Rezension 2009
Kai Roßmann, Wiederholte Störungen. Gedichte
Bilder: Helmut Ascher
Innsbruck: Berenkamp 2006
2006 kam im Berenkamp-Verlag der Band „Wiederholte Störungen“ mit Gedichten von Kai Roßmann und Bildern von Helmut Ascher heraus.
Die Themen sind im Grunde die Banalitäten des Alltags. Kurz-Phantasien und Sekunden-Träume eines Beobachters, der von konkreten Szenen ausgeht. – So betritt zum Beispiel in Gedicht Nr. 35 eine Person einen Bus auf Kreta, es ist ein Reiseleiter, der phantasiert, wie Touristen am Strand vom Minotaurus gemetzelt werden. – Und diese Szenen werden dann verfremdet, in surreale Entitäten aufgelöst, sodass am Ende das seltsame Gefühl einer Verfremdung übrigbleibt. Dabei ist den Gedichten eine gewisse Selbstverliebtheit nicht abzusprechen, eine gewisse Eitelkeit, die sich am Klang der aneinandergereihten Wörter berauscht, die einfach so vor sich hin purzeln, sich dem Verständnis aber verweigern.
Und es zeigt sich rasch: Es handelt sich um Grenzbereiche, die in den Texten evoziert werden. Grenzen zwischen Leben und Tod, Gesundem und Krankem, der Normalität und dem Wahnsinn. Letzterer aber fügt sich einer strengen Ordnung. Roßmanns Gedichte sind von 1 bis 81 durchnummeriert, das Inhaltsverzeichnis übernimmt zumeist als „Titel“ jeweils die ersten Worte einer Zeile. Auch lassen seine Gedichte eine angenehme Sprachmelodie erkennen, Binnenreime, selten Endreime strukturieren ihr melodiöses Geflecht. Der vollständige Verzicht auf Interpunktion bewirkt, dass auch jedes Ende, jeder letzte Satz ins Offene strebt.
Es entsteht der Eindruck, dass sich diese Lyrik selbst genügt: Braucht sie einen Leser? Die absurden Kombinationen und surrealen Szenarien beleuchten psychisches Grenzgängertum: Anstaltsszenen, die an Psychiatrisches gemahnen, wie etwa in Nr. 16, „Ziemlich krank“: „Scheiß auf die Wände / schmier die Mauern voll / bevor die Wärter kommen sing ein Lied / am Ende wandere im Karussell / …“ Gerade wenn es um Krankheitsmetaphern – psychischer wie physischer Natur – geht, scheint der Autor in seinem Element zu sein. Da gelingt es, etwa Fieberschübe von innen her darzustellen, da evoziert Nr. 37 selbst das Fieber, ohne in einer rein äußerlichen Beschreibung steckenzubleiben. Lebendig, man möchte fast sagen: authentisch wird es eben dann, wenn es gelingt, in die Innenschau eines Phänomens vorzudringen, wenn der Sprachklang vom Inhalt gedeckt wird. Und so halten sich die manieristisch-konstruierten Elaborate mit den gefühlt-empfundenen die Waage.
Nicht absprechen kann man den Gedichten zudem einen gewissen Hang zum Morbiden, auch Aggressiven, so in Nr. 48: „… / und ich lauf weg / spring über Friedhofsmauern / und finde dich in einem Mückenschwarm / und rücksichtslos / küsse ich deinen Mund / zu Schrott //
Den leicht unterkühlten Stimmungen der Gedichte entsprechen auf subtile Weise die Bilder von Ascher, die von einer kühlen Farbigkeit geprägt sind. Kubische Formen in einer verhaltenen Chromatik. Weder illustrieren diese Malereien die Texte von Roßmann, noch nehmen die Gedichte auf die Bilder Bezug. Beide koexistieren in ein- und demselben fragilen Grenzraum.
Florian Braitenthaller