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Leseprobe: Thomas Sautner - "Fremdes Land."

"Vielen Dank, Herr Blind, dass Sie uns für ein Gespräch zur Verfügung stehen", sagte die Männerstimme, nicht freundlich, wie es zum Inhalt des Satzes gepasst hätte, sondern wie auswendig gelernt, wie abgelesen.
"Bitte seien Sie so freundlich und nehmen Sie im Sitzen eine aufrechte Körperhaltung ein. Unterlassen Sie jegliches Zwinkern und schieben Sie beide Hände flach in den Schlitz des Gerätes vor Ihnen, die Handflächen mit sanftem Druck nach unten."
Jack atmete durch. Er überlegte, ob er sich weigern sollte, doch dann nahm er eine aufrechte Haltung ein und schob seine Hände in das Gerät.
"Vielen Dank", sagte die Stimme. "Bitte äußern Sie laut und deutlich, dass Sie einverstanden sind zu beginnen."
"Ich bin einverstanden", sagte Jack und räusperte sich. Beinahe hätte ihm die Stimme versagt.
"Herr Blind", fragte die Männerstimme, und wieder wunderte sich Jack, wie nahe sie klang, "weshalb sind Sie gestern, Montag, am 23. März um neun Uhr und zwei Minuten unserer Zeit nicht wie üblich bei der U-Bahn-Station Estate-Bank ausgestiegen, um in Ihr Büro in der Zentrale des Volksbündnisses zu gehen?"
Jack atmete auf. Natürlich! Deshalb wurde er verhört. Natürlich, das war es. Weil er gestern ausnahmsweise weitergefahren war als sonst, und zwar bis zur U-Bahn-Station, in der später die Bombe detonierte. Nun war alles klar, natürlich! Das beruhigte Jack.
"Um ehrlich zu sein", sagte er wie befreit, "bin ich weiter gefahren, weil das Terrorwarnungs-Signal einen Fahrgast ohne P-Card angezeigt hatte. Ich wollte seine Verhaftung miterleben."
"Und warum", hörte Jack die Männerstimme, "sind Sie danach nicht gleich wieder retour gefahren, sondern haben eine U-Bahn ausgelassen und sind erst dann wieder zurück?"
"Das habe ich nicht." Jack versuchte sich zu erinnern. "Nein, das habe ich nicht, ich habe gleich die nächste U-Bahn genommen und bin zurückgefahren."
"Herr Blind, sowohl unseren Kameraaufnahmen zufolge als auch zufolge unserer elektronischen Daten sind Sie um neun Uhr und sechs Minuten in der Station Rathaus aus dem U-Bahn-Waggon gestiegen, haben sich kurz auf die Bank gesetzt, unter deren Sitz später die mit einem Zeitzünder versehene Bombe explodiert ist, haben im Sitzen eine U-Bahn zu Ihrem Arbeitsplatz ausgelassen und sind erst dann in den nächsten Zug gestiegen."
Jack wusste nicht, was er sagen sollte. Es konnte schon sein, dass er sich kurz hingesetzt hatte, um die Aufregung wegen der Terrorwarnung abklingen zu lassen. Und vielleicht war ihm dabei auch entgangen, dass er eine U-Bahn verpasst hatte. Ja, womöglich, das konnte schon sein.
"Ich kann mich nicht mehr genau erinnern."
"Gehören Sie einer terroristischen Organisation an, Jack Blind?"
Ein greller Lichtimpuls fuhr in seine Augen.
"Nein!", schrie Jack.
"Sind Sie Einzeltäter?"
Abermals ein Blitz.
"Nein, um Himmels willen!"
Panische Angst und Aggression kollidierten in ihm, führten zu einer Reaktion, die er nicht geplant hatte. "Verdammt!", brüllte er. "Ich bin der Bürochef von Mike Forell, dem künftigen Regierungschef! Ich bin kein Terrorist! Und ich will sofort raus hier. Verflucht noch einmal! Zeigen Sie mir ein Video, auf dem ich einen Zeitzünder deponiere oder lassen Sie mich hier sofort wieder raus! Sofort!"
"Vielen Dank für Ihre Kooperation, Herr Dr. Jack Blind", sprach die Männerstimme mit unverändert sachlichem Ton.
Die Metalltür des Raums ging auf, und die beiden Securities, die Jack verhaftet hatten, gaben Zeichen zum Aufstehen und Mitkommen.
(S. 39-41)

© 2010 Aufbau Verlag, Berlin.

 

 

 

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