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Leseprobe: Joseph Zoderer - Die Farben der Grausamkeit

Im Grunde war er dankbar für seine Grausamkeiten gegen andere und gegen sich. Sie waren ja blutlos geblieben, auch wenn sie sich umso unerträglicher ausgewirkt haben mochten. Aber sie hatten ihn letztendlich genötigt zu Fragen, die er sich sonst nie gestellt hätte. Diese Fragen hatten sein weißes Schafsfell über Nacht geschwärzt. Schwarz war die Farbe seiner Wahrheit.

Der einzige Handwerker, der noch regelmäßig im Haus arbeitete, war Albin, der Tischler. Keine Wand in der Halle, dem früheren Heulager, keine Ecke sollte freibleiben von Bücherregalen. Albin erwies sich in diesem ihm bis dahin fremden Aufgabenbereich als erstaunlich gewandt. Vom Hallenboden bis unter die holzgetäfelte Decke hatte Albin ein labyrinthisches Netz mit Trageflächen, kleinen oder größeren Schubladen, vom Boden auf aufwachsenden Türkästen getischlert, mit Brettern, die er aus alten Lärchenbohlen zurechtgehobelt hatte.

Niemand ist gestorben, niemand in diesem Moment. Niemand den er kannte, niemand, von dem er gewußt hätte, daß er gestorben ist. Und wenn? Was wenn? Dann atme ich durch, langsam und tief. Und nehme einen Lappen und beginne das erste Fenster zu putzen. Er hatte sein Lebtag noch nie ein Fenster geputzt.

Als Richard und Selma damit begannen, ihre Bücher aus den Stadtkisten zu holen und sie in diese Wandrippen zu stellen, wurde ihr Haus irgendwie unverletztlich. Öfter als während des Hochsommers trübte sich im September der Himmel ein und ein Nieselregen sprühte über das Gras und den angrenzenden Wald, aber die Tage häuften sich, da der Vorhang eines Dauerregens schon am Morgen vor den Schlafzimmerfenstern hing. Doch kam damit kein Gefühl der Verlassenheit oder gar der Ausgrenzung in ihnen auf. Im Gegenteil, ein nie zuvor gekanntes Wohlsein der Abgeschirmtheit, der Eingeschlossenheit (in was? in die Natur? in den Kern der Welt? in das Daheim?) umhüllte sie. Am liebsten hätten sie sich allerdings statt eines Nieselregens einen Strähnenregen gewünscht, ein Kübelschütten, auch wenn so ein Wünschen unvernünftiger war, weil sie ja nicht wissen konnten, ob das Haus nicht mit dem Regen wegschwimmen würde.
Es war kein Hinausgeworfensein aus der Welt, vielmehr ein Hineingeworfenwerden in eine nie zuvor gekannte Wachheit, in eine fast glasklare Sicht auf ihr Sein in der Welt. Dieses Wohnen über dem Tal, mit den Füßen im Gras und mit dem unhörbaren (aber gewußten) Atmen der Tiere rings um das Haus, mit dem Wissen, daß auch Vögel gleichzeitig atmeten mit ihnen. Es war wie ein Hineingeschobenwerden in ein anderes Sehen, ein Aufmerksamkeitslicht, das sie fast blendete: Da ist unser Leben. Sie umarmten sich, schmiegten sich Haut an Haut. In dieser Zeit, in der die Birkenblätter gelb zu Boden segelten und der Kirschbaum eine Woche lang eine feuerrote Haarkrone trug, in dieser Zeit arbeitete der Tischler Albin wortlos an den Bücherstellagen, sozusagen an der Herstellung einer anderen Seele des Hauses, ohne davon zu wissen.

Er hätte auf Nägeln hüpfen können, so ohnmächtig verliebt in den untergehenden Tag fühlte er sich, schreihalsig und doch stumm. Hätte er doch Steine zerkauen können, um Ersatz für ein zielloses Gebot zu haben! Laß mich hinein, hätte er gebetet, laß mich hinein in den Sinn. In welchen Sinn? In den meines lächerlichen Ichs.

(S. 72-75)

© 2011 Haymon Verlag, Innsbruck.

 

 

 

 

 

 

 

 

 

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