Norbert Gstrein, Das Handwerk des Tötens.
Roman.
Frankfurt: Suhrkamp, 2003.
Ein Toter macht noch keinen Roman
Eigentlich wäre er lieber Schriftsteller, doch tatsächlich ist er nur ein nicht besonders bekannter Journalist, der Reiseberichte schreibt. Das ist es, was der Leser zunächst über Paul erfährt.
Der Ich-Erzähler, dessen Persönlichkeit und dessen Züge sich im Laufe des Romans klar herausbilden und der auch eine agierende Figur des Geschehens ist, bleibt dennoch bis zuletzt namenlos. Allein durch Gespräche mit ihm werden die Figuren des Romans zum Leben erweckt, wobei sich dies zunächst auf Paul beschränkt, dann aber auch auf wenige andere Figuren ausweitet.
Eine eigentliche Verbindung miteinander gehen alle Personen im Roman erst durch den Tod des bekannten Journalisten Allmayer ein. Er berichtet aus Krisengebieten und wird eines Tages aus einem Hinterhalt erschossen. Paul bezeichnet sich als Studienfreund Allmayers, hatte aber auch später noch, als Allmayer bereits in Jugoslawien unterwegs war, Kontakt zu ihm.
Vielleicht fühlt sich Paul deshalb dazu auserkoren, die Geschichte Allmayers bis hin zu seinem Tod in einen Roman zu verpacken und niederzuschreiben. Der namenlose Ich-Erzähler steht ihm dabei zur Seite, in endlosen Gesprächen und Diskussionen erfährt der Leser langsam und schleppend mehr über Allmayer. Der Ich-Erzähler hat in diesem Rahmen die Aufgabe, den selbsternannten Autor Paul immer und immer wieder aus seinem Roman heraus auf den Boden der Realität zurückzuholen.
Im Laufe des Romans reichen Paul seine eigenen Informationen über Allmayer nicht mehr aus und er beginnt auch vor Ort zu recherchieren, wobei ihn seine Freundin Helena unterstützt, deren Eltern aus Kroatien stammen.
Paul verrennt sich immer mehr in seinen Roman, für ihn beginnt sich die Realität mit der fiktiven Welt seines Romans zu vermischen, wobei ihm die Personen in seiner Umgebung als Vorlagen dienen, an die er seine Geschichte knüpft; allen voran Helena.
Langsam aber kontinuierlich scheint sich die Handlung des Romans zu wiederholen und im Kreis zu drehen, nur der Schauplatz allein ist es, der sich verändert. In endlosen Gesprächen werden stets die gleichen Fragen diskutiert und breitgetreten und dem Leser im Konjunktiv vom namenlosen Ich-Erzähler präsentiert. Obwohl der Ich-Erzähler die schwierige Aufgabe hat, Aussagen sogar aus zweiter oder dritter Hand wiederzugeben, ist es für den Leser leicht nachvollziehbar, von wem diese oder jene Aussage tatsächlich stammt. Die so komponierte sprachliche Verschachtelung der Inhalte schafft es ihrerseits, den Bogen zu den heutigen Medien zu spannen und diese zu kritisieren. Kritikpunkt des Autors ist, dass Medien stets den Eindruck erwecken wollen, aus erster Hand und ohne jegliche zeitliche Verzögerung aus den jeweiligen Krisengebieten zu berichten.
Die beiden Figuren Paul und Allmayer durchschreiten den Roman parallel, obschon einer der beiden eigentlich bereits tot ist. Von Berichten aus der zumindest teilweise gemeinsamen Vergangenheit der Figuren erfahren wir jedoch, dass sie sich hin und wieder doch tangiert oder sogar getroffen haben - in der erzählten Zeit jedoch entsteht eher der Eindruck, der noch Lebende versucht das Leben des Verstorbenen in sein eigenes zu projizieren.
Am Ende muss der Protagonist sterben. Das selbsternannte Schriftstellergenie Paul wählt den Freitod. Dies ist meiner Meinung nach die einzige Möglichkeit des Autors, den erzeugten und festgefahrenen (Teufels)Kreis zu durchbrechen. Doch nicht nur dieser endgültige Untergang Pauls, der – ganz im Gegensatz zu vielen anderen Tragödien im Roman - von einem Elefanten zu einer Mücke gemacht wird, auch die Liebesaffäre zwischen seiner Freundin Helena und dem Ich-Erzähler scheint mir nichts Neues. Dies geschieht nicht plötzlich und überraschend, sondern zeichnet sich schon nach dem ersten Kapitel ab, das allerdings auf gut achtzig Seiten ausgedehnt wird.
Der vom Ich-Erzähler an Paul gerichtete Ratschlag »Ein Toter macht noch keinen Roman« wäre an dieser Stelle in ein wenig abgeänderter Form zu wiederholen: Denn wenn eine Schwalbe es schon nicht schafft einen Sommer zu machen, wird wohl auch ein Toter es nicht schaffen gleich zwei Romane zu machen.
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