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Leseprobe: Gerhard Amanshauser - Es wäre schön, kein Schriftsteller zu sein. Tagebücher.

 

1976 Am 1. 1. fuhren wir nach Goldegg, wo ich mich, ein wenig zur Erinnerung an eine sportliche Jugend, als Eisläufer strapazierte. Das Gasthaus zum Bierführer, wo wir als Kinder zur Sommerfrische wohnten, hat eine erstaunlich gute Küche, vielleicht um für die Renovierung zu entschädigen, die aus dem alten Gasthof ein monströses Fremdenverkehrsprodukt gemacht hat.
Das Merkwürdige: einen sehr vertrauten Ort nach langen Jahren wiederzusehen. Man weiß: Ich war hier, erinnert sich an Details, doch diese fügen sich nicht recht zu einem Ganzen jener Art zusammen, wie man sie dem Ich zuspricht. Einer, der sich als Ich bezeichnete, war an diesem Ort, doch es ist nicht das heutige Ich; das damalige aber lässt sich nur in vagen Umrissen erkennen.

Das Perihelium bringt scheußliches Wetter, das sich schließlich zu einem Orkan auswächst.

Am 5. 1. hörte ich im Radio eine Schilderung der Liebe [Max] Frischs zu Ingeborg Bachmann aus „Montauk“. Eine lügnerisch-gefühlshafte Verschleierung und Verbrämung. Schließlich ist es unmöglich, dass er sie nicht besser kannte. Ich traf sie zweimal, das erste Mal bei Radio Rot-Weiß-Rot in Wien, wo sie damals angestellt war. Ihre Dichtung erschien mir ein bedauerliches Gemisch von echten und verfälschten Versen. Frisch und seine betulichen Affären – oder vielmehr seine vagen, qualligen Bemerkungen, seine falsche Lapidarität, modelapidar. Wie ein Jüngling, der mit „Pokerface“ eine Bar betritt.

Am 19. 1. lernte ich nach einer Lesung den „Poeten“ Urs Widmer kennen, der von Christoph Derschau begleitet war. Nach Artmann, der die Einleitung hielt, zeigt sich der Poet tautologisch in seiner poetischen Existenz; diese wiederum ist, diesmal nach Amanshauser, so etwas wie ein Weißer Zwerg, Überrest eines Sternes aus dem 19. Jahrhundert. Weiße Zwerge unter sich.

Am 25. 1. erschien nach ekelhaftem Sturm- und Regenwetter endlich wieder die Sonne, deren Fortschritte ich auf dem Boden meines Zimmers registrierte.

Am 28. 1. hielt ich eine unerfreuliche Lesung in Braunau am Inn. Ich wohnte bei der Familie Plank. Er ein Maler schrecklicher Ölbilder, doch halbwegs akzeptabler Holzschnitte, sie, Erna, eine alte Bekannte, die seinerzeit (1949) mit uns im Harvard-Camp in Yorkshire war, von uns „Kameradin“ genannt, da es ihr, als ehemaliger Hitlerjugendführerin, an jeglicher Koketterie gebrach.

Am 7. 2. fuhr ich mit den Wallners nach Kufstein (wo meine Großmutter einst lebte), um bei den Neo-Primitiven zu lesen. Da auch ein „berühmter“ Jazz-Musiker (Art Farmer) auftrat, der übrigens erbärmlich am Flügelhorn blies, trugen sie ihre Bärte in großer Zahl herbei. Ein Prophet müsste man sein. Das originelle Gasthaus Auracher-Löchl.

23. 2. Mit Schafflers und Artmann nach Wien zur Lesung in der Alten Schmiede. Dort [Andreas] Okopenko, [Friederike] Mayröcker, [Otto] Kreiner, [Ernst] Nowak. Unangenehme Atmosphäre. Nulllität der Literatur.
Im Atelier-Café in der Windmühlgasse, wo der betrunkene [Hermann] Schürrer mit Windbluse und vorhängendem Bauch sich herumtreibt. Auch der „Astrologe“ mit den Haarzotteln und dem verdorrten Geisteszustand.

Am 24. 2. Besuch bei H. und dessen Mutter. Abends eine Lesung [Otto] Kreiners („Fräulein, soll ich in Ihrem Schoße liegen?“) und Artmanns. Der Letztere als Praterausrufe seiner eigenen Lebensillusion. Gedränge, Hitze. Artmann: „Guten Abend das Türkische Bad!“

(S. 67-69)

 

© 2012 Residenz Verlag, St. Pölten - Wien.

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

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