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Leseprobe: Franz Schuh - Der Krückenkaktus.

Nun gibt es in Kunstfragen eine weitere, nach meiner Ansicht signifikante Umgangsweise mit der Enttäuschung. Sie steht wie so vieles häufig in der Kronen Zeitung, und ich kann nicht leugnen, dass es billig ist, die Sprache darauf zu bringen, zum Beispiel darauf: „Die unseligen 68er haben ja den Heimathass in die Herzen der nachfolgenden Generationen getragen; sie habe mit ihrem Multikulti-Wahn unser Land überfremdet, weil ja jeder Habenichts und Kriminelle besser ist als ein Einheimischer … Sie haben unsere Sprache zerstört und unseren Gott für Götzen von seinem Thron gestoßen; sie haben über ihre fürchterliche Kunst jede Abartigkeit salonfähig gemacht.“ Ideengeschichtlich ist das eine scharfgemachte Variante der These vom „Verlust der Mitte“ - die Welt ist jetzt aus den Fugen und die, die sie so weit gebracht haben, haben für ihr Zerstörungswerk die Kunst instrumentalisiert. Sehnsucht steckt insofern dahinter - „fern“ ist das richtige Wort bei auratisch aggressiven Gesten –, insofern, als die Zeitdiagnose in Form einer Verfallsgeschichte zum Besten gegeben wird: Es war früher anders, ganz anders, bis an einem in diesem Fall sogar exakt angebbaren Datum das Böse, das den Namen des Datums trägt (die 68er), in diese Welt gekommen ist. Aber früher einmal - und diesem imaginierten Zustand gilt die Sehnsucht – war alles in Ordnung. Der Januskopf der Sehnsucht, ihre rückwärtsgewandte Seite: Auch die Kunst war damals eine Stütze der Ordnung; sie muss also eine Macht gehabt haben, von der nichts geblieben ist als ihr Vermögen, jede Abartigkeit salonfähig zu machen. Das ist eine ungeheure Macht, wenn ich bedenke, von wie vielen Abartigkeiten ich bisher habe glauben müssen, dass sie ganz ohne Kunst salonfähig wurden. Aber die Assoziationsfähigkeit, die die Kunst dem Entsetzlichsten zugesellt, hat keine Grenzen. In einem anderen Leserbrief an die Krone heißt es: „Politiker, die einem Hermann Nitsch ein Museum bauen und diese perversen ‚Kunstwerke‘ in den Himmel loben, züchten ja geradezu so eine kranke Gesellschaft herbei, in der Kinder missbraucht werden können.“

Es genügt nicht, von perversen Kunstwerken zu schreiben, die Kunstwerke müssen in der Zeitung eigens unter Anführungszeichen geschrieben stehen. Das Interesse, das ich an den zitierten Beispielen aus der Zeitung habe, kommt nicht daher, dass ich sie lächerlich fände, sondern daher, dass sie für einen Umgang mit der Enttäuschung in Kunstfragen zeugen, der weder naiv noch kritisch ist. Weder naiv noch kritisch. Die Paranoia hat eine assoziative Kraft oder besser: Sie übt durch das Stiften von Zusammenhängen Gewalt aus; sie ermöglicht es nicht nur, unliebsame Kunst per se als schlechte Kunst, als perverse Nicht-Kunst, zu durchschauen. Der an Perversionen geschulte Durchblick des Paranoikers sieht auch den direkten Zusammenhang zwischen Kunst und den ihm verhassten sozialen Phänomenen. „Es wird herbeigezüchtet“ – eine Formulierung, die unwillkürlich das eigene Verfahren verrät. Kunst – Politik – Kindesmissbrauch, verbunden durch den Begriff „krank“ und den Eigennamen eines Künstlers: Zwei bürgerlich geachtete Institutionen führen über den zitierten Namen zu einer kriminellen Sexualität, die zur Zeit der Abfassung des Leserbriefes in aller Munde war. Solche Assoziationen kann man straflos veröffentlichen, ohne dass der damalige Herr über die Leserbriefe auch nur im geringsten wenigstens mit sozialer Ächtung bedacht worden wäre. Das meine ich nicht als Protest, der sinnlos wäre, sondern als Maxime zur Beschreibung einer Gesellschaft, die seltsamerweise von jenen als „krank“ abgelehnt wird, die ihren Schutz genießen und zum Beispiel jeden Künstler (also nicht bloß das Werk, sondern auch die Person) beschimpfen können, wie sie nur wollen. (…)

Die Sachverhalte (man denke nur an Kunst und Politik) sind allesamt nicht einfach, sie sind kompliziert miteinander verknüpft, komplex – die Anstrengung, das alles zusammenzudenken, hat, besonders für den, der darin nicht geübt ist, etwas Lähmendes; es kostet Vitalität, die man sich mit Machtsprüchen wiedererobern möchte. Es muss doch, so fühlt man, aus diesen Vertracktheiten eine ganz einfache Befreiung geben, eine Befreiung mit einem Schlag. Deshalb ist die Form der Äußerung der Ausbruch (…).

© 2011 Zsolnay Verlag, Wien.

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

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