„Ich halte es weder für blasphemisch noch für ungehörig oder anstößig, die Leidensgeschichte Christi mit der Passion irgendeines Menschen oder eben mit meiner eigenen Lebensgeschichte zu vergleichen und in Beziehung zu setzen, gerade jetzt nicht, wo ich den Auftrag bekommen habe, Die Sieben letzten Worte unseres Erlösers am Kreuze von Joseph Haydn neu zu texten. Wozu sonst sollte die Passion Christi denn da sein? Jeder hat seinen eigenen Countdown am Kruzifix. […] Wenn sich Haydn nicht an vorgeschriebene Grenzen halten will und kann, warum denn ich? Ich bin kein Bischof und ich werde mich vor keinem Altar niederwerfen. Im Gegenteil glaube ich, dass diese seit zweitausend Jahren ohne Unterlass erzählte und also mit Abstand berühmteste Leidensgeschichte der Weltliteratur überhaupt nur den Sinn hat, dass man die Milliarden und Abermilliarden nachfolgenden Leidensgeschichten an ihr misst, ob sie größer oder kleiner, mehr oder weniger dramatisch, missionarisch oder privat, spektakulär oder unsichtbar waren oder sind.“
(S.194, 195)
© 2011 Picus Verlag, Wien