Monthly Archive for November, 2007

Wo bleiben ScienceTracker und ScienceRiver?

Gerade ist mir folgende schicke Rubrik auf der Webseite des American Journal of Sociology aufgefallen:

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Der Verlag University of Chicago Press interessiert sich also dafür, was aus den publizierten wissenschaftlichen Erkenntnissen im öffentlichen Diskurs gemacht wird. Zwar bezieht sich der Presseausschnitt nicht auf den Artikel, den ich gerade gelesen habe, aber immerhin auf dieselbe Zeitschrift. Vielleicht ist das aber nur dann der Fall, wenn der betreffende Artikel noch nicht zitiert wurde. Ich finde das eine sehr spannende Möglichkeit, zu verfolgen, wie wissenschaftliche Forschungsergebnisse popularisiert werden, welche Elemente übernommen werden, welche weggelassen werden usw. Gerade bei OpenAccess-Journals, deren Artikel jedem im Volltext zugänglich sind, wäre das besonders sinnvoll. Vielleicht könnte man dann auch noch Weblogs mit einbeziehen könnte, dann hätte man einen crossmedialen Memetracker. So eine Art “ScienceRiver” und so ein Ding möchte ich bitte haben.

Bei deutschen Verlagen bzw. Fachzeitschriften konnte ich so eine Funktion noch nicht entdecken, gibt es das hier auch schon? Wenn nicht, wäre das nicht eine Idee für Zeitschriften wie k@g oder M&K, Jan?



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    error-cover-med.jpgIm September hatte sich schon Brand eins diesem Thema gewidmet, jetzt gibt es dazu die passende wissenschaftliche Aufarbeitung in dem australischen Journal of Media and Culture: die Fehler. Beide Ausgaben bemühen sich vor allem, das negative Image von Fehlern, seien es Fehlentscheidungen oder Fehler in Kommunikationssystemen, aufzupolieren und ihre wichtige Funktion für die Ermöglichung von Innovationen etwas in den Vordergrund zu rücken.

    Wolf Lotter formulierte das in Brand eins wie folgt:

    Der noch bei Weitem größere Teil hingegen verschanzt sich hinter dem Wahn, dass Fehler und Irrtümer erst gar nicht entstehen dürfen und dass sie demnach selbst keine Fehler machen können. Diese Anmaßung ist nur mit dem 1870 unter der Bezeichnung “Pastor Aeternus” – der Ewige Hirte – erlassenen Dogma von der Unfehlbarkeit des Papstes vergleichbar. In den profanen Werkstätten des Managements trägt die Unfehlbarkeit den Namen Null-Toleranz.

    Auf ganz ähnliche Weise kritisiert Mark Nunes in seiner Einführung zum JMC-Heft das von ihm als augustinisch bezeichnete Fehlerverständnis (Fehler als Abfall von einer perfekten Ordnung im Gegensatz zu der manichäischen Idee des intentionalen Provozierens von Fehlern):

    In each of these essays, error, noise, deviation, and failure provide a context for analysis. In suggesting the potential for alternate, unintended outcomes, error marks a systematic misgiving of sorts—a creative potential with unpredictable consequences. As such, error—when given its space—provides an opening for artistic and critical interventions.

    Dieses Motiv wird in den zehn Aufsätzen durchgespielt:

    Benjamin Mako Hill betont zum Beispiel den erkenntnistheoretischen Wert von Fehlern bzw. technischem Versagen, die einen technologisch-aufklärerischen Wert dadurch erhalten, dass sie eigentlich unsichtbare technologische Hintergründe (man denke etwa an Internet- oder Emailprotokolle) sichtbar machen.

    In dem Beitrag von Su Ballard geht es um den künstlerischen Einsatz von Fehlern bzw. provozierten Misreadings, um einem Publikum neue Sichtweisen nahezulegen. Auch Tim Barkers Essay dreht sich um Fehler in der Kunst, genauer: um das Phänomen des “glitch” in der digitalen Kunst, denn diese Ästhetik des Versagens (vgl. dazu den klassischen Aufsatz von Kim Cascone, hier als pdf) verweist auf das Element des Unkontrollierbaren, dass in den meisten Kunstwerken eine wichtige Rolle spielt.

    Mit Mehrdeutigkeiten, Potentialen und Rauschen im Zusammenhang mit Agenturbildern und Platzhalterinhalten befasst sich der Aufsatz von Christopher Grant Ward. Die dahintersteckende Industrie erscheint aus dieser von Derrida inspirierten Perspektive als Lieferant von kultureller Uneindeutigkeit und bekommt dadurch schon fast eine aufklärerisch-kritische Rolle. Adi Kunstman berichtet in seinem Beitrag von Lücken in Archiven, auf die sie während ihrer Internetethnographie in queeren russisch-israelischen Migrantencommunities gestoßen ist. Ihr Fokus richtet sich darauf, aus diesen Fehlern und “hauntings” auf die Spur der Funktionsweise von onlinebasierten kollektiven Gedächtnissen zu kommen.

    Computerspiele und Avatare sind dann das Thema von Kimberly Gregsons Aufsatz. Sie versucht, eine Typologie von abweichendem Verhalten in Onlinespielen zu entwickeln, um auf diese Weise – ganz ähnlich wie Harold Garfinkels “Krisenexperimente” – auf die Funktionsweisen und Basisselbstverständlichkeiten dieser Spiele zu kommen. Sehr spannend auch das Thema von Michael Dieter, der sich mit dem Hacken von Internetangeboten wie Amazons Search Inside-Feature befasst und auf das kreative Potential dieser “tactical media performances” hinweist.

    Mit der erkenntnisfördernden Kraft von Missverständnissen und Misreadings setzt sich Elizabeth Losh auseinander und demonstriert an dem Beispiel der Battlefield 2-Fehlinterpretation im US-Kongress (“SonicJihad“) die Möglichkeiten, solche Fehlleistungen für die Medienkritik fruchtbar zu machen. Sehr schön zur aktuellen Call-In-TV-Diskussion in Deutschland passt der Aufsatz von Yasmin Ibrahim, der die Fehler in interaktiven Fernsehformaten ebenfalls als aufklärerisches Projekt umschreibt, das in der Lage ist, das blinde Vertrauen der Zuschauer in die “Realität der Massenmedien” zu erschüttern. Zum Abschluss widmet sich Martin Mantle noch dem merkwürdigen Verhältnis von genetischen Mutationsängsten und den Fähigkeiten von Comic-Superhelden.

    Insgesamt also sehr spannendes und anregendes Heft, das trotz der Vielfalt der behandelten Themen (vielleicht bis auf den letzten Essay) sehr integriert und schlüssig wirkt. Etwas skeptisch bin ich jedoch, was die Basisannahmen angeht, die sich durch das Heft ziehen: die Netzwerk-Gesellschaft wird dort überzeichnet als informationelle Massengesellschaft, die dem Prinzip der Nullfehlertoleranz unterliegt, wenn nicht sogar in Anlehnung an Theoretiker wie Deleuze und Guattari als “informationelles Terrorregime”, das um jeden Preis den Abbruch von Kommunikationen vermeiden muss. Das erscheint mir doch etwas zu überzeichnet, während im Gegenzug die Kommerzialisierung von (scheinbaren) Fehlleistungen fehlt, die jedoch vielen viralen Kampagnen zu Grunde liegt.



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    Wofür ich Rundfunkgebühren bezahle? Damit unterstütze ich das öffentlich-rechtliche Qualitätsfernsehen, das sich durch besonders hohe Maßstäbe bezüglich der wahrheitsgemäßen Darstellung auszeichnet. Zum Beispiel wenn es um das Thema “Killerspiele” geht, wie Matthias Dittmayer in diesem Youtube-Video eindrucksvoll darstellt:

    Ich bin mir aber nicht sicher, ob man wirklich wie Stefan Niggemeier so neidisch auf Großbritannien schauen sollte, wo “eine breite Diskussion stattfindet über Wahrhaftigkeit und Aufrichtigkeit in den Medien, die sogar dazu führt, dass die „Noddys” in Frage gestellt werden, die Gegenschüsse auf nickende Fragesteller, die nachträglich gedreht und in Fernsehinterviews geschnitten werden”.

    Ist nicht vielmehr dieses Youtube-Video der schlagende Beweis für eine funktionierende Gegenöffentlichkeit? Auch wenn nicht sicher ist, ob die von Dittmayer erhobenen Vorwürfe tatsächlich so oder so den Weg in den öffentlich-rechtlichen Rundfunk finden; sicher ist: dieses Video wird in den nächsten Tagen von tausenden Internetnutzern gesehen werden (“Comments: 1,285 Favorited: 1,855 times”), wird in den Blogs die Runde machen, von Online-Magazinen aufgegriffen, in Mikrobloggingkanälen diskutiert und immer wieder in social bookmarking-Diensten abgespeichert und bewertet.

    Natürlich ist das noch ein etwas elitärer Kanal, wenn auch elitär im besten Sinne eines Diskurses, der andere Verbreitungskanäle nutzt als die üblichen massenmedialen Sendeformate – also in etwa so, wie Flusser diesen Begriff verwendet: “antipublizistische Publikation” (“Vom Verrat”, Schriften Bd. 1).



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    Vorhang auf für die nächste Web2.0-Studie aus der Marktforschung. Diesmal hat TNS Infratest MediaResearch nach dem Nutzungsverhalten im neuen Netz gefragt: “Werden die Menschen im ‘Mitmachnetz’ nun reihenweise von passiven Konsumenten zu aktiven, selbst produzierenden ‘Prosumenten’?” Das Ergebnis: Die Deutschen behandeln das neue Netz nach wie vor wie ein klassisches Medium und nutzen es weitgehend passiv. Nur neun Prozent der über 14-Jährigen fallen der aktuellen Umfrage nach in die Kategorie der Prosumenten, sind also “Nutzer, die Inhalte aktiv ins Internet hochladen, gestalten oder verändern”. Ich frage mich schon etwas, wie man zu der merkwürdigen Annahme kommen kann, die Nutzer würden sich auf einmal “reihenweise” in Web2.0-Prosumenten verwandeln. Und neun Prozent sind immerhin 5,7 Millionen Menschen.

    Darüber hinaus zeigt die Studie, dass die Prosumerisierung der Nutzer ganz eng mit dem Alter zusammenhängt: 4,3 Millionen der deutschen Web2.0-Nutzer fallen nämlich in die Altersgruppe der 14-29-Jährigen. Aber: ist es wirklich das Alter? Ist Web2.0 eine Jugendbeschäftigung? Oder trifft nicht doch eher eine Generationenthese zu, die eine zeitliche Abfolge in der Diffusion von Web2.0-Kulturmustern von den digitalen Eingeborenen zu den digitalen Einwanderern beschreibt? Die Beobachtung, dass der Prosumerismus ebenfalls eng mit der Höhe des Einkommens sowie dem Bildungsgrad korrelliert passt zumindest nicht ganz zu der Altersthese.

    Natürlich gibt es in der Studie auch ein paar Zahlen zu Weblogs:

    Sogenannte Weblogs oder Blogs, also Online-Tagebücher, werden von insgesamt 14 Prozent (9,1 Mio.) aller über 14-Jährigen zumindest gelegentlich gelesen (im Vergleich: Allensbach kam auf 18 Prozent). Eigene Weblogs werden allerdings nur von zwei Prozent (1,3 Mio.) der Bevölkerung veröffentlicht (ACTA: sechs Prozent, aber nur ein Prozent häufiger und zwei Prozent ab und zu).

    Auch hier finde ich das “nur” nicht ganz passend. Wenn tatsächlich 1,3 Millionen Menschen regelmäßig in Weblogs schreiben, ist das sehr viel (besonders im Vergleich mit den von blogcensus ermittelten gut 200.000 deutschen Blogs). Schließlich noch ein paar Zahlen zu social networks:

    Nach den vorliegenden Ergebnissen sind mittlerweile bereits knapp zwölf Prozent (oder 7,5 Mio.) der über 14-Jährigen in Deutschland Mitglied in mindestens einem dieser Online-Netzwerke. Bei den 14- bis 29-Jährigen sind es sogar 39 Prozent. Auch hier finden sich also die bereits erwähnten starken Zusammenhänge zwischen der Mitgliedschaft in einer solchen Community und den Variablen Alter, Bildung und Haushalts-Nettoeinkommen.

    (via w&v)



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    Sind Blogger wirklich anders als Journalisten? Gilt bei ihnen das Gebot der Aktualität weniger stark als in den klassischen Printerzeugnissen? Der Webrocker fragt provokant nach: “Denkt eigentlich noch jemand an ‘Free Burma’?” Und tatsächlich sieht es so aus, als sei nach der euphorischen Massenmobilisierung Anfang Oktober das Interesse der Blogosphäre verflogen. Der Free-Burma-Banner ist ein paar Tage lang auf dem Blog zu sehen gewesen und aufgeregt wurde über das Schicksal der mutigen Mönche berichtet, aber eben nur eine kurze Zeit lang. Oder wie Nils es formuliert: “Die Blogosphäre ist auch nicht besser, bzw. nicht anders als die “normalen” Print- und Äthermedien. Ein Thema ist interessant, in den Fokus gerückt, also wird es rauf- und runtergefahren, ausgelutscht und nach einiger Zeit weggeworfen. Das nächste Thema bitte!”

    Ich bin mir da nicht ganz so sicher. Wenn man sich die Nennung des Themas in den Blogs ansieht, so erkennt man natürlich, dass Bruma Anfang Oktober Hochkonjunktur hatte, aber dennoch: auch sechs Wochen danach ist das Thema in den Blogs immer noch stärker vertreten als vor der Aktion:

    burma.png

    Das ist doch gar kein so schlechtes Ergebnis, oder? Und es deckt sich auch mit unseren Befunden aus der Free-Burma-Umfrage, dass durch die Thematisierung in den Blogs das Bewusstsein für dieses Land gestiegen ist. Die Ergebnisse aus der Studie werden wir hier und in der Wissenswerkstatt in den kommenden Wochen detailliert vorstellen.



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    Ist es mir bisher nur nicht aufgefallen, oder ist es tatsächlich eine Neuentwicklung, dass Perlentaucher in seinem täglichen Newsletter auch “aus den Blogs” berichtet und zitiert?

    perlen.png



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    Das weltweite Netz ist nicht genug – zumindest, wenn es nach Tim Berners-Lee geht, der einer umfangreichen Graphisierung des WWW das Wort redet. Doch zunächst einmal zurück an den Anfang: Mit Netz ist, so Berners-Lee, in erster Linie die Vernetzung von Rechnern gemeint, die es ermöglicht, Nachrichten von einem Rechner zu einem anderen zu schicken, ohne sich Gedanken darüber zu machen, auf welchen Wegen die Nachricht letztendlich ankommt. Das Netz ist also die auf den TCP/IP-Protokollen beruhende Infrastruktur bzw. das Internet.

    Das WWW liegt wieder eine Ebene darüber, da hier nicht mehr die Rechner, geschweige denn die physischen Kabel, interessieren, sondern die Dokumente: “Now you could browse around a sea of documents without having to worry about which computer they were stored on. Simpler, more powerful. Obvious, really.” Das WWW ist ein Textuniversum.

    Darüber liegt aber noch eine weitere Ebene, auf der nicht mehr die Dokumente die Schlüsselrolle spielen, sondern die Dinge selbst:

    net-web-ggg.png

    Dahinter kann sich alles mögliche verstecken, ab wichtigsten jedoch: die Menschen: “Its not the Social Network Sites that are interesting — it is the Social Network itself. The Social Graph. The way I am connected, not the way my Web pages are connected.” In diesem Netz der Dinge – einem diskursiven Universum im weitesten Sinne – ist das Paradigma nicht mehr der Hyperlink, der zwei Texte miteinander verbindet, sondern z.B. die mit Mikroformaten wie XFN ausdrückbare Beziehung zwischen Dingen, Personen, Leidenschaften etc. oder mit Friends-of-a-Friend-Daten (FOAF) Berners-Lee schlägt vor, dieses Paradigma mit dem Begriff “Giant Global Graph” (kurz: GGG) zu bezeichnen. Eine URI bezeichnet nicht mehr zwangsläufig ein Dokument im WWW, sondern kann auch auf eine Person oder einen Gegenstand verweisen (ich würde hierfür den Begriff des Aktanten vorschlagen, der sich in der soziologischen Actor-Network-Theorie eingebürgert hat).

    Ich bin skeptisch, ob sich dieser Begriff durchsetzen wird. Aber die Idee, dass man mit jedem Schritt auf eine abstraktere Protokollebene Kontrolle abgibt und dafür neue Handlungsmöglichkeiten dazugewinnt, hat etwas. Nur fallen mir auf Anhieb nur wenige Beispiele für funktionierende Techniken des Umgangs mit sozialen Graphen dieser Art ein. Was ich bezeichnender für das neue Netz finde, ist die Tatsache, dass das Netz tatsächlich als Netz (oder von mir aus als Graph) wahrgenommen wird. Denn auf der Anwenderebene wurde das WWW nur selten wirklich als Netzwerk wahrgenommen, sondern eher als Menge von WWW-Seiten, die jeweils auf andere Seiten verweisen. Aber eben nicht als Ganzes. So hießen z.B. die Übersichten von Websites “Sitemap” – und eine “Karte” ist etwas ganz anderes als ein “Netzwerk”, dessen Punkte nicht räumlich verortenbar sind, sondern nur in der Beziehung zu ihren Nachbarn. Der Übergang zum social graph bezeichnet also eine Enträumlichung des WWW.

    Dazu gehört dann aber auch, und an dieser Stelle finde ich den Gedanken sehr verführerisch, die deutlichere Trennung der sozialen Netzwerke von der darunterliegenden Protokollebene des WWW: Ein social graph muss demnach nicht zwangsläufig auf dem WWW basieren, sondern kann auch in anderen Gebieten “wildern” wie z.B. der materiellen Umwelt, wie auch das WWW prinzipiell auch auf anderen Protokollen laufen könnte als den Internet. Und schon gar nicht passt es dazu, dass Netzwerke an Plattformen wie Facebook, Orkut, Xing etc. gebunden sein müssen. Der Giant Global Graph führt also zu einer Entmaterialisierung oder Idealisierung der sozialen Netzwerke.

    Weiterlesen zu diesem Thema:

    • Nicholas Carr fragt sich, ob das Denken in Graphen tatsächlich den Sprung von der Mathematik in den Alltag schaffen wird und ob Facebook tatsächliche eine neue Plattform darstellt oder doch nur eine Webseite.
    • Olaf Kolbrück ist sich nicht ganz sicher, ob die Bezeichnung GGG wirklich ernst gemeint ist, sieht aber durchaus die Notwendigkeit, einen Begriff für dieses Phänomen zu finden, der nicht nach Windows 3.1 klingt.
    • Siggi fühlt sich an eigene Gedanken über die Verteilung von Tupeln im Wissensraum erinnert.
    • Anna Zelenka bezweifelt, das wir Menschen tatsächlich von dem GGG-Paradigma profitieren, oder ob es nicht eigentlich nur an Computer adressiert ist.
    • Auch JD weist auf die Enträumlichung hin und stellt eine bezeichnende Nähe zum Korzybskischen Aphorismus “the map is not the territory” fest.
    • Konstantin Klein kann dem Paradigmenwechseln nicht viel abgewinnen, sondern sieht das Ganze nur als Hype.
    • Auch der Guardian ist skeptisch und zitiert Dave Winers Vorschlag, den mathematischen Jargon beiseite zulassen und Graphen einfach wieder Netzwerke zu nennen – womit man sich allerdings dem Risiko aussetzt, verstanden zu werden.


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  • Interaktive Fiktion auf Spreeblick

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    Ich sitze gedankenversunken an meinem Schreibtisch und verfasse einen Artikel für Spreeblick. Plötzlich stehen drei maskierte Männer im Raum. Noch bevor ich die Gefahr realisieren kann, werfen mich die Fremden zu Boden. „Widerstand ist zwecklos!“, nuschelt einer energisch durch seine schwarze Skimaske und binnen weniger Sekunden liege ich wie ein verschnürtes Paket auf dem Parkett. „Was wollt…“, beginne ich, doch der Satz endet abrupt mit einer geballten Faust auf meiner Nase und ich fliege zu den Sternen. Blackout.

    So fängt das interaktive Blogabenteuer an, das gerade auf Spreeblick läuft (“Geschätzte Spieldauer: 12 Jahre). Wer “Zork” geliebt hat, von “Hitchhiker’s Guide to the Galaxy” abhängig gewesen ist und auch heute noch ab und zu von “The Hobbit” träumt, sollte sich den Spaß nicht entgehen lassen. Zumal der Parser so genial programmiert ist, dass man fast meinen möchte, es steckte ein Mensch dahinter. Turing Test bestanden. Im Unterschied zu der alten interactive fiction lässt sich hier nach Lust und Laune cheaten, denn mittels Trackback kann man dem Charakter alle möglichen Dinge schicken. Auch ein Hund mit Origami-Lehrbuch im Maul ist im Bereich des Möglichen.



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    Bitte nicht fragen, was das mit Feng Shui zu tun haben soll, aber unter dem Namen “Feng Gui” gibt es einen Dienst, der auf Grundlage der Neurowissenschaften (das kommt natürlich immer gut) aus Webseiten oder hochgeladenen Bildern eine Heatmap erstellt. Darauf kann man dann erkennen, welche Elemente einem hypothetischen Nutzer besonders ins Auge fallen:

    * The ViewFinder Heatmap service creates a Saliency attention heatmap.
    The salience map creation is based upon neuro-science studies of visual Attention, Perception and Cognition of humans.
    Or in English: What people are looking at?
    * It captures a snapshot image of the requested website and generates a visual attention heatmap.
    * Heatmap – from dark blue through green to red, describing the temperature heat of the image heated by human eyes.

    Hier als Test eine Heatmap für dieses Blogs:

    Heatmap viralmythen

    Also: Die Nutzer gucken vor allem auf das “Hard Bloggin’ Scientist”-Logo in der oberen rechten Ecke. Sehr interessant sind auch die beiden Sinus-Milieus A12 (“Konservative”) und B1 (“Etablierte”), während B12 (“Postmaterielle”) und C12 (“Moderne Performer”) weniger spannend sind – klar, meine Leser kennen diese Milieus aus der eigenen Anschauung, oder? Gerne wird auch mein Portraitfoto angesehen, das Creative Commons-Button sowie der Titel des Blogs. Den habe ich aus diesem auch ziemlich groß geschrieben.

    Dasselbe noch einmal für mein Küchenblog:

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    Hier gucken die Leser zunächst auf den Genussblogs-Button, dann auf das Logo des gerade angelaufenen “They Go Really Well Together”-Blogevents. Außerdem auf die Headergrafik und, das überrascht mich doch etwas, auf die Leerfläche um den Titel herum. Warum gerade dahin? Als Entspannung? Wo der neurowissenschaftliche Algorithmus die Nutzer nicht hinblicken lässt: auf die beiden Menupunkte “Autoren” und “FAQ”, doch gerade die beiden gehören zu den meistaufgerufenen Seiten. Trotzdem: schönes Spielzeug.

    (via Endl.de + Dr. Web)



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    Als kurzer Nachtrag zu diesem Beitrag über Jugendszenen:

    Wunderbare Bilder auf “Your Scene Sucks

    (via Webadventures + Nerdcore)



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