Namenlos, von den Salven der Waffen-SS durcheinandergewürfelt, versuchen einige der Toten verzweifelt, dem Markus, der konzentriert und bis in die tiefsten Tiefen seiner Seele verschreckt weiter fotografiert, ihre Namen zuzurufen. Ilona Weinberger, zischt es leise, nicht lauter als ein Windhauch, der nicht einmal einen Grashalm an der Böschung des Grabens zu bewegen vermag. Anna Ullmann – nicht mehr als das Geräusch, das ein Kieselstein macht, wenn er von einem anderen Kieselstein rollt. Hermine Berger – nicht lauter als der Flügelschlag eines Schmetterlings. Eva, Judit und Rosa Singer – der Kopf eines Gänseblümchens, der zur Nacht nach unten kippt und gegen seinen Stängel schlägt. Franziska Schwalb – nicht lauter, als ein Eiszapfen wächst. Ilona, Katalin, Eva, Agnes, Judit und Maria Kertész – nichts als ein Stummfilm in einem leeren Kinosaal. Rózsi und Blanka Mandel – nicht lauter als ein Augenaufschlag. Lili Stroch – ein angestrengter, aber stummer Fluch mit geballter Faust im Sack. Alle Anstrengungen sind letztlich vergebens, die Schreie bleiben unhörbar für den Fotografen, für die Lebenden. Der Lauf der Welt kehrt sich nicht um.
Mit klopfendem Herzen eilt Klemens Markus weiter, um die anderen Tatorte zu finden und zu fotografieren, soweit eben seine Kraft und sein Film reichen. Den alten Bauern, der ihn misstrauisch von einem Wiesenrain aus beäugt, bemerkt er dabei nicht.
(S. 145)
© 2012 Residenz Verlag, St. Pölten-Wien.