"'1977' ist ein aufregendes Stück Literatur, schnell und schmerzhaft erzählt." (Focus)
"Hochspannung vom wohl härtesten Krimiautor der Gegenwart." (TV Movie)
"David Peace schreibt den modernen Kriminalroman konsequent zu Ende." (Welt am Sonntag)
Über den Autor und weitere Mitwirkende
David Peace wurde 1967 im Westen Yorkshires geboren. Nach einem Studium an der Technischen Hochschule von Manchester arbeitete er jahrelang als Englischlehrer in Istanbul. Danach lebt er mit seiner Familie viele Jahre in Tokio. Heute lebt David Peace wieder in Yorkshire. Peace wurde u. a. mit dem Grand Prix du Roman Noir ausgezeichnet und in die renommierte Granta's List of Best Young British Novelists aufgenommen. Für seine Romane 1974 und Tokio im Jahr null wurde David Peace mit dem Deutschen Krimipreis ausgezeichnet.
Leseprobe. Abdruck erfolgt mit freundlicher Genehmigung der Rechteinhaber. Alle Rechte vorbehalten.
Denn wenn der Gerechte sich abkehrt von seiner Gerechtigkeit und tut unrecht, so muß er sterben; um seines Unrechts willen, das er getan hat, muß er sterben.
Wenn sich dagegen der Ungerechte abkehrt von seiner Ungerechtigkeit, die er getan hat, und übt nun Recht und Gerechtigkeit, dann wird sein Leben erhalten.
Hesekiel 18, 26–27
Erneute Vergebung
Dienstag, 24. Dezember 1974:
Die Stufen des Strafford hinunter, zur Tür raus, Blaulichter am schwarzen Himmel, Sirenen in der Luft.
Verdammt, verdammt, verdammt.
Ich renne, für immer erledigt – der Griff in die Abendkasse, der Griff in ihre blutigen Taschen.
Verdammt, verdammt, verdammt.
Ich hätte beenden sollen, was er angefangen hat; die Bullen, die noch atmeten, die Bardame und den alten Sack. Hätte Schluß machen sollen, hätte die ganze verdammte Bande erledigen sollen.
Verdammt, verdammt.
Der letzte Bus westwärts nach Manchester und Preston, die letzte Ausfahrt, der letzte Tanz.
Erledigt.
Erster Teil
Leichen
Anrufer: Also halten wir vor ihrem Haus, und sie sagt, sie hat keinen Schotter. Abgebrannt. Also sag’ ich, und was zum Teufel machen wir mit dem Fahrpreis? Ich bin eh schon der letzte weiße Taxifahrer; seh’ ich vielleicht aus wie die Wohlfahrt?
John Shark: Eine aussterbende Art.
Anrufer: Genau. Und was tut sie? Sie macht die Beine breit, einen Oberschenkel nach links, den anderen nach rechts, und gibt mir einen tiefen Einblick in ihren Fleischtopf. Und dann sagt sie, bedien’ dich. Ich konnte es einfach nicht fassen.
John Shark: Wahnsinn. Und was haben Sie gemacht?
Anrufer: Ja, was glauben Sie denn?! Ich hab’ meinen Schwanz rausgeholt und es ihr besorgt. Auf dem Rücksitz von meinem Taxi. Aber ordentlich. Ihr bester Fick seit langem, hat sie gesagt.
John Shark: Frauen. Man kann nicht mit ihnen leben, aber umlegen kann man sie auch nicht. Es sei denn rund um Chapeltown.
The John Shark Show
Radio Leeds Sonntag, 29. Mai 1977
1. Kapitel
Leeds.
Sonntag, 29. Mai 1977.
Es ist schon wieder geschehen:
Wenn die beiden Siebener aufeinandertreffen …
Ich rase mit einer Zivilstreife durch einen weiteren heißen Tag zu einem weiteren uralten Park mit einer unbekannten Toten, von Potter’s Field zum Soldier’s Field, Parks, die ihre Geister hergeben, denn es ist schon wieder geschehen.
Sonntag morgen, die Fenster stehen offen, heute wird es wieder brüllend heiß, der rote Briefkasten schwitzt, Hunde bellen die aufgehende Sonne an.
Das Funkgerät ist an und rauscht nur so vor Tod.
Stereo: Funk und Walkie-talkie.
Einsatz in Soldier’s Field.
Nobles Stimme aus einem anderen Wagen.
Ellis dreht sich zu mir um und macht ein Gesicht, als würden wir ihm nicht schnell genug fahren.
»Sie ist tot«, sage ich, aber ich weiß, was er denkt:
Sonntag früh – er hat einen Tag Vorsprung, einen ganzen Tag, ein ganzes Leben Vorsprung. Bis morgen früh steht nichts anderes in den Zeitungen als das verdammte silberne Thronjubiläum, und keiner verschwendet einen Gedanken an eine weitere Samstagnacht in Chapeltown.
Chapeltown – seit zwei Jahren meine Stadt; baumgesäumte Straßen voller ehrwürdiger alter Häuser, die in schäbige kleine Wohnungen unterteilt wurden, in denen alleinstehende Frauen hausen und Sex verkaufen für ihre verdammten Blagen, ihre verdammten Männer und ihre verdammte Sucht. Chapeltown – mein Revier: Mordkommission.
Die Geschäfte, die wir machen, die Lügen, die sie uns abkaufen, die Geheimnisse, die wir bewahren, das Schweigen, das sie bekommen.
Ich werfe die Sirene an, ein Vorschlaghammer durch die Fassaden ihres Sonntagmorgens, ein Weckruf für die Toten.
Ellis sagt: »Das wird die verdammten Schwarzen aus den Betten schmeißen.«
Doch eine Meile weiter liegt sie leblos auf ihrem Bett im feuchten Tau.
Ellis grinst, als ginge es beim Dienst genau darum, als sei dies der eigentliche Grund, warum er zur Polizei gegangen ist.
Aber er weiß nicht, was da in Soldier’s Field im Gras liegt.
Ich schon.
Ich weiß es.
Ich war hier schon mal.
Und nun geschieht es wieder.
»Wo zum Henker ist Maurice?«
Ich gehe über das Gras des Soldier’s Field auf sie zu. »Der wird schon kommen«, antworte ich.
Detective Chief Superintendent Peter Noble, George Oldmans guter Junge, hat sich von seinem fetten neuen Schreibtisch in Millgarth erhoben und steht nun zwischen mir und ihr.
Ich weiß, was er verbirgt: Auf ihr liegt ein Regenmantel, Stiefel oder Schuhe stehen auf ihren Oberschenkeln, an einem Bein hängt ein Schlüpfer, der BH ist nach oben geschoben, Magen und Brüste sind mit einem Schraubenzieher ausgeweidet, der Schädel ist mit einem Hammer eingeschlagen worden.
Noble schaut auf die Uhr und sagt: »Also gut, ich übernehme den Fall.«
Neben einer großen Eiche steht ein Mann im Trainingsanzug und kotzt. Ich schaue auf die Uhr. Sieben Uhr früh, feiner Nebel steigt aus dem Gras im Park.
Schließlich frage ich: »War er das?«
Noble macht einen Schritt beiseite: »Schauen Sie selbst.«
»Scheiße«, stöhnt Ellis.
Der Mann im Trainingsanzug blickt auf, er hat sich von oben bis unten vollgekotzt; ich muß an meinen Sohn denken, und mein Magen wird zu Stein.
Weitere Fahrzeuge treffen ein, Passanten bleiben stehen.
DCS Noble sagt: »Warum zum Teufel mußten Sie die scheiß Sirene anschmeißen? Alle Welt wird jetzt hier aufkreuzen.«
»Potentielle Zeugen«, antworte ich lächelnd und schaue sie mir an:
Ein hellbrauner Regenmantel bedeckt sie, weiße Füße und Hände ragen darunter hervor. Auf dem Mantel sind dunkle Flecken.
»Schauen Sie genau hin, verdammt«, sagt Noble zu Ellis.
»Na los«, ermutige ich ihn.
Detective Constable Ellis zieht langsam zwei weiße Gummihandschuhe an und kauert sich dann neben die Leiche ins Gras.
Er hebt den Mantel an, schluckt und sieht zu mir auf: »Er war’s.«
Ich stehe nur da, nicke und schaue zu ein paar Krokussen oder so was hinüber.
Ellis läßt den Mantel sinken.
»Der da hat sie gefunden«, sagt Noble.
Ich sehe zu dem Mann im Trainingsanzug hinüber, zu dem Mann mit der Kotze an den Klamotten, und bin froh. »Hat er eine Aussage gemacht?«
Ellis erhebt sich. »Was für eine beschissene Art zu sterben«, sagt er.
DCS Noble zündet sich eine Zigarette an und stößt den Rauch aus. »Blöde Schlampe«, zischt er.
»Ich bin Detective Sergeant Fraser, und das ist Detective Constable Ellis. Wir würden gern Ihre Aussage aufnehmen, dann können Sie gehen.«
»Aussage?« Der Mann wird wieder blaß. »Sie glauben doch nicht, daß ich etwas …«
»Nein, Sir. Nur eine Aussage, warum Sie hier sind und diesen Vorfall gemeldet haben.«
»Ich verstehe.«
»Setzen wir uns in den Wagen.«
Wir gehen zur Straße hinüber und steigen hinten ein. Ellis setzt sich nach vorn und macht den Funk aus.
Im Wagen ist es heißer als erwartet. Ich ziehe Notizbuch und Stift aus der Tasche. Der Mann stinkt. Das mit dem Wagen war eine schlechte Idee.
»Fangen wir mit Namen und Anschrift an.«
»Derek Poole, mit e hinten. 4 Strickland Avenue, Shadwell.«
Ellis dreht sich um. »An der Wetherby Road?«
»Ja«, antwortet Mr. Poole.
»Eine ziemliche Strecke zu joggen«, sage ich.
»Nein, nein. Ich bin hierher gefahren. Ich jogge nur durch den Park.«
»Jeden Tag?«
»Nein. Nur sonntags.«
»Wann sind Sie hier angekommen?«
Er denkt nach und sagt dann: »So gegen sechs.«
»Wo haben Sie geparkt?«
»Ungefähr hundert Meter von hier«, antwortet er und deutet die Roundhay Road entlang.
Dieser Derek Poole hat etwas zu verbergen, und ich setze mir selbst die Wettquoten:
2 zu 1, eine Affäre.
3 zu 1, eine Nutte.
4 zu 1, eine Schwuchtel.
Auf jeden Fall was mit Sex.
Dieser Derek...