Rezension 2011
Regina Hilber, im schwarz blühen die schönsten farben
Horn: Edition Thurnhof, 2010
Mit im schwarz blühen die schönsten farben präsentiert Regina Hilber ihren zweiten Lyrikband.
Der aus 12 Gedichten bestehende Zyklus prekmurje bildet das Herzstück des Bandes. Aus poetischen Impressionen, die alles Laute meiden, steigen Bilder einer Reise durch Slowenien auf. Es muss eine Landschaft von großer Schönheit sein, die dem lyrischen Ich durch die Augen ins Herz fällt. Sie trägt Züge einer inneren Landschaft, sie führt das reisende Ich zu Orten, wo unartikulierte Wünsche sich erfüllen (ich bin dein minutenglück flüster/ ptuj und ich/ bleibe noch …), wo sich die Worte finden lassen (ich bin dein wortinstrument insistiert/ moravske toplice und ich/ gehorche …), wo Sehnsüchte sich regen (ich bin deine fallgrube warnt/ ižakovsci und ich schreite mühelos hinein …). In welche Fallgrube schreitet man mühelos hinein, trotz Warnung? Ižakovsci, so erfahren wir beim Nachschlagen, ist eine der letzten malerischen Schiffsmühlen auf der Mur, vertäut an der „Liebesinsel“. Kontrapunktisch entspinnt sich ein innerer Dialog zwischen den sprechenden Orten einerseits, die das lyrische Ich trösten, ihm Rückhalt geben, ihm Zuflucht bieten (ich bin dein rückhalt säuselt ljubljana … ich bin dein untergang triumphiert/ kostanjevica und fingerkuppen kerzen brennen …), und Bildern andererseits, die Angst, Dunkelheit, Schmerz evozieren (kommt ein winter von osten oder/ fehlt da durchsetzungsvermögen/ kommt ein gestern/ kommt nachtverkehr/ kommen tränen/ nie …). Und immer wieder taucht das beängstigende Wort metastasen auf (minuten metastasen krokodile monumente/ lippen lüften auf ein ungestümes hol mich heim/ sei bei mir …). Doch nichts wird klar ausgesagt: welcher Art sind die Metastasen, wandern sie durch das Ich, durch die Landschaft, durch die Gedanken? Sind die verrinnenden Minuten die großen Metastasen, fressen sie sich wie Krokodile durch das Leben, durch die Landschaft? Sind sie tödlich oder hinterlassen sie nur Spuren, sind sie Monumente, sind sie Hinweise auf einen Ausgang? Regina Hilber arbeitet mit schönen, zarten Evokationen, sie knüpft ein Netz aus Bildfragmenten, sie betont die Leerstellen im Netz, sie lässt die Lesenden auf ihrer Suche nach Zusammenhängen und Verständnishilfen oft allein. Die Hilfen, die sie bietet, liegen im Atmosphärischen: es sind keine schwarzen Löcher, die sich auftun, es ist durchaus eine Stimmung lyrischer Geborgenheit und eines sehr verhaltenen, melancholischen Trosts, die den Zyklus bestimmt und die Lesenden trägt. Am Ende der Reise findet das lyrische Ich zu sich, wird sich selbst zum Apfelbaum, zum Haus (in der mitte bin ich ein apfelbaum … ich bin in mir ein gegenstand/ ein haus …). Es klingt wie eine Antwort.
Unter den prekmurje umrahmenden Gedichten fallen zwei auf: potapowo am jenissei (das den nördlichsten Ort sowjetrussischer Verbannungen anspricht, wohin, neben unzähligen anderen unschuldig Verbannten, 1941 auch die Wolga-Deutschen abtransportiert wurden) und nersut. In beiden Gedichten verdichtet sich am intensivsten die sprachliche Originalität der Autorin. Mit plötzlicher Kraft entfaltet sich die subversive Energie der Wörter, die Zurückhaltung wird aufgegeben, eindringlich und explosiv wird die Sprachoberfläche gesprengt, neu zusammengefügt, „Richtiges“ verlassen, Neues, Unstimmiges, Absurdes gewagt. Das Ergebnis sind Verse, die die eisige Absurdität von potapowo und die geheimnisvolle Schönheit von nersut vorbehaltloser und unmittelbarer konkretisieren als sprachlich gezähmte Verse es könnten.
Insgesamt steht der Band im Zeichen der Stille, der Ahnungen, unausgesprochener, halb angedeuteter Empfindungen. Hilbers poetische Sprache verfügt über hochdifferenzierte Register, um die Stille des Himmels und der Wörter, das Flüstern der Städte, das Tönen der Landschaft einzufangen (rückhaltlos/ stille im haus/ stille im satz … ich bin dein kuhgehöft tönt/ noršinci …); die tröstende Natur wird in unzähligen Nuancen wahrgenommen (geduldig wie der schnee/ tröstlich wie das frostauge … ich bin dein herbst tröstet/ murska sobota und eicheln fallen …), die Sehnsucht wird beim Namen genannt (herbeigesehntes telegramm/ akkurat steht still das licht …). Die Risse und Brüche jedoch, die ohrenbetäubenden Misstöne der Welt, das Herzzerreißende der Dinge, die existentiellen Bedrohungen: sie dringen meistens nur als Ahnung bis knapp unter die Oberfläche der Wörter (stich die milch gleich herzkonturen blasser ahnen/ minuten metastasen schöpfer wasser barometer …).
Was wir der Autorin für die kommenden (hoffentlich bald erscheinenden) Lyrikbände wünschen: die Sprache heraustreten zu lassen aus dem Schatten ihrer Zurückhaltung, ihre poetische Intensität nicht zu dämpfen, die Freude am Experimentieren nicht zu zähmen, sondern (ihrer eigenen Sprachkraft bewusst) sich auch für komplementäre Register zu entscheiden: für dissonante Töne und virulente Experimente, für explizite Aussagen, für metaphorisch-stilistisch-prosodische Maßüberschreitungen, für die eigene Unüberhörbarkeit. Die Voraussetzungen dafür sind in reichem Maße gegeben.
Die zarten Offsetlithographien von Claudia Berg, die den Band illustrieren, sind eine kongeniale künstlerische Antwort auf die Gedichte: sie zeigen Fragmente von Bäumen (die Wipfel sind jenseits der Bildseiten zu denken), Ausschnitte einer Flusslandschaft mit Brücke, steinerne Monumente, deren filigrane Umrisse sich als schwarze Schatten im Wasser spiegeln, Häuser am oberen Rand der Bildseite, deren Dächer imaginiert werden müssen. Alles in Schwarzweiß, die darin blühenden schönsten Farben sind fürs Auge unsichtbar.
Eleonore De Felip