Monthly Archive for Mai, 2008

Reichweite oder Relevanz?

Scott Karp empfiehlt John Batelles Buch “The Search” noch einmal zur eindringlichen Lektüre und arbeitet in diesem Beitrag einen zentralen Meilenstein in der Entwicklung von Googles Werbeprogramm AdWords heraus: 2002 hat Google sein Programm zum einen in Anlehnung an Overture von einem klassischen TKM-Modell zu einem Pay-per-Click-Modell umgestellt.

Damit entstand ein Auktionsmodell, in dem die Werbetreibenden in einer Auktion um Werbeplätze bieten konnten. Damit gilt also zunächst: Wer am meisten Geld für die Klicks bietet, bekommt die größte Reichweite. Aber: Reichweite allein genügt nicht, wenn sie nicht relevant ist!

Denn in diesen Auktionen kann sich jeder, vorausgesetzt die finanziellen Mittel sind da, an die Spitze bieten und damit das größte Publikum erreichen. Aber wenn diese Werbung niemanden interessiert, wird sie auch nicht geklickt. Das Ergebnis: Die Anzeige wird zwar sehr oft gezeigt, der Anzeigenkunde muss jedoch für diese Reichweite nicht zahlen. Ein schlechtes Geschäftsmodell.

Google ist dieser Problematik jedoch aus dem Weg gegangen, in dem eine weitere Metrik in die Berechnungen mit einbezogen wurde: die Click-through-Rate, also das Verhältnis der tatsächlich angeklickten zur insgesamt angezeigten Werbung. Die CTR geht eher in Richtung Relevanzmaß, da dieses Maß anzeigt, wie relevant die Werbung für die Nutzer wirklich ist – was sich dann zum Beispiel in den Adklicks zeigt.

In diesem Fall wurde also ein Reichweitenmodell erst dann richtig erfolgreich, als es mit einem Relevanzmaß verknüpft wurde. Die Reichweite allein hätte nicht funktioniert.

Ich glaube, dass sich eine ähnliche Entwicklung auch anderswo, zum Beispiel im Bereich Social Media, abspielen könnte. Auch hier wird momentan noch sehr stark mit Reichweitenmaßen gearbeitet. Die Frage, wie relevant diese Reichweiten überhaupt sind, hört man dagegen noch viel zu selten.

Ein schönes Beispiel bringt Anthony LaFauce:

Living in DC everyone wants to get into the Washington Post. The Post has an amazing reach and finds its way into the homes of people all around the country. Is that good? Sure every client I have ever had wanted to get in the Post but it wasn’t always in their best interest.

So what if the Post reaches half a million people a day, are they the right people? This is where social media can really shine even with a smaller metric.

Momentan fehlen allerdings die geeigneten Indikatoren, um diesen “Glanz” der sozialen Medien entsprechend vermitteln zu können.



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    Ein kurzer Hinweis in eigener Sache: Das nächste Treffen der Arbeitsgemeinschaft Social Media findet nächsten Mittwoch, 28. Mai, um 15:00 in Berlin statt. Dort werden wir einen Entschluss über die Höhe der Mitgliedsbeiträge treffen, den Arbeitsausschuss wählen und die unterschiedlichen Mitgliedsgruppen zusammenstellen. Ich bin gespannt, auf der Versammlung wieder viele neue Leute kennenzulernen. Mehr Informationen gibt es in der Terminankündigung und im letzten Newsletter der AG Social Media.

    Zum Ausprobieren habe ich auch einen FriendFeed-Raum für die AG Social Media eingerichtet. Dorthin kann man z.B. interessante Links zum Thema Social Media-Forschung posten.



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  • Twitter, Metcalfe’s Law und die Kommunikation mit verschwommenen Gruppen

    Metcalfe’s Law, Reed’s Law oder Geburtstagsparadox – es gibt mehrere Bezeichnungen für das Phänomen, dass Netzwerke exponentiell wachsen. Mit jedem neuen Mitglied erhöht sich die Anzahl der möglichen Kommunikationspartner (ähnlich gilt dies auch für die möglichen Untergruppen) nicht um eins, sondern um die Zahl der bisher vorhandenen Mitglieder.

    Genau das scheint auch das Problem zu sein, mit dem der Mikrobloggingdienst Twitter gerade zu kämpfen hat. Seit sich die Anzeichen dafür mehren, dass Twitter allmählich in den Mainstream einsickert, und dementsprechend mehr Menschen sich dort anmelden, hat die Leistung rapide abgenommen. Die vielen Ausfälle der letzten Tage (die SMS-Benachrichtigung scheint schon länger nicht mehr zu funktionieren) haben viele der digitalen Avantgarde zum Lifestreamanbieter Friendfeed getrieben (hier z.B. mein Feed). Robert Scoble ist dort, Loic Le Meur und Michael Arrington auch.

    Während die Direktnachrichten bei Twitter keine größeren Probleme darstellen dürften und auch die öffentliche Zeitleiste unproblematisch sein dürfte, liegt die Schwierigkeit darin, dass jede Freundesliste bei Twitter eine ziemlich einzigartige Kombination von Kontakten darstellt (das müsste man einmal genauer untersuchen). Hier ist deutlich erkennbar, was der deutsche Soziologe Georg Simmel Ende des 19. Jahrhunderts gemeint hat, als er die Individualität einer Person als Kreuzung unterschiedlicher sozialer Kreise bezeichnet hat.

    Das Problem von Twitter liegt womöglich in der ungleich größeren Herausforderung, Botschaften (“Tweets”) an jeweils ganz unterschiedliche Personengruppen zu senden. Twitter ist eben weder ein reines Kommunikationsmedium (Direktnachrichten), noch ein reines Broadcastmedium (Öffentliche Zeitleiste). Ja, es ist nicht einmal ein Gruppenkommunikationsmedium, als das, wofür Email ursprünglich entwickelt wurde, denn Personen, die auf eine Twitternachricht von mir reagieren, senden ihre Antworten wiederum an eine ganz andere Gruppe. Twitter ist Kommunikation zwischen verschwommenen, unscharfen Gruppen (fuzzy groups). Genau das ist der Reiz des Mediums, aber vermutlich auch die neuartige technische Herausforderung.



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  • Was ist ein Blog?

    Ich habe es schon über Twitter gepostet, aber der Vollständigkeit halber füge ich diese Abbildung auch noch in mein Blog ein. Gesucht war eine möglichst verständliche Antwort auf die ewige Frage “Was ist ein Blog?” Wenn ich das Prinzip “Blog” auf vier Punkte reduzieren müsste, wären es die folgenden (Klick zum Vergrößern):

    Für mich ist insbesondere der zweite Punkt wichtig: Im Grunde genommen sind Blogs so etwas wie geronnene Datenströme, die jederzeit wieder “aufgetaut” werden können und in ganz andere Formen gebracht werden können (Stichwort: Data Portability). Dieser Punkt wird vor allem in der “The Conversation has left the Blogosphere”-Diskussion deutlich, als auf einmal klar wurde, dass man gar nicht mehr überblicken, geschweige denn kontrollieren kann, wo die eigenen Bloginhalte (als Ströme) auftauchen und von anderen kommentiert werden.



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  • Internetwerbung legt weiter zu

    Der Branchenverband Interactive Advertising Bureau hat zusammen mit PricewaterhouseCoopers die aktuellen Zahlen für die Entwicklung der Internetwerbung in den USA vorgestellt (hier geht’s zum kompletten Bericht). Insgesamt hat dieser Bereich zwischen 2006 und 2007 ein beeindruckendes Wachstum von 17 Mrd. auf 21 Mrd. USD gezeigt. Damit kann die Internetwerbung erneut auf ein Rekordjahr zurückblicken. IAB-LeiterRandall Rothenberg kommentierte die Entwicklung wie folgt:

    Explosive innovation in the industry is providing marketers with new and unique ways to reach consumers—it’s a very exciting time.

    Die Einnahmen durch Onlinewerbung liegen zwar noch deutlich hinter der Fernsehwerbung (31 Mrd. USD) und der Zeitungswerbung (49 Mrd. USD), hat aber mittlerweile Radio (21 Mrd. USD) und Kabelfernsehen (20 Mrd. USD) hinter sich gelassen.

    Deutlich expandiert konnten der Bereich rich media. Wurden 2006 erst 7 Prozent der Werbeeinnahmen im Internet über Videos, Animationen und Audioclips erzielt, waren es 2007 bereits 10 Prozent. Auch die Werbung über Suchmaschinen, die 2006 bereits den größten Umsatz erzielte, konnte von 40 auf 41 Prozent leicht zulegen. Zum Thema Blogs und Social Media findet man in dem Bericht allerdings nichts. In absoluten Zahlen dürfte es sich um eine kleine Nische handeln, aber die Entwicklung wäre interessant zu beobachten.

    Unter den Pricing-Modellen lässt sich ein leichter Trend in Richtung Leistungsorientierung feststellen: 51 Prozent der Einnahmen werden mittlerweile auf diese Weise erzielt (2006: 47 Prozent) und nur noch 45 Prozent über CPM- oder Abrufmodelle (2006: 48 Prozent). Allmählich scheint sich in der Industrie also herumzusprechen, dass Leistungsmodelle den großen Vorteil haben, eine unmittelbare Aussage über den Erfolg einer Werbemaßnahme zu treffen und relativ robust gegenüber künstlich generierten Trafficströmen sind. Zudem sind das die Modelle, die einer entwickelten digitalen Konsumgesellschaft momentan am besten entsprechen. (via Media Bullseye)



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    Ein Hinweis in eigener Sache. Ich wurde gefragt, ob ich anlässlich der Münchener Tagung “Netnography08” am 12. Juni etwas zu aktuellen Entwicklungen in der Welt der Communities, Foren, Blogs und Online-Portale erzählen möchte. Da ich mich gerade sowieso mit diesem Thema auseinandersetze und zu gerne einmal den Doyen der Internetethnographie und begeisterten Blogger Robert Kozinets live erleben möchte, habe ich zugesagt, einen Workshop zum Thema “Twitter als (n)etnographisches Feld” abzuhalten.

    Denn spätestens seit Anwendungen wie dem wunderbaren Emotool Twistory, den diversen Buzz-Maßen wie Twist oder seit Mario Scheuermanns kurzen Analysen von Weinsorten-Tweets ist mir klargeworden, was für eine faszinierende Datenquelle das Gezwitscher der mittlerweile über eine Million Twitternutzer – mich eingeschlossen, siehe twitter.com/furukama – darstellt. In meinem Workshop werde ich je nach Vorwissen der Teilnehmer einen kurzen Überblick über Twitter geben (und bei der Gelegenheit hoffentlich noch einige zur Konversion bewegen können) und anschließend ein paar Gedanken und praktische Beispiele zur Twitter-Ethnographie präsentieren – ich bin zwar nur Nebenfach-Ethnologe, aber trotzdem.

    Natürlich dürfen auch ethische Erwägungen nicht zu kurz kommen, denn man hat es hier schließlich zum Teil mit recht persönlichen Äußerungen zu tun. Hier gilt es, die üblichen ethnographischen Standards – zum Beispiel Offenlegung der eigenen Ziele, Anonymisierung der Äußerungen, Rückkopplung der Ergebnisse an die Befragten – ernst zu nehmen. Wer Lust hat, sich mit mir zum Thema angewandte Twitterforschung auszutauschen, sollte sich den 12. Juni schon einmal vormerken – oder am besten gleich anmelden, denn bis Donnerstag gilt noch der Frühbuchertermin.



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    Eigentlich hätte ich an diesem Pfingstmontag etwas ganz anderes tun wollen als vor dem Computer zu sitzen und mich mit Datenbankexporten und -importen etc. auseinanderzusetzen. Aber aus irgendeinem Grund ist der MySQL-Datenbankserver meines Webhosters, auf dem sowohl die viralmythen- als auch die Metarolldaten liegen, nicht mehr zugänglich. Ab und zu komme ich über phpmyadmin auf den Server und kann dann z.B. Tabellen exportieren. Dann ist der Server wieder stundenlang nicht erreichbar: “Too many connections” heißt es dann, obwohl sich die HTTP-Zugriffe laut Logfile in Grenzen halten.

    Ich habe jetzt die Tabellen kurzerhand auf einen anderen Datenbankserver aufgespielt. Bei den viralmythen ging das wunderbar, bei der Metaroll wurden leider die Umlaute in Mitleidenschaft gezogen. Obwohl sie über phpmyadmin korrekt angezeigt werden (UTF-8), kommen bei mir im Browser nur Rauten an. Sieht das bei euch genauso aus? Hat vielleicht jemand eine Ahnung, was man in so einem Fall anstellen kann?

    Ansonsten: Mal sehen, ob der Support mir etwas über die Herkunft der “too many connections” erzählen kann. Über den anderen Server (allinkl) scheint es ansonsten ganz rund zu laufen.



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  • Blogclouds: Die dynamischsten Wissenschaftsblogs II/08

    Blogcharts überall: Die Deutschen Blogcharts wurden aktualisiert (was diesem Blog den erfreulichen 100. Platz einbrachte), die Wissenschaftsblog-Charts des Wissenschafts-Cafés gibt es in einer neuen Ausgabe und auch die Medienblogcharts wurden auf den jüngsten Stand gebracht (unter dem schönen, wenn auch nicht ganz zutreffenden Titel “Bloggerland scheint ausgebrannt“. Deshalb hier ebenfalls ein Blick auf die aktuellen Veränderungen in der Blogdynamik.

    Kurze Erklärung: Diese Blogclouds zeigen den Zuwachs der Verlinkungen (gemessen durch Technorati) in den letzten 30 bzw. 7 Tagen. Dabei handelt es sich um den absoluten Zuwachs, das heißt: wenn ein Blog von 2 auf 12 Punkte klettert wird das genauso gewertet als ein Blog, das von 202 auf 212 Punkte wächst. Junge Blogs haben dadurch einen leichten Vorteil, da sie nur zulegen können, denn Technorati misst die Links innerhalb von sechs Monaten. Erst mit einem Alter von mehr als sechs Monaten können Blogs Links verlieren. Je größer der Name des Blogs in der Blogcloud, desto größer der absolute Zuwachs.

    Hier die aktuelle Blogcloud der Wissenschaftsblogs:

    Die 25 dynamischsten Wissenschaftsblogs (30 Tage)

    Viel hat sich nicht geändert in den letzten zwei Wochen. Die meisten Blogs sind also auf ihrem Wachstumskurs geblieben. Neu dabei ist das Scholarz-Blog, das Begleitblog zu einer an der Uni-Würzburg entwickelten Forschungs-Social-Software. Dieses Blog hier hat ebenfalls ein deutliches Wachstum hingelegt. Ansonsten setzt sich die Blogcloud immer noch zur Hälfte aus Scienceblogs zusammen, die eine wachsende Aufmerksamkeit in der Blogosphäre auf sich ziehen konnten. In den letzten 30 Tagen hat die gesamte Subblogosphäre der Wissenschaftsblog weiter zugelegt und 603 Links dazugewonnen (fast 15 Prozent).

    Ein anderes Bild ergibt sich, wenn man nur die Entwicklungen der letzten sieben Tage betrachtet:

    Die 25 dynamischsten Wissenschaftsblogs (7 Tage)

    In diesem Zeitabschnitt haben andere Blogs wie zum Beispiel das Weiterbildungsblog “Informelles Lernen“, das Blog der “Forschungsgruppe Kooperationssysteme” der Bundeswehruniversität Neubiberg, die Klimalounge, die soeben durch eine spektakuläre Wette Aufsehen erregt hat, sowie die Kulturwissenschaftliche Technikforschung. Vielleicht schaffen es ja einige dieser Blogs ihr Moment auch in die Monatswertung einzubringen.



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  • Die Nominierten für den Grimme Online Award 2008u.a.

    Einmal mehr ein Beispiel, wie Nachrichten mittlerweile über Twitter zuerst verbreitet werden. Bevor auf der Seite des Grimme Online Awards die Liste der Nominierten zu sehen ist und noch während die Nominierten auf der Grimme-Pressekonferenz bekannt gegeben werden, war die Liste bereits über Twitter verbreitet worden (alle Angaben ohne Gewähr):

    Kategorie Information

    Geo.de Raja Ampat (Gruner + Jahr)
    graumarktinfo.de (Gruner + Jahr)
    netzpolitik.org (Markus Beckedahl)
    Störungsmelder (u.a. Holtzbrinck)

    Kategorie Wissen und Bildung

    einestages (Spiegel)
    kids-hotline (Kinderschutz und Mutterschutz e.V.)
    Kinder-Reiseführer (SWR)
    neuneinhalb (WDR)
    Weltreligionen (WDR)
    zeitzeugengeschichte.de (Metaversa e.V.)

    Kategorie Kultur und Unterhaltung

    FAZ Reading Room “Die Wohlgesinnten” (FAZ)
    Literaturport (Brandenburgischer Literaturverein / Literarisches Colloquium Berlin e. V.)
    ROOTS&ROUTES TV (Jugendfilmclub Köln e. V.)
    undertube.tv (Daniel Poli)

    Kategorie Spezial

    Hobnox.com (Hobnox AG)
    Sandra Schadek ALS (Sandra Schadek)
    ZDF Mediathek (ZDF)

    Klar, in diesem Fall lohnt sich der Blick darauf nicht besonders, da es sich um eine wenig mutige, wenn nicht sogar belanglose Zusammenstellung von Webangeboten handelt, bei der man eigentlich nur darüber diskutieren könnte, ob so das eine Überraschung oder nicht vielmehr erwartbar gewesen ist. Besonders schade: in den Kategorien Information und Wissen wurden fast nur Webangebote von großen Verlagen oder öffentlich-rechtlichen Rundfunkanstalten nominiert. Schade, hat doch die Ausschreibung betont, dass dank Web 2.0 mittlerweile auch Privatleute und kleine Unternehmen in einer Liga mit den großen Spielen können.



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  • Flusser, Twitter, Lobo – für ein dialogisches Fernsehen

    Eine der intelligentesten Analysen des Fernsehens hat der kosmopolitische Medienphilosoph Vilém Flusser 1974 unter dem Titel “Für eine Phänomenologie des Fernsehens” vorgelegt. Darin versucht er sich durch die Ausblendung alles Vorwissens (bei Husserl heißt das Epoché oder Innehalten, Enthaltung) das Wesen des Fernsehens zu beschreiben, wie es sich dem Phänomenologen unmittelbar präsentiert (“Unter den Möbeln eines Wohnraums steht eine Kiste. Sie hat ein fensterähnliches Glas und verschiedene Knöpfe …”).

    Das Fernsehen erscheint aus dieser Betrachtungsweise als “Fenster zum Blicken auf die Welt”, ein Fenster, das in manchen Punkten dem klassischen Fenster überlegen ist (Möglichkeit der Vergrößerung und Verkleinerung von Dingen sowie eine unbeschränkte Aussicht). In anderen Punkten ist der Fernseher dem gewöhnlichen Fenster unterlegen, denn er unterbricht den Dreischritt Orientierung (Ausblick), Engagement (Vorstoß durch die Tür), Einkehr (Rückkehr in die vier Wände). Fernsehen ist passiv.

    Noch spannender sind die politischen Mängel des Fernsehens, also diejenigen, die mit dem Verhältnis von Privatsphäre und Öffentlichkeit zu tun haben. Zunächst einmal ermöglicht das Fernsehen z.B. Politikern, das private Wohnzimmer der Leute zu betreten. Aber diese Beziehung ist minderwertig, denn:

    Erstens erlaubt die Kiste, die den Politiker in den Privatraum projiziert, keinen Dialog mit ihm, und der Dialog ist die Struktur des politischen Lebens. Und zweitens sind die Millionen von Kisten, die in der Gesellschaft verteilt sind, zwar alle mit demselben Sender (dem Politiker), aber nicht untereinander verbunden. Sie erlauben also keinen Dialog zwischen den Empfängern [...] Es führt einerseits zur Vereinsamung, zur Entpolitisierung des Empfängers und andererseits zur allgemeinen Invasion des Privaten, zum Totalitarismus.

    Gestern abend habe ich erlebt, wie dieser Mangel kurzzeitig korrigiert werden konnte. Durch Twitter. In der “Kiste” kam eine Sendung von Menschen bei Maischberger, bei der auch Sascha Lobo, einer der aktivsten Twitterer zu Gast war. Dementsprechend groß war die Aufmerksamkeit auf Twitter. Die vielen maximal 140 Zeichen langen Botschaften lieferten genau den Dialog zwischen den Empfängern, den Flusser im Fall des nackten Fernsehens so vermisst. Und dazu kommt, dass auch einer der im Fernsehen erscheinenden Protagonisten per Twitter direkt ansprechbar war und seinerseits den eigenen Auftritt im Fernsehen zeitversetzt kommentieren konnte.

    Die kurzen Kommentare der Twitter-Zuseher reichten von Politik

    Ach so, Steuern haben nix mit Abgaben zu tun. Politiker sind Fachidioten mit Scheuklappen. Im Realleben laufen solche Leute vor die Wand

    über Ästhetik,

    möglicherweise wurde @saschalobo nur als roter Teppich eingeladen. was fatal wäre. #laufenüberiro

    Wissenschaft

    “Diskontinuierliche Arbeits- und Erwerbsbiographien” wären das Stichwort! #saschalobo #maischberger

    oder Rhetorik

    @saschalobo guter einstieg, angenehmes tempo

    Eine mögliche Nebenfolge des intensiven Begleittwitterns ist, dass die bei solchen Ereignissen übliche Aufarbeitung der Sendung in den Weblogs bisher eher schleppend voran geht.

    Unabhängig von der Frage, ob man in 140 Zeichen tatsächlich einen politischen Dialog führen kann, halte ich dieses Experiment für gelungen. Um die 50 Personen sehen gemeinsam eine Fernsehsendung und verwandeln sie durch ihr Getwitter von einem starren diskursiven Broadcast in einen Dialog. Die zweite Einseitigkeit – also das Fehlen einer Verbindung zwischen Empfängern und Sender – wird dadurch vermutlich nicht beeinflusst. Aber ich hoffe, dass früher oder später vielleicht auch die Rundfunkverantwortlichen dieses dialogische Potential entdecken werden, das unendlich wirkungsvoller und ehrlicher ist als die oft so dämlichen Zuschaueranrufe, die von Redakteuren ausgewählt und ins Studio durchgestellt werden.

    Ein dialogisches Fernsehen wäre ein sinnvoller Auftrag für das öffentlich-rechtliche Fernsehen. Vielleicht sogar der einzige, der geblieben ist.

    Wer mir auf Twitter folgen möchte, kann das hier tun.



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