Rezension 2012
Martin
Mandler, 23 Tage
Luftschacht Verlag. 2011
Auf 144 Seiten erzählt Martin Mandler, was sich vom 3. bis zum 25. November im
Inneren seines Ich-Erzählers abspielt, während sich dessen Freundin Laura 23
Tage lang, getrennt von ihm, in London aufhält. Mandlers Debütroman hat
einerseits etwas von einem Tagebuch, in dem der Ich-Erzähler, beginnend mit dem
3. November, Erinnerungen, innere Monologe und Gedankenschleifen festhält, die
Einblick in sein tristes Leben vor Laura und in seine Sehnsucht nach Laura
geben. Andererseits weisen die Erzählzeit, die überwiegend mit der erzählten
Zeit übereinstimmt und die – immer wieder angeführten – genauen Angaben zur
Uhrzeit, unentwegt auf die Unmittelbarkeit des Geschehens hin. Mandler will die
Lesenden ganz nahe an den Ich-Erzähler heranholen, was ihm auch gelungen ist.
Die Leserinnern und Leser werden zu Zeuginnen und Zeugen seine Liebes- und
Lebenskummers. Die Direktheit mit der die Lesenden am Leben des Ich-Erzählers
teilnehmen, ist genauso fesselnd wie entfremdend: Seite für Seite verbringt man
mit einem Menschen, der zutiefst einsam ist, der – abgesehen von einigen
irrationalen, verzweifelten Handlungsversuchen – weitgehend handlungsunfähig
ist und dessen Gedanken bald nur noch von Laura oder Laura und Brad, bei dem
der Ich-Erzähler seine Freundin in London vermutet, bestimmt werden. Was Martin
Mandler, indem er sich ganz auf die Gefühlswelt und das Liebesleid seines
Erzählers konzentriert, dabei aber leider – weil es den Lesenden nach und nach
zu interessieren beginnt – ausspart, ist Laura selbst. Ihre Person bleibt vage,
ihr Bild unscharf, fast als gäbe es sie gar nicht, obwohl ihr Name nahezu auf
jeder Seite vorkommt. Kann sein, dass das von Mandler so gewollt war, aber auf
diese Weise bleibt der Roman zuweilen ein wenig einseitig und etwas zu sehr im
Ego des Erzählers verhaftet. Man wünscht sich manchmal, Mandler hätte den
Ich-Erzähler etwas mehr aus seiner Innenwelt herausgelassen und dadurch den
Blick auf die Außenwelt freier gemacht. Auch wenn sich nach einigen Seiten
herausstellt, dass sich die Begegnung mit einer jungen Frau in einem Vorort von
London nur in der Phantasie des Erzählers abgespielt hat, so sind es kurze
Szenen wie diese, die zur Dynamik des Romans beitragen und die man gerne öfters
gelesen hätte.
„Unterlebensgroß“, so wird der Erzähler im Klappentext bezeichnet, in dem es
weiter heißt, er sei Teil einer Generation, „die in das Bewusstsein
hineinerzogen worden [sei], Großes und Außergewöhnliches leisten zu können“,
aber dennoch daran scheitert. „Wir merken alle, wie klein wir sind.“ – diesen
etwas mutlosen Satz stellt Martin Mandler seinem Roman voran. „23 Tage“, das
ist nicht nur ein Roman über das Festhalten und Loslassen, sondern auch ein
zutiefst beunruhigendes Portrait, eines Endzwanzigers oder Mittdreißigers, der
mit seinem Leben nicht zurechtkommt, von Ängsten geplagt wird, der seinem Glück
nicht trauen kann und daher immer nahe daran ist, sich aufzugeben.
Gabi Wild