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Rezension von Barbara Seiwald 

 
 

Norbert Gstrein, Das Handwerk des Tötens.
Roman.
Frankfurt: Suhrkamp, 2003.


„Eine schöne Geschichte“, so lautet der Titel des fünften Kapitels in Norbert Gstreins Roman Das Handwerk des Tötens.
Kann oder darf aus dem Balkankrieg oder in einem Roman über ihn eine „schöne Geschichte“ inszeniert werden?
Teilweise passiert dies in der täglichen Kriegsberichterstattung, die zwischen sensationsgieriger Anteilnahme an Gräueltaten und pathosbeladenen, klischeehaften Verklärungen des Themas Krieg pendelt. Diese Frage kann als ein zentrales Thema für diesen Roman angesehen werden.
Aber Norbert Gstreins Roman ist kein Roman über den Krieg und seine medialen Aufbereitung, sondern ist viel mehr.

Er beginnt mit dem Tod des Kriegsberichterstatters Christian Allmayer, der bei einem seiner Auslandseinsätze im ehemaligen Jugoslawien aus dem Hinterhalt erschossen wird.

Dieser Tod wird schließlich zum Anlass genommen, dass der mehr oder weniger erfolgreiche Reisejournalist Paul, der ein ehemaliger Studienfreund Allmayers war, jetzt ein Thema für seinen noch nicht existierenden Roman sieht.

Die tragenden Rollen spielen in diesem Roman, neben Paul, die Figur eines namenlosen Ich-Erzählers und die Freundin von Paul, Helena. Um Sie baut Gstrein seine Geschichte auf.

Paul beginnt zu recherchieren über die Umstände vom Tod Allmayer und zieht dabei seine Freundin Helena, die in der Modebranche arbeitet und deren Eltern aus Kroatien stammen und den namenlosen Ich-Erzähler, der ebenfalls wie Paul als Journalist in Hamburg tätig ist, immer tiefer in die Suche nach der scheinbaren Wahrheit hinein.

Der Ich-Erzähler ist der skeptischere und realistischere Zweitcharakter von Paul und fungiert in dieser Geschichte als derjenige, der Paul bei seinen Ausflügen in die Phantasiewelten, in die er sich im Zuge seines fiktionalen Schreibens über Allmayers Tod immer mehr verrennt, wieder in die Realität, soweit das möglich ist, zurückbringt. Er beobachtet mit wachsender Skepsis, die Ausmaße, die die Nachforschungen von Paul annehmen, weil er sich immer mehr in seinen Nachbildungen der Realität verliert und sich dabei kaum auf Fakten stützt. Der Ich-Erzähler beginnt dabei sich auch kritisch mit der Auseinandersetzung und Aufbereitung des Themas Krieg in den Massenmedien zu beschäftigen. Dabei erkennt er, dass die medialen Kriegsberichterstattungen nur teilweise die Wahrheit liefern und die Wahrheit dabei nur in gefilterter Form erzählt wird. Die meisten Reportagen erschöpfen sich in reißerischen Formulierungen und in klischeebesetzten, pathetischen Aussagen. Wie auch Paul die Wirklichkeit verzerrt, wird auch in den Massenmedien eine neue Wirklichkeit geschaffen.

 

Aber „Das Handwerk des Tötens“ nur auf diese Sichtweise zu reduzieren, wäre gegenüber den Roman nicht angebracht. Die Handlung und die Erzählstrukturen sind viel verschachtelter und komplizierter, wie sie vielleicht auf den ersten Blick erscheinen.

Die Schilderung der ungewöhnlichen Beziehung zwischen Paul und Helena, die sich oftmals in sadistischen Handlungen und Äußerungen gipfelt, wird wegen des zentralen Themas der Kriegsberichterstattung manchmal übersehen. Durch die wachsende Liebe zwischen dem namenlosen Ich-Erzählers und Helena, die eigentlich Pauls Freundin ist,   wird eine komplizierte Dreiecksbeziehung dargestellt.

 

Die einzelnen Figuren in Gstreins Roman erhalten eine äußerst negative Darstellung. Es gibt wirklich niemand, der auch nur ansatzweise positiv wirkt.

Paul wird als eine einsame und gescheiterte Existenz dargestellt. Vom Ich-Erzähler erfährt der Leser eigentlich sehr wenig. Aber dass er sich in die bestehende Beziehung zwischen Paul und Helena drängt, lässt ihn keinesfalls sympathisch wirken. Der tote Journalist Allmayer, obwohl durch die Verklärungen von Paul im positiven Licht gestellt, erscheint nach genaueren Lesen eigentlich als Monster, der nicht nur Helena demütigte, sondern auch um gute Schlagzeilen zu erhalten nicht nur seine eigenen Grenzen sprengte, sondern auch scheinbar über Leichen ging. Helena selbst erscheint einerseits als eine starke Frau, die weiß was sie will, aber auf der anderen Seite sich gegen die Demütigungen und Beleidigung von Allmayer und Paul sich nicht zur Wehr setzen kann. Die Beziehung zwischen ihr und Paul bekommt einen oberflächlicheren Charakter und wobei ich mir die Frage stelle, was verbindet eigentlich die beiden. Die Nebenfigur Lilly, eine ehemalige Freundin von Allmayer wird besonders von Paul als eine sensationsgierige Autorin dargestellt, die aus den Tod Allmayer nicht nur eine pathetische und kitschige Geschichte macht, sondern auch daraus Profit schlagen möchte.

Norbert Gstrein zeichnet alle Charaktere in diesem Roman als Figuren, in denen die negativen Seiten überwiegen. Die positiven Seiten, die fast jede Figur eigentlich haben sollte, werden entweder kaum oder nicht erwähnt.

 

Durch den negativen Beigeschmack der Charakter und durch die kompliziert verschachtelte Erzählung von Gesprächen von verschiedenen Personen, die die Informationen wiederum aus zweiter Hand erfahren haben, erzeugt Norbert Gstrein eine unheimliche Distanz zwischen Leser, Handlung und Figuren. Diese Distanz  legt sich zwar wie ein Weichzeichner über die Berichte von Gräueltaten und die Kriegserlebnisse, aber erzeugt auf der anderen Seite eine Atmosphäre, die die „schöne Geschichte“ glaubwürdig erscheinen lässt. Diese Distanzierung ist, so glaube ich vollkommen nötigt, um den Krieg und sein Grauen, die komplizierten Liebesbeziehungen in diesem Roman ehrlich darstellen zu können. Weder ich noch andere Leser sind unmittelbar in die Handlung involviert, sondern erfahren die Informationen, wie auch der Journalist Paul im Zuge seiner Recherchen in diesem Roman, aus zweiter und dritter Hand.

„Das Handwerk des Tötens“ ist damit ein distanzierter, nicht im negativen Sinn gemeint, und äußerst ehrlicher Roman, mit dem Norbert Gstrein versucht die scheinbare Realität nicht zu verzerren und durch Pathos und Klischees zu verklären.

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