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Rezension von Dorothea Zanon

 
 

Norbert Gstrein, Das Handwerk des Tötens.
Roman.
Frankfurt: Suhrkamp, 2003.

Zwischen Welten

Ein vages Gefühl von Krieg vermittelt Norbert Gstrein dem Leser in seinem Roman „Das Handwerk des Tötens“, und das erfolgreicher als so manch grausames Stück Realität aus Zeitung oder Fernsehen. Anhand von Fakten und Tatsachenberichten allein erkennt man nicht das wahre Gesicht des Krieges, da sich das Ausmaß an Angst und Grausamkeit wohl unserer Vorstellungskraft entzieht, und das ist wahrscheinlich auch gut so.

Also wie über den Krieg schreiben, um ihn in rechtem Maß ins Bewusstsein Unbeteiligter zu holen?

Der namenlose Ich-Erzähler, ein Journalist in Hamburg, erzählt und kommentiert die Gespräche und Geschehnisse im Roman. Paul, ein verkrachter Reisejournalist, sieht im Mord im Kosovo an einem früheren Innsbrucker Studienkollegen, Christian Allmayer, seines Zeichens   Balkanexperte und Kriegsberichterstatter der ersten Stunde, den perfekten Stoff für seinen lange überfälligen Roman, und zieht den Ich-Erzähler kurzerhand mit hinein in die Geschichte. Zusammen mit Pauls Freundin Helena, deren Eltern aus Dalmatien stammen, und die Paul als den „ersten Verbindungsoffizier zu seiner Romanwirklichkeit“ bezeichnet, machen sich die beiden Journalisten auf die Suche nach der Wahrheit.

 

Die Hauptakteure in Gstreins Roman haben, bis auf den Ich-Erzähler, dessen Charakterzüge nicht genau gezeichnet sind, eines gemeinsam: sie alle leben zerrissen zwischen unvereinbaren Welten. Die Welten Allmayers, örtlich und zeitlich voneinander getrennt, heißen Krieg und Frieden, Beruf und Privatleben. Wobei die Person Allmayer auch unterscheiden kann und will, so wünsche er sich, „daß man ihn wenigstens dort, wo kein Krieg war, damit auch in Frieden ließ.“ Helena hingegen, ihrer Abstammung wegen direkt vom Krieg betroffen, will diese Trennung aus menschlichen Gründen nicht vornehmen. Sie versucht, das Leben in Frieden im Bewusstsein des Krieges zu sehen.

Der chaotisch visionäre Paul vermischt Krieg und Frieden, Realität und Romanwirklichkeit,   bezieht einmal diese und einmal jene Position. Er ist nirgendwo wirklich verankert, und verliert sich letztendlich in den Wirren und dunklen Tiefen seiner Recherchen.

 

„Das Handwerk des Tötens“ ist ein einziger Dialog, der, geführt in unterschiedlichsten Personenkonstellationen, bis zum Ende nie zum Stillstand kommt. Gstrein verwendet dafür fast ausschließlich die indirekte Erzählweise. Dies endet jedoch nicht, wie man meinen könnte, in undurchsichtigen Satzverschachtelungen. Als Meister seiner Sprache mündet die Kompliziertheit der Erzählweise in einer leichten Verständlichkeit und einer Form, die das Beschriebene treffend darstellt und auf unaufdringliche Weise miterlebbar macht.

Der Leser steht nahezu auf einer Stufe mit den Hauptakteuren, die zu einem großen Teil auf Informationen zweiter und dritter Hand bauen. Diese wiederum sind geprägt durch die stark individuelle Wahrnehmung der einzelnen Personen. Thesen und Beweggründe entstehen hier gleichermaßen aufgrund von Geschehnissen wie aufgrund zwischenmenschlicher Empfindungen.

 

Norbert Gstrein bringt dem Leser die schlimmen Ereignisse auf dem Balkan und deren Bedeutung Stück für Stück und nachvollziehbar näher, allein durch die Zeichnung der emotionalen Entwicklungen seiner Charaktere.

Also wie über den Krieg schreiben? Eine mögliche Antwort darauf gibt uns Gstrein mit seinem jüngsten Werk - denkbar ohne zuvor gefragt zu haben.

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