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Rezension vom 25.09.2015 (3)
Der Roman beginnt ziemlich spannend und zwar mit einer tragischen Episode aus dem Leben der Protagonistin Nadine. Dieses Erlebnis ist sozusagen der Ausgangspunkt, denn es beeinflusst Nadines künftiges Leben und auch ihre Berufswahl: Sie studiert Anthropologie und ist später für das Institut an der Universität Leipzig tätig. Parallel dazu wird die Geschichte der Amalie Dietrich erzählt, einer Botanikerin und Wissenschaftlerin, die zusammen mit ihrem Mann und ihrer Tochter Mitte des 19. Jahrhunderts im sächsischen Siebenlehn lebt.
Beide Handlungsstränge sind prinzipiell spannend und der Wechsel zwischen ihnen flüssig und klar, sodass man beim Lesen nicht durcheinander kommt. Allerdings war mir Nadines Geschichte bis auf das erste Kapitel etwas zu oberflächlich geschrieben: Man erfährt nicht viel über sie, ihre Tochter Alina und ihren Ex-Freund Thomas und so fehlt es den Figuren leider etwas an Tiefe. Das fand ich beim Lesen sehr schade, denn eigentlich hat mir die Handlung im Jahr 2009 besser gefallen als die Geschichte von Amalie. Diese ist wiederum sehr ausführlich und detailreich, vor allem was die Arbeit von Amalie und ihrem Mann Wilhelm, die Botanik, und ihre spätere Australienreise betrifft. Man erhält einen guten und durchaus interessanten Einblick in die Geschichte der Botanik und der Anthropologie und lernt Amalie als nicht von Anfang an starke, aber sehr fleißige, kluge und durchsetzungsfähige Frau kennen. Dabei ist sie einem nicht immer sympathisch, denn sie lässt sich von Wilhelm, einem ich-bezogenen und oberflächlichem Pascha, ausnutzen und stellt außerdem die Botanik über die Bedürfnisse und Wünsche ihrer eigenen Tochter Charitas.
Amalies Geschichte war stellenweise wirklich interessant, vor allem, als sie dann in Australien ist. Hier haben mir die Beschreibungen der Umgebung sehr gut gefallen, die detailreiche Auseinandersetzung mit Amalies Arbeit war mir aber zu viel des Guten und kam mir ziemlich langatmig vor. Hinzu kommt, dass einige Teile der Geschichte in Brief-Form erzählt werden, was nicht so ganz meinen Geschmack trifft. Man hatte teilweise über mehrere Seiten das Gefühl, dass endlich einmal etwas Spannendes oder Unvorgesehenes passieren muss, doch Dutton konzentriert sich hier hauptsählich auf die Selbstbeweihräucherung von Amalie und die Gefühle ihrer Tochter. Da hätte ich mir mehr erhofft, denn die Geschichte im Jahr 2009 entwickelt sich währenddessen zu einem Thriller: Es kommt ein brutaler Mörder ins Spiel, der höchstwahrscheinlich Nadines Tochter in seiner Gewalt hat. Und so habe ich oftmals aufgeseufzt, wenn wieder ein Cliffhanger kam und es auf der nächsten Seite mit Amalie weiterging. Das hat für mich einfach die Spannung unterbrochen. Ich denke, dass eine eher biografische Geschichte und ein Thriller nicht sonderlich gut zusammenpassen.
Mir hat zwar der 2009-Teil insgesamt besser gefallen, allerdings kam mir dieser - wie schon gesagt - etwas oberflächlich vor. Die Ideen (Nadines Verlust, die Rückgabe der Aborigine-Knochen, die Entführung von Alina) sind durchaus gut, hätten für meinen Geschmack aber besser ausgearbeitet werden können. Mir ging alles viel zu schnell, Probleme wurden zu schnell gelöst und Überraschungsmomente waren eher selten. Gerade das Ende des Romans hat mich sehr enttäuscht: Sowohl bei Amalie als auch bei Nadine klärt sich einfach alles viel zu schnell - es gibt zu vieles, das irgendwie nicht thematisiert beziehungsweise nur angerissen wird. Auch werden die Geschichten zwar parallel erzählt, haben aber direkt nichts miteinander zu tun und so wartete ich leider vergeblich auf eine Verbindung zwischen Nadine und Amalie und das große Geheimnis, mit dem ich angesichts des Titels gerechnet habe.
Duttons flüssiger und sehr angenehmer Schreibstil war an manchen langatmigen Stellen der Grund dafür, dass sich der Roman wirklich gut gelesen hat, trotzdem die Spannung teilweise nicht da war. Ich denke, aufgrund der vielen Bücher von Autorinnen wie Lucinda Riley, Kate Morton, Jojo Moyes und Annette Dutton selbst erwartet man einfach, dass zwei parallel erzählte Handlungsstränge spätestens am Ende irgendwie zusammenlaufen und ein lange gehütetes Geheimnis aufgedeckt wird. Das ist vermutlich der Hauptgrund, wieso ich am Ende doch ein wenig enttäuscht war. Ich könnte mir vorstellen, dass Annette Dutton einfach gerne die zweifelsohne faszinierende und erstaunliche Geschichte der Amalie Dietrich (die Botanikern aus Sachsen gab es wirklich) und der frühen Forschungen in Australien erzählen wollte, ihr es aber leider nicht ganz gelang, sie in einen spannenden und zusammenhängenden Kontext einzubetten.
Aber zum Schluss noch etwas, was mir sehr gefallen hat: Die Schauplätze. Sachsen, Leipzig, das Salzkammergut und Salzburger Land sind mir ja sehr vertraut beziehungsweise meine Heimat und darüber liest man ja immer gern. :) Unübertroffen ist natürlich das unglaublich weite und geheimnisvolle Australien, das man sich nach Duttons Beschreibungen nur zu gut vorstellen kann. Es hat das Fernweh in mir geweckt und mich weiter in den Wunsch bestärkt, dass ich irgendwann mal gerne nach Australien möchte.
Fazit:
Auf Annette Duttons neuen Roman Das Geheimnis jenes Tages habe ich mich sehr gefreut - das Problem war leider, dass ich mit ganz bestimmten Erwartungen an das Buch herangegangen bin und so vor allem gegen Ende der Geschichte enttäuscht wurde. Während mir die Charaktere der 2009er-Handlung zu oberflächlich waren, die Geschichte super spannend, aber etwas zu konstruiert; wurden mir Amalies Leben und Schaffen etwas zu sehr ausgeweitet. Mir fehlten Zusammenhänge sowie Spannungs- und Überraschungsmomente. Die Geschichte hatte großes Potenzial, das vielleicht nicht völlig ausgeschöpft wurde, und auch der Genremix war meinen Geschmack etwas viel. Aber wie immer haben mich Annette Duttons wunderbar flüssiger und locker leichter Schreibstil und der traumhafte Schauplatz Australien begeistert. Ich habe also nach dem Lesen eine etwas zwiegespaltene Meinung, würde das Buch aber trotzdem empfehlen. Bis auf einige Episoden hat das Lesen wirklich großen Spaß gemacht.
Rezension vom 21.09.2015 (3)
Die Tochter des Malers von Gloria Goldreich stand schon auf meiner Wunschliste, als mich der Aufbau Verlag fragte, ob ich den Roman nicht vorab lesen und anschließend rezensieren wolle. Natürlich habe ich zugesagt und möchte mich an dieser Stelle ganz herzlich beim Verlag für das Rezensionsexemplar bedanken, das mir wirklich ein paar traumhafte Lesestunden beschert hat.
Cover und Klappentext haben mich an Anne Girards Roman Madame Picassoerinnert, den ich ebenfalls vor nicht allzu langer Zeit gelesen habe. Schon nach den ersten Seite habe ich jedoch gemerkt, dass die beiden Geschichten sich grundlegend voneinander unterscheiden. Während in Madame Picasso der Fokus auf dem Liebhaber Picasso und seiner Liebe zur Eva liegt, zeichnet Goldreichs Roman ein eher unsympathisches Bild von Marc Chagall und porträtiert die Beziehung zwischen ihm und seiner Tochter Ida.
In die Geschichte selbst habe ich mich gut eingefunden und zunächst fand ich die Titelheldin, Ida Chagall, auch sehr sympathisch. Sie hat mir imponiert, denn sie ist nicht nur unglaublich schön und anmutig, sondern vor allem stark, tough und durchsetzungsfähig. Diese Charakterzüge haben allerdings eine Grenze und die heißt Marc Chagall. Ida stellt seine Bedürfnisse und Wünsche von Anfang an über ihre eigenen und baut ihr Leben praktisch um ihn herum. Sie ist nicht unbedingt ein verwöhntes Vatertöchterchen, sondern steht eher in einem ziemlich abstrusen Abhängigkeitsverhältnis zu ihm. Sie braucht es, sich um Marc selbst und seine Belange zu kümmern, so wie er das voraussetzt und gleichzeitig ebenso abhängig von seiner Tochter ist.
Manchmal fiel mir das Lesen richtiggehend schwer, denn Marc Chargall ist ein so unangenehmer, narzistischer und arroganter Zeitgenosse, dass man Ida am liebsten schütteln und ihr zurufen möchte: Lass den alten Sack und kümmer dich endlich mal um dich! Mit seiner Arroganz und Selbstverliebtheit bringt der große Marc Chagall seine Familie immer wieder in Gefahr und riskiert sogar, von den Nazis deportiert und ermordet zu werden, nur um sein geliebtes Paris nicht verlassen zu müssen. Ida ist diejenige, die sich um alles kümmert, die kämpft und dafür ihr eigenes Glück aufs Spiel setzt. Das ist sehr bewundernswert, obgleich ihre Obszession für ihren berühmten Vater desto unverständlicher und krankhafter wird, je weiter die Geschichte fortschreitet.
Anders als der Klappentext vermuten lässt, ist das zentrale Thema in Die Tochter des Malers nicht die Liebe zwischen Ida und Michel. Die Geschichte beschäftigt sich vielmehr vor allem mit der Beziehung zwischen ihr und ihrem Vater Marc von ihrem 18. Lebensjahr an bis ins mittlere Alter. Sie begleitet die Familie Chagall von Paris nach Amerika und wieder zurück und zeichnet dabei auch das faszinierende Bild einer Epoche von großen Künstlern. Bei all dem hat mir allerdings der Fokus gefehlt, was auch daran liegt, dass Goldreich sich nicht allein auf Idas Perspektive beschränkt, sondern auch die ihres Vaters, ihrer Mutter, die von Michel und anderen Charakteren mit einbezieht. Das ist einerseits interessant, da man so auch Einblick in die Gefühle und Gedanken der anderen Personen erhält, hat allerdings auch zur Folge, dass man sich als Leser nicht so sehr mit Ida als Protagonistin identifizieren kann, wie ich es mir gewünscht hätte.
Wie bereits gesagt, konzentriert sich Goldreich auf das Leben der Familie Chagall von 1935 an bis in die 1950er Jahre hinein. Dabei schweift sie oft ab, nimmt Bezug auf das Zeitgeschehen und geht auch auf andere Familien und Belange ein, die für die Geschichte nicht wirklich von Bedeutung sind. Das hat mich manchmal gestört und dafür gesorgt, dass mir der Roman etwas zu langatmig vorkam. An anderer Stelle wiederum fand ich die detailreichen Beschreibungen sehr gelungen. Besonders gut gefallen haben mir außerdem das Setting im künstlerischen Paris und modernen New York, der angenehme Erzählstil und die Darstellung von Marc Chagall. Ich finde es sehr sympathisch, dass Goldreich seine Person nicht romantisiert hat, sondern ihn als den Menschen abgebildet hat, der er war - genial, aber auch kompliziert und selbstverliebt. Bisweilen hat man Mitleid mit Ida, die zwar selbstbewusst und stark ist, zeit ihres Lebens jedoch in Konkurrenz mit der von ihrem Vater so geliebten Kunst steht und ständig um seine Aufmerksamkeit buhlt.
Insgesamt ist die Geschichte von Ida und Marc Chagall wirklich interessant zu lesen, da sie den Werdegang eines jüdischen Künstlers abbildet, der vielen Widrigkeiten im Leben trotzen musste und dadurch gelernt hat, sich auf seine Tochter zu verlassen. Marc Chagalls Leben war ein Leben der Schönheit - diese stand für ihn immer an oberster Stelle, während Ida sich merklich mehr gewünscht hätte. Schockiert hat mich manchmal, dass seine Tochter und überhaupt seine Familie ihm so gleichgültig zu sein schienen, während seine Kunst ihm alles bedeutete. Marc Chagall ist nicht unbedingt jemand, den ich gerne getroffen hätte und hätte ich mir trotz allem Unverständnis ein erfüllteres Leben für Ida gewünscht, für die man am Ende vor allem Mitleid empfindet.
Rezension vom 15.09.2015 (4)
Auf die Gefahr hin, dass diesen Post der Länge wegen niemand lesen wird, muss die Rezension zu Afterworlds von Scott Westerfeld etwas ausführlicher ausfallen als üblich :D Das liegt einfach daran, dass der Klappentext hält, was er verspricht:Afterworlds ist zwei Romane in einem. Klar, dass es da viel zu erzählen gibt.
Der Roman hat - wie erwartet - eine recht komplexe Handlung, denn er erzählt zwei Geschichten, die im Prinzip voneinander unabhängig sind. In der einen ist die 17-jährige Lizzy die Protagonistin, die nach einer Nahtoderfahrung zum Psychopomp wird und fortan zwischen der realen Welt und der Anderwelt (dem Reich der Toten) wandeln kann. Der zweite Handlungsstrang umfasst die Geschichte von Darcy, der 18-jährigen Autorin von "Afterworlds" - dem Roman, in dem Lizzys Geschichte erzählt wird. Westerfelds Roman ist also auf der einen Seite Fantasy und auf der anderen Seite ein Gegenwartsroman bzw. ein typisches Jugendbuch. Für mich persönlich war diese Mischung perfekt, denn ich bin ja kein großer Fantasy-Leser und da sich die beiden Geschichten Kapitel für Kapitel abwechseln, fiel es mir leichter, den Fantasy-Part zu lesen.
Lizzys Geschichte
Westerfelds Roman beginnt mit Lizzys Geschichte, die aus der Ich-Perspektive von der Protagonistin selbst erzählt wird. Die Handlung setzt ziemlich abrupt ein und zwar mit dem Terroranschlag auf dem Flughafen von Dallas, dessen einzige Überlebende Lizzy ist. Während des Anschlags wechselt sie zum ersten Mal in die Totenwelt über und trifft dort direkt auf Yamaraj, der ihr erklärt, dass sie ein sogenannter Schnitter oder auch Psychopomp ist, der zwischen den Welten wandeln kann. Diese Thematik fand ich schon sehr interessant, allerdings ging mir alles zu schnell. Zu Beginn und auch im weiteren Verlauf der Handlung war die Anderwelt (Welt der Toten) für mich nicht wirklich greifbar, es gab zu vieles, was ich mir so gar nicht vorstellen konnte, zum Beispiel wo genau der Körper bleibt, wenn der Geist in die Anderwelt überwechselt.
Ein Problem hatte ich auch mit Lizzy selbst. Für mein Empfinden steckt sie den Terroranschlag, den sie nur knapp überlebt hat und bei dem etliche Menschen auf brutale Weise starben, viel zu leicht weg. Sie wirkt nicht traumatisiert oder wenigstens erschrocken, sondern ist eigentlich nur damit beschäftigt, sich mit der Anderwelt auseinandersetzen, Ausschau nach Yamaraj, in den sie sich wirklich ruckartig verliebt hat, zu halten und lebt schließlich fast nur noch in der Anderwelt. Ihre Beziehungen zu realen Menschen (wie ihrer Mutter oder ihrer besten Freundin) erscheinen nur oberflächlich und unwichtig, während Yamaraj und das Geistermädchen Mindy ihr zunehmend mehr bedeuten. Das gehört zwar einerseits natürlich zum Fantastischen der Geschichte, macht einem Lizzy aber gleichzeitig weniger greifbar. Sie wirkt nicht wie ein realer Mensch, da man auch emotional irgendwie nicht an sie herankommt.
Insgesamt waren mir die Figuren im "Afterworlds"-Teil (Lizzy, Yamaraj, seine Schwester Yami, Lizzys Mutter und ihre Freundin Jamie) zu oberflächlich und platt. Einzig das Geistermädchen Mindy macht im Laufe der Geschichte eine Entwicklung durch und entpuppt sich als unerwartet vielschichtiger Geist. Überraschenderweise stellt die fiktive Autorin Darcy kurz vor Veröffentlichung ihres Buches selbst fest, dass sie die Charaktere mehr hätte ausbauen sollen. Hat Westerfeld also, dessen Protagonisten in anderen Romanen wirklich komplex sind, an dieser Stelle wieder den Eindruck erzeugen wollen, eine unerfahrene Debütautorin hätte Lizzys Geschichte geschrieben? Wenn ja, dann ist ihm das wirklich gut gelungen.
Die Handlung an sich war wie gesagt recht interessant, das Thema neu und relativ unverbraucht. Es war sehr erfrischend, mal nicht von Fabelwesen, Vampiren oder Zauberstäben lesen zu müssen. Ein weiterer Pluspunkt für mich: Die Anderwelt geht in die reale Welt über und vermischt sich mit ihr - sie existiert sozusagen auf einer anderen Ebene, was ich bei Fantasy immer sehr mag, da Wirklichkeit und Fantasie koexistieren, wie das ja auch tatsächlich der Fall ist. Der Spannungsbogen war für mich allerdings eher eine Spannungsachterbahn, es ging auf und ab und manchmal war mir die Handlung etwas zu holprig und unschlüssig - ganz anders, als ich es von Westerfeld eigentlich gewohnt bin. Aber, da ich ja weiß, dass er ein brillanter Schriftsteller mit einem hervorragenden Schreibstil ist, kann ich mir durchaus vorstellen, dass er Lizzys Geschichte bewusst etwas holprig und ungeschickt gestaltet hat, denn schließlich soll die ja aus der Feder der 18-jährigen und unerfahrenen Jungautorin Darcy stammen. In dem Fall wäre es wirklich ein außerordentlich gelungener, schriftstellerischer Kniff von Westerfeld, aber dazu im nächsten Abschnitt mehr.
Darcys Geschichte
Direkt nach dem ersten Kapitel, in dem Lizzys Geschichte beginnt, wird im nächsten Kapitel Darcy eingeführt und der Leser erfährt, dass es sich bei ihr um die junge Autorin des Fantasy-Romans "Afterworlds" handelt - ein fiktiver Roman, der genauso heißt wie Westerfelds realer Roman. Damit beginnt sein Spiel mit dem Leser, dass er in den Kapiteln über Darcy auf glänzende Weise ausbaut. Das Besondere daran ist, dass von Anfang an nicht suggeriert wird, dass Lizzys Geschichte wahr ist - der Leser liest in dem Bewusstsein, dass sie von jemandem verfasst wurde und so rückt Westerfeld die Autorfigur in Gestalt der fiktiven Darcy in den Mittelpunkt und setzt sich ganz offen mit der Autorfiktion und mit bestehenden Autorenkonzepten auseinander.
Darcy ist eine junge Inderin aus Philadelphia, die ihren Erstlingsroman für eine extrem hohe Summe verkauft hat und daraufhin nach New York zieht, um die Fortsetzung zu schreiben. Sie war für mich direkt greifbarer als Lizzy - sie ist jung, zielstrebig und muss sich mit Selbstzweifeln und Ängsten herumschlagen, die sicherlich jeden Debütautor plagen. Gleichzeitig ist sie noch recht unsicher und blauäuig, was zu ihrem Alter passt und womit sich der junge Leser problemlos identifizieren kann. Während Darcy in New York ihren Roman überarbeitet und sich Gedanken über die Fortsetzung macht, findet sie außerdem zu sich selbst und lernt ihre erste große Liebe kennen - ihre junge, ebenfalls debütierende Schriftsteller-Kollegin Imogen. Dabei entspinnt sich eine völlig andere Liebesgeschichte, als man es aus anderen Jugendbüchern gewohnt ist und das liegt nicht nur daran, dass es sich um eine gleichgeschlechtliche Beziehung handelt, sondern hauptsächlich daran, dass Darcy und Imogen geistig absolut auf einer Wellenlänge sind und sich schon bald gegenseitig brauchen, um schreiben zu können. Im Vordergrund steht also nicht die körperliche Beziehung, sondern vielmehr die intellektuelle.
Die Darcy-Handlung war für mich spannender als der "Afterworlds"-Teil, weil sie einen faszinierenden Einblick in das Leben eines Jungautoren gewährt. Lizzys Geschichte habe ich vor allem deswegen trotzdem gerne gelesen, weil ich neugierig darauf war, wie Darcy Details aus ihrem Leben und ihre Ideen umsetzt und verarbeitet. Normalerweise liest man als Leser ja nur die endgültige Fassung eines Romans, mithilfe der fiktiven Autorin Darcy hat man in Afterworlds jedoch die Möglichkeit, am Schreib- und Bearbeitungsprozess teilzuhaben und mitzuverfolgen, was Darcy an ihrer Geschichte noch ändert, was ihr selbst auffällt usw. Dabei stellt sich natürlich die Frage, inwieweit dieser Schreibprozess fingiert ist. Es wäre ja durchaus denkbar, dass Westerfeld Darcy Dinge referieren lässt, die ihm selbst während des Schreibens durch den Kopf gingen. Das weiß man jedoch natürlich nicht und so bleibt es dem Leser überlassen, selbst seine Schlüsse zu ziehen.
Insgesamt zeigt sich hier eine außergewöhnliche und experimentelle Vorgehensweise Westerfelds. Er zeigt uns, dass alles, was Lizzy zustößt und was sie erlebt, in der Entscheidungsgewalt von Darcy liegt, dass ihre Änderungen, Ideen und Wünsche in den Handlungsverlauf des fiktiven "Afterworlds" eingreifen. Damit rückt Westerfeld die Autorfigur in den Mittelpunkt und widersetzt sich dabei auch bestehenden Literaturtheorien, nach denen der Autor "tot" ist und für die Rezeption des Textes keine Rolle spielt. Westerfeld bildet sozusagen den aktiven Schreibprozess ab und demonstriert uns gleichzeitig das Ergebnis, nämlich die Geschichte von Lizzy. Anschließend setzen wir als Leser uns nicht nur mit Lizzy auseinander, sondern auch mit dem handwerklichen Geschick und dem Vorstellungsvermögen derjenigen, die sie erschaffen hat - Darcy - und somit mit dem Autor selbst. Dabei darf man aber nicht vergessen, dass es sich bei Darcy ebenfalls um eine fiktive Person handelt - sie ist für Westerfeld der hypothetische Autor, das Bindeglied zwischen der Lizzy-Geschichte und dem Leser. Das mag alles ziemlich konfus und verwirrend klingen (und das ist es an manchen Stellen auch), ist aber vor allem unglaublich interessant und spannend, vor allem wenn man sich für das Schreiben begeistert.
Gegen Ende des Romans dämmerte mir, dass weder die Geschichte von Lizzy noch die von Darcy bei Westerfeld im Fokus steht. Von beiden Handlungen haben mir auch die Enden nicht wirklich gefallen, aber auch darum scheint es nicht zu gehen. Es geht vielmehr darum, wie das geschriebene Wort und die Realität zusammenhängen. So könnte man das Buch als die Anderwelt betrachten und den Autor als Psychopomp, der dazu fähig ist, zwischen der Wirklichkeit und der fiktiven Welt seiner Worte hin und her zu wechseln. Es geht Westerfeld also letztlich um die Beziehung des Autors zu seinem schriftstellerischen Werk und wenn man das als großes Überthema seines Romans Afterworlds betrachtet, dann ist dieser wirklich ein Meisterwerk und als großes Ganzes unheimlich authentisch und überzeugend.
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