Roman.
Graz: Edition Keiper, 2010.
178 S.; brosch.; EUR 17,60.
ISBN 978-3-9502761-2-1.
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Nur wer soweit geht, dass er zuletzt scheitert, hat verstanden, worum's geht.
Jeder Gedanke, der anziehend ist, wirkt magnetisch auf den logischen Sinn, der nichts lieber tut, als in aufregende Behauptungen einzuwandern."
Das Widerliche an der Untreue ist, dass sie heute, um nicht der Impotenz verdächtig zu sein, zur Pflicht geworden ist.
Es ist eine Sammlung philosophischer Gedankensplitter, die den Kern von Alfred Paul Schmidts neuem Roman "Das andere Gestern" bildet.
Die Hirngespinste sind dabei sorgfältig in eine recht einfache Handlung eingebettet: Protagonist Lukas Feistritzer, ein frisch pensionierter Drehbuchschreiber, der seinen Job in einem Geschäftsfeld aufgegeben hat, in dem es "viel Geld gibt, naturnotwenig auch viele Trotteln", versucht seinem Leben ohne Arbeit einen Sinn zu verleihen.
Er findet ihn in der Freizeitbeschäftigung des Nachdenkens – freilich nicht alleine.
Lukas trifft den Taxifahrer und ehemaligen Versicherungsvertreter Franz, den Psychologen und Nebenerwerbsbaggerfahrer Per, die kaufsüchtige Hemma und tauscht sich mit ihnen in der fiktiven Stadt Schenn (die Graz, dem Wohnort Schmidts, deutlich ähnelt) aus. Vier Außenseiter, die an der "Zwangsnormalität" scheitern.
Es sind Episoden aus dem Leben dieser Individualisten, auf die Schmidt fokussiert. Er versucht sich dabei in einem ihm neuen Genre: verbindet Aphorismen mit dem Erzählen. Es ist ein Versuch, die chaotische Welt sprachlich in den Griff zu bekommen. Die Charaktere suchen in Allem und Jedem eine tiefere Bedeutung, wollen Alltägliches mit einem Sinnspruch, einer Pointe versehen – von der Demokratie über die Krankenschwester bis zum Kartenspiel. Meist gelingt es und es entstehen anmutige (manchmal auch herrlich-gespreizte) Sentenzen, die aber keineswegs belehrend-rechthaberisch wirken. Viel eher haben die Dialoge eine Leichtigkeit, die zum Schmunzeln bewegt. Schmidt entwirft damit ein Werk, das man auch als "Gesprächsroman" bezeichnen könnte. Er verleiht den Protagonisten humorvolle Stimmen, anstatt sich auf einen kommentierenden auktorialen Erzähler zu verlassen.
Dass gerade Schmidt den Versuch wagt, philosophische Weisheiten in Lebensgeschichten zu verpacken, ist nicht überraschend, hat er doch 22 Jahre für die Kleine Zeitung Aphorismen geschrieben und dabei gelernt, einen geschärften Blick auf die Welt zu werfen.
Autobiografisches fließt auch direkt in die Handlung ein: Schmidt, Jahrgang 1941, war selbst TV-Krimischreiber. In seinem Brotberuf schrieb er Folgen von Tatort, Eurocops, Stockinger. Nun hat er wieder Zeit zum Schreiben gefunden und legt das 178-Seiten-Buch vor, das längst nicht nur lebensklug klingen soll. Schmidt schafft es, die sprachliche Wichtigtuerei auch mit einem (für ihn typischen) ironischen Augenzwinkern zu versehen.
Emily Walton
15. September 2010
Originalbeitrag
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