Rezension 2011

Irene Prugger, Letzte Ausfahrt vor der Grenze. Erzählungen
Innsbruck-Wien: Haymon Verlag 2011

Ein Grundmotiv all dieser Erzählungen ist „Die Unmöglichkeit, wirklich zueinander zu finden.“ Das schwebt als Drohung über allen Beziehungen angesichts der Banalität des Alltags: Beziehung und Beziehungslosigkeit, das Leiden am einen wie am andern, ohne darüber in selbstgefällige Larmoyanz zu verfallen. Das wird stilistisch auf hohem Niveau verhandelt, klug beschrieben und mit dem nötigen Humor präsentiert.

In achtzehn Erzählungen entwirft Irene Prugger einen Figurenreigen problematisierter Identitäten: Frauen, Ausländer, Randexistenzen, die sich ihres Platzes in der Gesellschaft nicht sicher sind, die ihre Standortbestimmung im Beziehungskosmos suchen: „Paartherapie“, „Rendezvous“, „Dark Room“. Was jedoch als Ausgangssituation vielleicht sogar banal klingen mag, ist als ausgeführte Erzählung alles andere als das.

Mit viel Einfühlungsvermögen verfolgt Prugger Ideen, Wünsche und Zweifel ihrer Figuren, die vom Menschlichen-Allzumenschlichen gequält sind. Präsentiert werden vorwiegend Handlungen und Situationen, die eine beobachtende Erzählerin reflektiert begleitet. Erzählanordnungen werden zu Versuchen, die Situationen, in die beziehungswillige Protagonisten geraten, verständlich zu machen. Daraus entsteht Ambivalentes, manchmal Vergnügliches, stets Ergreifendes. Einige Texte sind über Wortspiele konstruiert, die die Sprache auf ihre Doppelbödigkeit hin ausloten.

Die als Pointen formulierten Enden folgen einem Prinzip: der Überraschung und vermitteln bisweilen die Selbsterkenntnis, dass gerade eigene Erklärungsmuster anzuzweifeln sind. Auch zeichnen sich die Erzählungen durch große Lebensnähe und Perspektivenreichtum aus; das Schreiben hin zur Pointe funktioniert so gut, dass sich kein Ende erraten ließe.

Die Erzählstimme, aus einer bevorzugt weiblichen Perspektive, ist ihren Figuren sehr nah, sie kennt deren Wünsche, Hoffnungen und Enttäuschungen. Präzise Beobachtungen weniger von Äußerlichkeiten, mehr von Vorstellungen, Erwartungen, Mutmaßungen, dem Durchspielen möglicher Begegnungen und deren Verlauf. Aggressionen werden raffiniert verborgen, sie wirken aus dem Untergrund – Frauen und Männer auf der Gefühlsschaukelbahn.

„Als er dann auch noch mit den Fingern in ihrem Gesicht herumfuhr, hatte Erna endgültig genug von der Heuchelei und dem stillen Darniederliegen. ‚Ich will leben‘, schrie es aus ihr, ‚ich will leben, ich will lieben!‘ Und sie brüllte zu Gott, der alle zu Staub macht und nichts als zu Staub: ‚Ich, ich, ich!‘“ (S. 41)

Alles ist belebt, alles ist beseelt: Sexpuppen, Tiere, Tote nicht anders als die „Lebenden“, das Spektrum „handelnder“ Protagonisten ist so ungewöhnlich wie plausibel. Warum sollen Tote nicht denken können? Im Sog des Existierens sind alle der erzählenden Reflexion ausgesetzt – jenseits aller Grenzen.

Florian Braitenthaller