Arbeiten in Italien: Wenn die gute Beziehung mehr zählt als der saubere Prozess
Wenn Du an andere Kulturen denkst, dann fallen Dir wahrscheinlich zuerst Länder wie China, Indien oder Japan ein. Doch im Berufsleben wirst Du auch schon ganz in der Nähe bedeutende kulturelle Unterschiede finden – zum Beispiel in Italien. Damit gehen auch eine Menge Gelegenheiten einher, in ein Fettnäpfchen zu treten. Wir geben Dir ein paar Tipps an die Hand, worauf Du während Deines Auslandsaufenthaltes in Rom, Mailand oder auch Turin achten solltest.
Grundsätzlich: In Italien wird anders gearbeitet. Nicht besser und auch nicht schlechter. Du solltest Dir erst einmal Zeit nehmen, um Deine Umgebung und Deine Kollegen zu beobachten und kennen zu lernen. Mit typisch deutschen Verhaltensweisen wirst Du nicht weit kommen und auch eher unangenehm auffallen. Als Faustregel gilt, dass die Italiener sehr viel beziehungsorientierter als Deutsche sind. Im Berufsleben steht die Beziehung gegenüber der Sache, der Aufgabe oder dem Prozess im Vordergrund. Daher solltest Du unbedingt Small Talk betreiben, Deinen Gesprächspartnern ehrliches Interesse entgegenbringen und Dein Netzwerk aufbauen und pflegen. Ein gut funktionierendes Netzwerk ist eine wertvolle Stütze, um verschiedenste Hindernisse in Italien zu umschiffen.
In der Kommunikation solltest Du es vermeiden, zu direkt, sachbetont und ungeduldig aufzutreten. Was in Deutschland als effizient, zeitsparend und damit als höflich gilt, wirkt auf italienische Kollegen oft unhöflich und rüpelhaft. In Deutschland würdest du beispielsweise eine kurze Mail mit den wesentlichen Fakten in Form von Bullet Points schreiben, außerdem auf die Deadline hinweisen und Dich in wenigen Worten bedanken und verabschieden. In Italien müsste diese Mail aber schon viel länger sein: So kannst Du mit ein paar persönlichen Sätzen in die Mail einleiten und ausführlich vorstellen, worum es bei der ganzen Angelegenheit eigentlich geht. Gewähre immer einen Entscheidungsspielraum, ob man Dir überhaupt helfen kann und übe keinen Druck (z.B. über eine Deadline) aus. Aus sechs Zeilen werden daher ganz schnell über 30 Zeilen. Noch wirksamer wäre es aber, wenn Du einfach zum Telefonhörer greifst und Deinen Ansprechpartner anrufst oder besser noch ein persönliches Gespräch bei einem guten Caffè führst.
Auch in Besprechungen musst Du Dich erst einmal auf Deine neue Umgebung einstellen: In Italien gibt es ein stärkeres Verständnis von Hierarchie. So ist es normal, dass z.B. erst die Seniors sprechen und Juniors sich erst dann einbringen, wenn sie ausdrücklich gefragt wurden. In Deutschland wird dagegen in vielen Unternehmen eine hohe Initiative geschätzt und gefordert. Außerdem solltest Du mit Kritik behutsam umgehen. Da ist man in Italien nicht so direkt und eher diplomatisch. Weise darauf hin, was man noch besser machen könnte und spreche nicht an, was nicht so gut gelaufen ist.
Bringe darüber hinaus viel Geduld und eine entspannte Grundhaltung mit: Vieles wird erst auf den letzten Drücker und – für unsere Verhältnisse – recht spontan und chaotisch erledigt. Das kann letztlich aber genauso gut wie hierzulande funktionieren. Nutze die Chance und lerne, auch unter Zeitdruck relativ entspannt und gelassen zu bleiben. Die Italiener setzen andere Prioritäten, kommen aber in der Regel zu vergleichbaren Ergebnissen. Wenn Du Dich darauf einstellst, wirst Du nicht nur während Deines Aufenthalts im Ausland erfolgreicher sein. Zurück in Deutschland kannst Du dann nämlich gewohnte Verhaltensweisen mit einer stärkere Beziehungsorientierung und einer unaufgeregten Grundhaltung kombinieren. Außerdem wird Dir bekannt sein, dass es im Umgang mit anderen Kulturen Sensibilität braucht und die eigenen Verhaltensweisen nicht als zu selbstverständlich hingenommen werden sollten.
Fettnapf-Vermeider:
Gerade in Stresssituationen wirst Du zu gewohnten Verhaltensmustern greifen. Dabei handelt es sich auch im Ausland wahrscheinlich um „typisch deutsches“ Verhalten. Das kann Dein Verhältnis zu den italienischen Kolleginnen und Kollegen beschädigen und Vorurteile bekräftigen. Setze Dich stattdessen in aller Ruhe mit Deiner neuen Umgebung auseinander. Beobachte, wie man miteinander umgeht, Stelle Fragen, baue Beziehungen auf und bringe ehrliches Interesse mit. So findest Du Dich nach und nach immer stärker in das italienische Berufsleben ein und kannst nach Deiner Auslandserfahrung auch in Deutschland auf ein viel breiteres Repertoire an Handlungsweisen zurückgreifen und es gewinnbringend einsetzen.