Rezension 2009 

Angelika Mayr-Gehler’s Fadele. Südtiroler Mundart aus der Ferne
Raetia Club 2009, 149 Seiten. Mit Audio-CD

„Hånn net die Kråft ze toaln die Bildr, / de sich so innigtiaf einifressn in mi ohne Wertr“, so beginnt das Gedicht „Hoamatweah“, das neben dem titelgebenden treffend zum Ausdruck bringt, worum es Angelika Mayr-Gehler in diesem Lyrikband geht: Überwindung des Heimwehs und genussvolles Eintauchen in die Südtiroler Mundart. „Hoamatweah isch a Gfiehl, des a zu mir keart“ schreibt die 1967 in Lichtenstern / Ritten geborene Lyrikerin, die nach der Matura an der Lehrerbildungsanstalt Meran Pädagogik und Geschichte in Innsbruck studiert und eine Ausbildung als Buchhändlerin angeschlossen hat. Die Südtirolerin lebt in Hildesheim / Niedersachsen, und nicht nur die große räumliche Entfernung trennt sie von ihrer Heimat, sondern auch die Sprache.

Mundartgedichte haben es verhältnismäßig schwer, den Weg in die Öffentlichkeit zu finden. Mundartautorinnen und Autoren müssen beim Schreiben einige Gegensätze überwinden: zwischen der Mündlichkeit des Dialekts und dessen Verschriftlichung, zwischen privaten Erlebnissen und der Öffentlichmachung von Erfahrung, vor allem aber zwischen traditioneller Sprache und der heutigen modernen Welt.
Doch obwohl oder gerade weil sie in einer Sprache geschrieben sind, die regional begrenzt und dadurch besonders an die Gegebenheiten eines Ortes, eines Lebensraumes, einer sozialen Gruppe angepasst ist, haben diese Gedichte ganz andere Möglichkeiten als hochsprachliche Gedichte. Ihr Klang erinnert häufig an Kindheit, an Heimat – die Sehnsucht nach genau diesem Gefühl vermitteln Angelika Mayr-Gehlers Gedichte.

Sie spinnt einen sprachlichen Faden von ihrer Heimat zu ihrem Wohnort und wieder zurück. Indem die Lyrikerin ihren sprachlichen Faden durch ihre Gedanken und Gefühle führt, fädelt sie allerhand auf. Mitmenschen und Wege, das Auf-dem-Weg-Sein spielen dabei eine besondere Rolle.
Die ebenfalls zahlreichen Naturbeobachtungen stehen nicht für sich, sondern stellen gleichsam ein Spiegelbild für das lyrische Ich bereit: „Dr Mund drahnt gånz såcht / kohlschwårz vrstoanrt kriacht sie um sich die Nåcht“, so hebt ein Nachtgedicht an, in dem die Schwärze Ausdruck für die dunklen Seiten des Lebens ist, die traumgleich am lyrischen Ich vorüberziehen.

Alltagsbeobachtungen, die Mitteilung von Gedanken über den Tag, über den Menschen und über das Leben ganz allgemein kleidet die Autorin in mundartliche Reime. In diesen Gedichten geht es weniger um sprachliche und formale Raffinesse und die Leser herausfordernde Gedankengänge als vielmehr um einen Versuch, sich in der Ferne die Heimat (neu) zu erschaffen. Angelika Mayr-Gehler hat Freude daran, den „Kern der Gedanken lautmalerisch wiederzugeben und für andere festzuhalten“, wer ebenfalls Freude am Klang des Südtirolerischen hat, dem seien die Lektüre dieses Büchleins und das Anhören der Audio-CD empfohlen.

Carolina Schutti