Monthly Archive for Juli, 2008

Zweitverwertung

Auch das zweite Interview, das ich im Funkhaus des Bayerischen Rundfunks gegeben habe, kann man sich jetzt als Podcast anhören. Darin erzähle ich, sofern ich mich noch richtig erinnere, etwas darüber, warum Blogs keine Massenmedien sein müssen und dass Relevanz nicht immer notwendig dasselbe ist wie Reichweite.

Insofern geht der Aufmacher des BR in eine völlig falsche Richtung:

Wenn es im Internet beachtenswerte Beiträge zu Debatten gibt, dann meist als zweitverwertete Stücke aus Radio, Fernsehen oder Zeitung. Derweil dämmern die deutschen Blogs vor sich hin [...]

Der Fehler liegt darin, dass von vornherein “beachtenswerte Beiträge” nur dann als solche wahrgenommen werden, wenn sie sich auf Debatten beziehen, die a) auch in den Massenmedien rezipiert werden und b) eine große Reichweite haben. Aber für diesen Blogeintrag liegen die Kritiker natürlich richtig. Das hier ist nichts anderes als Zweitverwertung eines Radiobeitrags.



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    Ohne die Debatte noch einmal aufwärmen zu wollen, gibt es doch noch den einen oder anderen Punkt zur Frage der politischen Blogosphäre zu sagen. Der Spiegel-Artikel ist nicht das erste Mal, dass das Fehlen einer politischen Bloggergegenöffentlichkeit kritisiert wurde. Dies Aussage wird dann schnell mit anekdotischer Evidenz belegt, nämlich, dass man so wenige Blogs in Deutschland findet, die sich mit Politik befassen. Stattdessen interessieren sich die Blogger, so scheint es, eher für Technik, Essen und Mode.

    Davon ganz abgesehen, dass dasselbe Argument selbstverständlich auch für die Print-Welt gelten würde, denn: Wieviele Politikmagazine kommen auf all die Technik-, Essens- und Modezeitschriften? Ist der Anteil hier tatsächlich größer als in der Blogosphäre? Ich bezweifle das.

    Nein, mein Punkt ist ein anderer. Bloggen ist doch im Prinzip nichts anderes als das Öffentlich-Machen von Privatem. Ganz gleich, ob es sich um Meinungen, Gedanken, Gefühle oder Beobachtungen. Immer wird etwas aus dem Innersten herausgeholt und an die Öffentlichkeit – ganz gleich, wie groß diese sein mag und aus wem diese besteht – gebracht. Diese Dinge werden publiziert, also publik gemacht, mit Hilfe eines Mediums. Durch diese mediale Rahmung werden sie erst zu Inhalten (“Content”).

    Dieser Akt des Sich-selbst-Publizierens ist ein hochgradig politischer Akt. Ich behaupte: Man kann gar nicht unpolitisch bloggen. Immer geht es um die Grenze zwischen Privatem und Öffentlichen. Oft nur implizit, häufig aber auch explizit, nur wird dies oft mit “Selbstreferentialität” verwechselt. Auch wenn sich nur die wenigsten Blogs mit der Parteienpolitik befassen – hier gibt es in der Tat deutliche Unterschiede zu den USA oder zu Frankreich – ist das Politische in einem viel grundlegenderem Sinn immer Thema.

    Als These würde ich das wie folgt formulieren: Blogs sind zur Zeit eine der wichtigsten subpolitischen Arenen, auf denen die Grenze zwischen Privatheit und Öffentlichkeit verhandelt werden. Dies erkennt man negativ gewendet in den Horrorgeschichten um Identitätsklau oder onlineverursachte Karrierebrüche und positiv gewendet an den vielen neuen Tätigkeitsfeldern, die sich mit dieser Grenze in ihrer digitalen Ausprägung befassen, wie zum Beispiel dem Reputationsmanagement.

    In der nicht-digitalen Welt ist die Grenze zwischen privat und öffentlich sehr viel deutlicher markiert: Man tritt aus der Haustür und ist im Prinzip ein öffentlicher Mensch. Wo aber sind die Haustüren in einer Gesellschaft, in der eine Vielzahl von Tätigkeiten, privat wie beruflich, über das Internet abgewickelt werden?

    Nachtrag: Jetzt klicke ich in der WordPress-Oberfläche auf “Veröffentlichen”, eine Geste, die in naher Zukunft möglicherweise einen tieferen politischen Gehalt haben wird als das Ausfüllen eines Wahlzettels.

    (Bild “Die Eisenbahn” von Honoré Daumier, 1855, Quelle: Zeno)



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    Die Zukunft wird sprechen (Goya 1803-24)

    Die Zukunft wird sprechen

    Was mir gestern auf dem Heimweg von dem Interview im Bayerischen Rundfunk, das natürlich mal wieder viel zu schnell vorbei gewesen ist, noch eingefallen ist: Das Thema der (mangelnden) Relevanz von Weblogs (siehe insbesondere hier, hier und diese Übersicht) zeigt eigentlich nur eines, nämlich, dass die Massenmedien das Prinzip Blog immer noch nicht annähernd verstanden haben.

    Mittlerweile haben sie ein Verständnis für Onlinepublikationen entwickelt, sie lernen langsam, aber sicher das Verlinken, nutzen die Instrumente des Web 2.0. Aber von Weblogs haben sie keine Ahnung. Denn wenn man liest, an welchen Stellen aus der Sicht von Spiegel et al. Weblogs noch nicht ausgereift genug sind, um ihrer Bestimmung nachzukommen, dann wird auf einmal klar: Anerkennung würden Blogs erst dann finden, wenn sie genau so aussehen würden wie Spiegel Online, Focus Online oder Zeit Online. Mit Redaktion, professionellen Grafikern und dpa/ap-Meldungen. Ihr Erfolg würde sich dann darin messen lassen, eine ähnliche Reichweite zu besitzen wie die genannten Onlinepublikationen.

    Genau darum geht es aber im Falle der Blogs gar nicht.

    Nur die allerwenigsten Blogs werden jemals eine ähnliche Reichweite ausweisen können wie die großen Onlinemagazine. Das ist in den USA übrigens nicht anders. Die Blogs, die sich dann tatsächlich in Massenmedien verwandeln, werden allerdings auch nach einer ganz ähnlichen Logik arbeiten, mit einer Redaktion usw. Die meisten Blogs richten sich an sehr viel kleinere und vor allem speziellere Öffentlichkeiten zwischen 2 und 2.000 Personen. Keine Massenmedien, aber in ihrer Gesamtzahl durch die vielen sich überlappenden Öffentlichkeitsfragmente, die erreicht werden, durchaus ein Medium von Gewicht. In einigen Fällen werden dann sogar durch Vernetzung und virale Effekte Kampagnen möglich, die ein quasi-massenmediales Publikum erreichen können.

    Bloggerinnen und Blogger sollten gar nicht – und in den wenigsten Fällen tun sie das – den großen Onlinemagazinen nacheifern, denn sie befinden sich historisch gesehen im Augenblick auf der richtigen Seite des Medienwandels. Ich spreche hier gerne von einem Metawandel, da es nicht nur um den Wandel einzelner Medien geht wie zum Beispiel im Fall der Onlineaktivitäten von Zeitungen und Zeitschriften, sondern weil sich meiner Ansicht nach das gesamte Koordinatensystem der Medienlandschaft ändern wird unter anderem in Richtung fragmentierte Öffentlichkeiten, kurzfristige Themenaffinität, dialogische Informations- und Wissensstrategien.

    Blogs sind, was diese Themen Entwicklungen angeht, auf lange Sicht zukunftssicherer als der Versuch, die massenmediale Logik und ihre Reichweiten einfach ins Internet zu übertragen.

    (Abbildung: Zeno.org)



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    Gleich mache ich mich auf zum Rundfunkplatz 1 (wird es irgendwann einmal auch einen Social-Media-Platz geben?), um auf on3radio, der Jugendwelle des Bayerischen Rundfunk, etwas über Politik in Weblogs und die Unterschiede zwischen Deutschland und den USA zu erzählen. Ich bin ja einmal gespannt, wieviel aus dem Fragenkatalog der Vorankündigung sich zweimal sieben Minuten Interview packen lassen:

    In den USA prägen Blogs wie “Huffington Post” die Tagespolitik. In Deutschland übernehmen diese Aufgabe immer noch und fast ausnahmslos die klassischen Medien. Wenn es im Internet beachtenswerte Beiträge zu Debatten gibt, dann meist als zweitverwertete Stücke aus Radio, Fernsehen oder Zeitung. Derweil dämmern die deutschen Blogs vor sich hin, im aktuellen Spiegel werden sie als “unpolitisch und rechthaberisch, selbstbezogen und unprofessionell” bezeichnet. Wir fragen uns: Stimmt das? Und wenn ja: Woran liegt das?

    Dr. Benedikt Köhler von der Universität der Bundeswehr München ist Soziologe mit Interessensschwerpunkt auf der Soziologie des Internets – und selbst Blogger. Heute ist er bei uns um Studio und wird sich mit Laury über deutsches Internet und deutsche Blogs unterhalten. Sind die deutschen Blogs, die deutschen Blogger wirklich so schlecht? Ist die Tatsache, dass in Deutschland nur wenige etablierte Journalisten ins Internet flüchten, anders beispielsweise als in Frankreich und den USA, nicht eigentlich ein Kompliment für die hiesige Medienlandschaft? Brauchen wir vielleicht gar keine Debatte im Internet, weil wir schon eine haben: in Radio, Fernsehen und Zeitung, mit Meinungen vom rechten bis zum linken Rand der politischen Lager? Wollen es die deutschen Internetnutzer vielleicht gar nicht anders, ist Politik im Internet für sie eher schnelle Information als große Diskussion? Und welche Rolle spielt das deutsche Parteiensystem, das nicht nur Demokraten und Republikaner kennt, sondern auch kleinere Parteien, die immer wieder neue Aspekte in große politische Debatten einbringen?

    Eines dürfte aber klar sein: Der These, die deutschen Blogger seien “unpolitisch und rechthaberisch, selbstbezogen und unprofessionell” kann ich in dieser Form nicht zustimmen. Zumal es den deutschen Blogger oder die deutsche Bloggerin sowieso nicht gibt. Überhaupt: Je mehr sich das Medium Blog durchsetzt, desto schwieriger wird es, Gemeinsamkeiten zwischen den Nutzern zu finden. Ich kann mir durchaus vorstellen, dass BloggerInnen früher oder später nicht mehr sehr viel mehr gemeinsam haben als die Briefe-Schreiber früher oder die Handynutzer heute. Was meint ihr?

    Das Gespräch wird zwischen 17 und 18 Uhr hier auch online übertragen.



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    Meistens sind es gar nicht die neuen Gedanken, die einen brillianten Denker ausmachen. Oft ist es viel mehr die Fähigkeit, einen Gedanken so zu formulieren, dass seine Bedeutung, seine Folgen deutlich werden. Ein gutes Beispiel dafür ist die Definition von “Kultur” wie auch “Kommunikation” (beide Begriffe gehören hier eng zusammen), wie sie Vilém Flusser vornimmt:

    Denn worum geht es in der menschlichen Kommunikation? Es geht darum, erworbene Informationen zu speichern, zu prozessieren und weiterzugeben.

    In diesem Satz steckt ein zutiefst antibiologisches Menschenbild. Der kommunizierende oder kulturschaffende Mensch lehnt sich gegen die Natur auf. Warum? Weil er damit bewusst gegen zwei Grundgesetze der Naturwissenschaften verstößt.

    Auf der einen Seite gegen den zweiten Hauptsatz der Thermodynamik, der besagt, dass das Universum immer wahrscheinlicher, immer gleichmäßiger verteilt wird, dass also die Unordnung oder Uninformation auf lange Sicht zunimmt. Das Speichern von Informationen ist genau das Gegenteil davon. Das steckt bereits im Begriff der In-Formation, des Einprägen einer Form in einen Gegenstand. Also: Herstellen von Ordnung.

    Auf der anderen Seite verstößt dieser Kultur- und Kommunikationsbegriff gegen die Mendelsche Regel, dass erworbene Informationen nicht genetisch weitergeben werden können. Kultur vererbt dagegen auch erworbene Informationen. Flusser bezeichnet dies treffend als Engagement gegen den eigenen Tod, so wie man auch den ersten Punkt als Engagement gegen die Unordnung – Philip K. Dick-Lesern auch als “Kipple” bekannt – lesen kann. Dennoch ist der Mensch beiden Prozessen unausweichlich ausgesetzt. In diesem tragischen Spannungsfeld findet menschliche Kommunikation statt. Kein Wunder, dass Flusser seine Kommunikologie als Forschungsfeld von universeller und grundlegender Bedeutung ansah.

    Was mich jetzt besonders interessiert und weshalb ich denke, dass es eine Philosophie der sozialen Medien geben müsste (wenn es sie nicht schon gibt): Welche Schlüsse lassen sich daraus für soziale Medien (social media) ziehen? Sind Blogs, Facebook-Profile, Twitter-Statusmeldungen und Lebensströme (man beachte den Namen!) wie Friendfeed nicht ebenfalls aus dieser Perspektive zu betrachten? Nur sind es nicht mehr außergewöhnliche Individuen (Künstler) oder professionell dafür zuständige Menschen (Journalisten), die sich um diesen anti-entropischen Prozess kümmern, sondern ganz gewöhnliche Leute.

    Welche Folgen hat diese Potenzierung der Kommunikationen? Auf der einen Seite könnte man positiv sagen, dass Computer und Internet noch viel mehr Scheinerfolge im Kampf mit der Entropie erlauben. Auf der anderen Seite ist jede derartige Ausweitung immer auch auf inflationäre Effekte zu befragen. Wird dadurch, dass ich immer mehr Handlungen meines Lebens über das Netz vermittle, nicht der Informationswert sinken? Wenn jeder bloggen würde, wäre das negative oder positive Entropie?

    Es heißt immer wieder: Das Internet vergisst nichts. Handelt es sich hier vielleicht um das bislang heroischste Projekt des Menschen in der Auseinandersetzung mit seiner eigenen condition humaine?



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    Massengesellschaft

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    Schon vor längerer Zeit hatte ich Christiane versprochen, einen Gastbeitrag für ihr KoopTech-Blog zu verfassen. Nun bin ich endlich dazu gekommen und habe meine Gedanken zum Thema “Messen nach dem Ende der Massengesellschaft – über Reichweiten- und Relevanzmaße” niedergeschrieben. Darin versuche ich, das Thema Social Media Measurement aus drei Perspektiven – der Messtheorie, Goodhart’s Law und Gesellschaftstheorie – näher zu beleuchten. Hier geht’s zum Artikel.

    (Abbildung “So many ducks… Ducking hell” von Gaetan Lee, CC-Lizenz)



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    Vor geraumer Zeit war ich im imposanten Funkhaus des Bayerischen Rundfunks (erbaut 1974-76 von Helmut von Werz) zu Gast. Dort habe ich mit Armin Hirsch für den Zündfunk über Twitter unterhalten. Genauer: Über die These von Robert Scoble, ohne eine große Zahl von Twitterkontakten würde man das Leben verpassen. Er nennt das “great friend divide“.

    Ausschnitte des Interviews kann man in der Netzwerk- und Computerkolumne von Bayern 5 als Podcast hören, darin unterscheide ich ausgehend von Jan Schmidts drei Grundfunktionen des Bloggens sowie den Ergebnissen der Blogstudie 2007 (pdf) ein klein wenig flapsig zwischen drei Idealtypen von Web-2.0-Nutzern unterschieden: Infojunkies, Networker und Selbstdarsteller. Dazu an dieser Stelle später mehr.

    Jetzt habe ich endlich auch die Transkription des Zündfunk-Gesprächs gefunden.



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    Begleitend zum Neustart eines weiteren Blogs über Urbanismus und Architektur in Bayern, das ich als Ort für meine zahlreichen Architurbilder eingerichtet habe, hier der Hinweis auf einen wunderbar klaren und verständlichen BBC-Vortrag mit dem Titel “Is the World Really Shrinking?” der britischen Geographin Doreen Massey aus Manchester.

    Darin setzt sie sich gegen den vor allem in den 1990ern verbreiteten banalen Globalismus à la Thomas L. Friedman und Kenichi Ohmae zur Wehr, der behauptet hatte, durch die ökonomische Globalisierung und die digitale Ökonomie würden alle nationalen Unterschiede eliminiert und die Erde zu einem einzigen flachen Sozialraum integriert. Zunächst stellt sie fest, dass das “Schrumpfen” des Erdballs stark davon abhängt, welche Gegend man betrachtet und vor allem wer man ist.

    Ich würde sagen, dass es sich hier um ein dialektisches Verhältnis handelt – eine Dialektik der Globalisierung. Während zum Beispiel der Interkontinentalverkehr stark zugenommen hat und Distanzen wie München-New York tatsächlich geschrumpft sind, führt die Reorganisation von Fahrplänen und Streckenplänen dazu, dass kleinere Städte in der Provinz teilweise sogar weiter weg liegen als noch vor 20 Jahren – am einen Ort wird der Flughafen erweitert, am anderen ein Bahnhof vom ICE-Netz abgetrennt. Zudem gilt dieses Schrumpfen (Tony Giddens spricht von “time-space compression”) nicht für jeden im selben Maß. Zwar mag es durch die Europäische Integration für uns Europäer leichter geworden sein, von einem Land ins andere zu fahren. Aber wenn man einem Nordafrikaner etwas von der Einebnung der räumlichen Distanz zwischen Afrika und Europa erzählt, wird er wohl nur darüber lachen können.

    Statt von einem Zusammenschrumpfen der Distanz und dem Entstehen einer flachen, geographie-losen Erdoberfläche sollte man also besser von Falten und Zerknittern sprechen, wie Massey bemerkt:

    “Distance” – in the sense of ease of connection – is not simply shrinking – it’s more like it is crumpling in all kinds of uneven and unequal ways.

    Dabei sind es keine unpersönliche Kräfte oder gar Naturgewalten, die hier Regionen, Städte und Räume umherschieben wie damals die Gletscher der Eiszeit, sondern es sind Menschen, die dies tun. Auch neue Kommunikationsformen wie Blogs, Twitter und FriendFeed können dazu beitragen, die Soziogeographie zu “zerknautschen” und soziale Nähen herzustellen, die relativ unabhängig von räumlicher Nähe sind (vielleicht sollte man das als “crumpled cosmopolitanism” bezeichnen).

    Die entscheidende Frage ist, welche Kraft diese Vernetzung von unten haben wird gegenüber den neuen globalen Geographien der Corporate Globalisation und des mittelständischen Monocle-Kosmopolitismus (wobei ich, selbst ein großer Fan von Tyler Brûlés Zeitschrift, gar nicht behaupte, dass dieser Kosmopolitismus, der Städte unter anderem danach bewertet, wie lange die Geschäfte geöffnet haben, “falsch” wäre. Es ist nur nicht der einzige).

    Auch hier gilt wieder: Es gibt nicht nur eine Geschichte der Globalisierung, sondern viele Geschichten. Das hängt davon ab, welche Gegend man betrachtet und vor allem: wen man fragt. Massey ist hierzu sicher nicht die schlechteste Gesprächspartnerin.

    (Abbildung “Crumpled building” von Kamoda, CC-Lizenz)



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    Ich finde das Prinzip Wikipedia uneingeschränkt gut. Ich habe keine Probleme mit Cupertino. Ich habe nichts gegen Werbung auf Social-Media-Seiten. Ich glaube auch nicht, dass die Wikipedia von bösen Mächten unterwandert wird.

    Nur diesen Eintrag auf der Startseite der Wikipedia heute finde ich geschmacklos:

    Ein derartiges product placement auf der Startseite einer der meistbesuchten und mit hohen Glaubwürdigkeitswerten ausgestatteten Seite – jede Werbeagentur würde sich nach einem derartigen Coup die Finger abschlecken. Auch ohne Einflussnahme des Herstellers verfallen die Wikipedia-Autoren hier in den üblichen Werbejargon: “Funktionalität”, “ermöglicht”, “darüber hinaus”, “vereint”, “angeboten”. Und dann wird der Artikel auch noch als “lesenswert” (vorher sogar “exzellent”) gekennzeichnet. Warum nicht gleich “Produkt des Tages” anstelle “Artikel des Tages”?

    Mal sehen, wie die Wikipedisten, die diesen Artikel mit dem Verweis auf die formale Richtigkeit des Verfahrens sowie darauf, dass dafür kein Geld geflossen ist, rechtfertigen, reagieren, sollte Apple auf diese Vorlage einsteigen und dieses user generated advertising in irgendeiner Form aufnehmen.

    Worum es eigentlich geht: darum, dass hiermit eine Grenze verschoben wird für die Akzeptanz nicht gekennzeichneter kommerzieller Inhalte in Social-Media-Projekten. Denn wenn demnächst ein Möbelgeschäft sich dafür einsetzt, die Neueröffnung des größten Möbelhauses in Europa zum Artikel des Tages zu machen, wird man dem etwas weniger entgegensetzen können wie vor dem iPhone-Artikel.

    Noch einmal: Ich habe nichts gegen Werbung auf Social-Media-Seiten. Nur sollte sie als solche gekennzeichnet sein und sollte auch als solche bezahlt werden. Ansonsten werden die Marktpreise verzerrt. (via)



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    Wie ich bereits erwähnt habe, liegt gerade der “Reader Neue Medien” von Karin Bruns und Ramón Reichert auf meinem Schreibtisch (hier gibt’s eine Leseprobe). Sieht auf den ersten Blick sehr interessant aus zumal mir die sehr “Transcriptische” Perspektive, unter der dieser Band zusammengestellt wurde, sehr sympathisch ist:

    “Der Schwerpunkt … liegt auf einem kulturwissenschaftlichen Ansatz, der den Computer als Bedeutung generierendes Medium versteht, mit dem sich Macht erzeugen, Politik betreiben und Kunst hervorbringen lässt.”

    Auf stolzen 540 Seiten werden die Themen Digitalisierung, Virtualität, Hypertext, Cyberfeminismus, Networking, Spiele und Avatare in 38 grundlegenden Texten abgehandelt. Dabei fällt auf, dass es vor allem angelsächsische Autoren sind, die für die Theorie Neuer Medien für einflussreich gehalten werden. Die deutschsprachige Medientheorie ist durch die usual suspects Max Bense, Friedrich Kittler, Claus Pias und Siegfried J. Schmidt sowie noch Marie-Luise Angerer vertreten.

    Bei der Auswahl der Texte, von denen ich viele schon aus anderen Zusammenhängen kenne (Alan Turing, Vannevar Bush, Esther Dyson, John B. Barlow, Donna Haraway, Steven Levy, Howard Rheingold, Sherry Turkle), erkennt man deutlich die Problematik der Zusammenstellung eines solchen Readers: Auf der einen Seite möchte man aktuelles Material bieten, das den state of the art des Nachdenkens über Neue Medien repräsentiert. Auf der anderen Seite müssen die Texte aber schon ein wenig “abgehangen” sein, so dass sich überhaupt beurteilen lässt, welche Entwürfe Bestand haben werden und eine Diskussion hervorgebracht haben. So lässt sich erklären, dass nur ein einziger Beitrag jünger als fünf Jahre ist.

    Nur bedeutet das, dass der hier präsentierte Blick auf digitale Medien das Mainstreaming vieler Webanwendungen, die durch das mobile Netz mögliche Durchdringung von virtuellen und materiellen Welten sowie die Entstehung eines Teilhardschen globalen Bewusstseins (“Noosphäre”) noch nicht im Blick hat.

    Außerdem fehlen Beiträge von ausgerechnet den beiden Theoretikern, in deren Theorien die jüngsten Entwicklungen tatsächlich schon auftauchen: Vilém Flusser und Marshall McLuhan.



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