Rezension 2009

Thomas Schafferer, lyrik rocks. 2-3-4 rotzfreche Tracks
Innsbruck: pyjamaguerilleros 2007
Thomas Schafferer, jahrzehnt ligurien. 222 lyrische Impressionen. Italienische Reisen I
Kösching: perspektivenverlag 2007
Thomas Schafferer, fujiyama hinter dächern – 4013 stunden im netz – Ein Alltagebuch und Gedicht-Bild-Band. 168 Gedichte und 168 Fotografien / Grafiken
Zirl: Edition BAES
Thomas Schafferer, Kaiserschmarrn. 20 absurde Kurzgeschichten und –krimis
Innsbruck: pyjamaguerilleros 2008 


In Print

Unlängst hat der Pariser Autor Eric-Emmanuel Schmitt in der Innsbrucker Buchhandlung Wiederin gelesen und wurde vom Publikum gefragt, wie er denn zum Schreiben kam – ein wahrer Klassiker unter Publikumsfragen an einen Autor. Bei Schmitt war's so, dass er a) als Autor eigentlich eine Folge des frustrierten Komponisten, der er auch war, ist; und b) schon immer geschrieben hat, wobei: Zuerst war bei ihm alles Geschriebene leer, erst nach einem mystischen Bekehrungserlebnis in der Sahara (er war vorher Atheist gewesen) füllte es sich mit Sinn. Jetzt ist er Bestseller-Autor.

Ich denke mir, dass Thomas Schafferer, ganz wie sein Kollege Schmitt, b) schon immer geschrieben hat. Initiationserlebnisse in der Wüste dürften ihn aber wenig kratzen. Was ihm zu Sahara einfällt? Na, zum Beispiel unter dem Titel leger: „ob im saharasand/oder schneegestöber/bleiben sie immer/entspannt und leger // hier gibt
es sand/am meer/wie sand/am meer“. Muss jeder für sich entscheiden, ob diese Verse nun sinnvoll oder -leer sind.

Bestseller-Autor ist Thomas Schafferer noch keiner, vorerst erscheinen seine zahlreichen Bücher mit freundlichen Vorwörtern und in Verlagen mit fantasievollen Namen. Auch nahm seine Schriftstellerkarriere nicht den Umweg a) über den frustrierten Komponisten. Schafferer ist laut Selbstauskunft (Fußballer-)Schriftsteller-Maler-Konzeptkünstler-Kreativkopf, und das zufrieden und immerzu in einem. Er liebt die Pose und ist überhaupt mutig, um nicht zu sagen rotzfrech: Andere, womöglich ältere Zeitgenossen würden sich eventuell in Grund und Boden genieren, ihr Innerstes derart filterlos herauszuschreiben, ins Netz zu stellen oder/und zwischen Softcover-Buchdeckel zu drucken.

Aber: Es gibt auch nichts Gutes, außer man tut es. Und Thomas Schafferer tut es eben. Ab den Hut vor so viel Mut! Richtig stimulierend kann zum Beispiel Schafferers lyrik rocks wirken, dieses Kalauern, das er so gut beherrscht. Beispiel: „ein einziger blick in die dorfdisko genügt: alles foxtrottel“ (trott); oder: „wussten sie schon, dass geisterfahrer total entgegenkommend sind?“ (übrigens schnell noch was...); oder: „kommt der begriff 'fungieren' aus der pilzzucht?“ ((etymo) logisch). Das sind richtige Schenkelklopfer, und wie gesagt keine schlechten. Prosaisch aufgelöst findet man das in den Kaiserschmarrn-Kurzgeschichten, kabarettartigen Satiren und Probierstücken.

Kehren wir aber zum Vergleichen mit Kollegen zurück: Wie Goethe hat Schafferer eine Italienreise hinter sich, bzw. wieso eine? Es sind mehrere! Schafferer liefert hoch gespannte Erlebnislyrik davon, erste Einträge am 9. September 1992, letzte am 31.12.2006. Und selbstredend werden sie publiziert: zunächst im Eigenverlag, dann im Verlag pyjamaguerrilleros, schließlich im perspektivenverlag zu Kösching. In der Herausgabe seiner eigenen Schriften ist Schafferer nicht weniger akribisch wie der alte Goethe, ordnet neu, kommentiert, ebnet den Zugangsweg für den/die zeitgenössische/n Leser/in und die zukünftige Forschung. Wo, darf man im Übrigen zwischendurch fragen, hat eigentlich Goethe seine Erlebnis-Lyrik publiziert? Na, zum Beispiel in der "Iris", einer "Zeitschrift für Frauenzimmer", oder im handschriftlich verteilten "Tiefurter Journal" oder im "Teutschen Merkur", ja, und die "Römischen Elegien", "zwar schlüpfrig und nicht sehr dezent [...], aber zu den besten Sachen" gehörend (Schiller), gingen an die "Horen".

Die besten Sachen von Schafferer – literarische Readymades gepaart mit foto-/grafischen (und hier fällt mir zum Vergleich nur der Name Schlingensief ein) – gehen an die Edition BAES. Es handelt sich um die Online-Tagebuch-Projekte 2005 stunden im netz und 2008 stunden im netz, die ursprünglich als Weblog auf www.schafferer.net erschienen. Obwohl das Buch sehr schön gemacht ist, gehören diese Dinge durchaus ins Netz. Denn Leserkommunikation wird in Bälde ohnehin übers Netz stattfinden. »Künftig«, meinte Jürgen Jeffe von der ZEIT in seinem Beitrag zum Welttag des Buches am 23. April 2009, »braucht ein Buch einen Autor, aber ein Autor kein Buch. Zumindest keines von Gewicht, das hergestellt, verpackt, verschickt und verkauft werden muss.« Schafferer gehört längst dieser buchlosen Generation an, auch wenn er hier einen Stapel von geschätzten anderthalb Kilo abliefert. Und er ist auf dem richtigen Weg.

Bernhard Sandbichler