Sabine Gruber, Die Zumutung.
Roman.
München: C.H.Beck, 2003.
„Ich möchte aufwachen eines Tages und eine Gesundheit haben, die nicht ausgeliehen ist, aufwachen und sie besitzen.“
Ständig hat Marianne, die Hauptfigur in Sabine Grubers Roman Die Zumutung, ihren Tod vor Augen; wissend, dass sie ihm nicht ausweichen kann, versucht sie ihn abzulenken. Sie spricht mit ihm und stellt sich sogar ihre eigene Beerdigung vor. Auf Grund der Krankheit ist nicht die Zukunft, sondern das Hier und Jetzt für sie wichtig, aber selbst die Gegenwart bedeutet für Marianne mit der Zeit nicht mehr „(…) Aufbruch in den Tag. Es ist Aufbruch in die Stunde.“ Ab und zu richtet die Ich-Erzählerin ihre Aufmerksamkeit auf ihr Leben in der Vergangenheit, und in Form von Rückblenden zehrt sie von den Erinnerungen an ihre frühe Liebe Leo. Obgleich sie ihre Zukunft durch die Krankheit vernichtet glaubt, gibt sie die Hoffnung auf ein anderes Leben nicht auf.
Marianne hat Durst, nicht nur nach Wasser, das sie auf Grund ihrer Krankheit literweise in sich hineinschüttet, auch nach Leben. Das Motiv des Wassers, welches sich durch den gesamten Roman zieht, bedeutet für Marianne jedoch nicht Quell und Ursprung allen Lebens, sondern Ursache ihres Todes. Wie für die mythische Figur Ikarus der Sturz in das Meer zum sicheren Tod führt, so verbindet auch Marianne mit dem Bild des Wassers Auflösung und Vergänglichkeit. Das eigentliche Lebenselixier staut sich in ihrem Körper auf, während ihre Lebenszeit verrinnt. Sabine Gruber lässt Ikarus allerdings nicht sterben und schlägt mit diesem Bild der Rettung eine Brücke zur Hauptfigur.
Obwohl Marianne sich ein anderes Leben wünscht, sieht sie sich letztendlich als Todgeweihte. Sie fühlt sich von ihren Freunden unverstanden und vernachlässigt, zumal diese vor allem mit sich selbst und ihrem eigenen künstlerischen Aufstieg beschäftigt sind und es daher nicht schaffen sie zu unterstützen. Sabine Gruber entwirft in Hinblick darauf ein sehr präzises, realistisches wie auch ironisches Bild der Begräbnisgesellschaft, deren Gedanken immer wieder vom eigentlichen Trauerereignis abschweifen, skizziert aber nicht nur an dieser Stelle des Romans die Oberflächlichkeit von Mariannes Umfeld.
Umgekehrt verhält aber auch Marianne sich ihren Freunden gegenüber bisweilen ungerecht und egoistisch. So nimmt sie Beziehungen zu Männern nicht ernst, da auch sie ihr das Gefühl des Alleinseins nicht nehmen können. Letztendlich sieht Marianne nur noch die erdrückende Nichtigkeit ihres Alltags und stumpft ab. „»Du stirbst in deinem Kopf«, hatte Paul einmal gesagt, »du lebst das Ende, obwohl es Lösungen gibt, allerdings keine Sicherheiten«“, heißt es an einer Stelle im Roman. Auf Grund dieses Gesprächs und vielen anderen Dialogen und inneren Monologen wird die Gefühls- und Gedankenwelt der Ich-Erzählerin verdeutlicht. Durch präzise Beobachtungen werden die ineinander fließenden Bilder des Todes, der Krankheit sowie des Wassers aufgezeigt, wird die körperliche und seelische Befindlichkeit der Kunsthistorikerin nachempfindbar.
Immer betrachtet Sabine Gruber die Ich-Erzählerin auch aus kritischer Distanz. Somit zeigt sich Marianne als ambivalente Figur: Sie ist nicht nur leidtragendes Opfer, sondern wird für ihre Mitmenschen selbst zur Zumutung. Diese Ambivalenz lässt sich auch in Grubers Sprache wiederfinden. Nicht aus einem Gestus des Selbstmitleids heraus, sondern nüchtern. In klarer Sprache, zwar melancholisch, aber ohne rührselig zu wirken, beschreibt die Hauptfigur das ansonsten so heikle Thema Tod. Die getragene, fließende Sprache fasziniert, und obgleich es dem Roman an spannenden Passagen und Handlungen fehlt, bringt die Ich-Erzählerin durch die immer wieder auftretenden Perspektivenwechsel Bewegung in das Werk. Lediglich am Ende tritt Ruhe ein, und zwar in jenem Moment, in dem Marianne ihren Blick nach vorne, in die Zukunft richtet:
„Ich suchte das Fenster, sah in den Himmel. Die Wolken rasten, verdeckten die Sonne. Ich war beruhigt. Ihr schnelles Ziehen würde das Licht bald wieder freigeben.“
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