken. Nicht nur die auffällige Frequenz von Gewaltakten verblüfft, sondern, so systematisch betrachtet, auch die fast ausnahmslose Komik ihrer Darstellung, und das keineswegs nur in den "Merowingern". Besonders anregend Albert Meiers Untersuchung zu Doderers Drakontophilie. Erfreulich schon, daß man das Wort gelernt hat, und nicht verwunderlich, daß das Spektrum der Dodererschen Drachen viel formenreicher ist als "eine zoologisch verantwortliche Taxonomie das je zulassen dürfte" (S. 70). Im abschließenden Beitrag analysiert Harald Sommer die Darstellung von Sport und Spiel in Doderers Prosa. Auch wenn die vorkommenenden Sportarten viel breiter gestreut sind als die ganz im Zeichen des Tennis stehende "Strudlhofstiege" vermuten läßt, von der Funktion her dienen sportliche Aktivitäten in der Regel der Konkretisierung von Charakteren und Positionierungen im Figurenensemble.
Für den österreichischen Leser beruhigend vielleicht ein Blick in die ausführliche Bibliographie: es gibt sie doch, die österreichischen Doderer-Forscher, auch wenn sie im Band selbst nicht zu Wort kommen. Das ändert natürlich nichts an der Qualität der Beiträge. Vielleicht sind sie aber auch deshalb so lesenswert, weil, so Roland Kochs sehr optimistische These zur Wirksamkeit seines Autors, "lange und aufgeschlossene Doderer-Lektüre die Wahrnehmung verändert, die Erlebnisfähigkeit vergrößert" (S. 25).
Evelyne Polt-Heinzl
12. Juni 2001