
Die Eisenbahn, welch ein Teufelswerk
Ohne die Debatte noch einmal aufwärmen zu wollen, gibt es doch noch den einen oder anderen Punkt zur Frage der politischen Blogosphäre zu sagen. Der Spiegel-Artikel ist nicht das erste Mal, dass das Fehlen einer politischen Bloggergegenöffentlichkeit kritisiert wurde. Dies Aussage wird dann schnell mit anekdotischer Evidenz belegt, nämlich, dass man so wenige Blogs in Deutschland findet, die sich mit Politik befassen. Stattdessen interessieren sich die Blogger, so scheint es, eher für Technik, Essen und Mode.
Davon ganz abgesehen, dass dasselbe Argument selbstverständlich auch für die Print-Welt gelten würde, denn: Wieviele Politikmagazine kommen auf all die Technik-, Essens- und Modezeitschriften? Ist der Anteil hier tatsächlich größer als in der Blogosphäre? Ich bezweifle das.
Nein, mein Punkt ist ein anderer. Bloggen ist doch im Prinzip nichts anderes als das Öffentlich-Machen von Privatem. Ganz gleich, ob es sich um Meinungen, Gedanken, Gefühle oder Beobachtungen. Immer wird etwas aus dem Innersten herausgeholt und an die Öffentlichkeit – ganz gleich, wie groß diese sein mag und aus wem diese besteht – gebracht. Diese Dinge werden publiziert, also publik gemacht, mit Hilfe eines Mediums. Durch diese mediale Rahmung werden sie erst zu Inhalten (“Content”).
Dieser Akt des Sich-selbst-Publizierens ist ein hochgradig politischer Akt. Ich behaupte: Man kann gar nicht unpolitisch bloggen. Immer geht es um die Grenze zwischen Privatem und Öffentlichen. Oft nur implizit, häufig aber auch explizit, nur wird dies oft mit “Selbstreferentialität” verwechselt. Auch wenn sich nur die wenigsten Blogs mit der Parteienpolitik befassen – hier gibt es in der Tat deutliche Unterschiede zu den USA oder zu Frankreich – ist das Politische in einem viel grundlegenderem Sinn immer Thema.
Als These würde ich das wie folgt formulieren: Blogs sind zur Zeit eine der wichtigsten subpolitischen Arenen, auf denen die Grenze zwischen Privatheit und Öffentlichkeit verhandelt werden. Dies erkennt man negativ gewendet in den Horrorgeschichten um Identitätsklau oder onlineverursachte Karrierebrüche und positiv gewendet an den vielen neuen Tätigkeitsfeldern, die sich mit dieser Grenze in ihrer digitalen Ausprägung befassen, wie zum Beispiel dem Reputationsmanagement.
In der nicht-digitalen Welt ist die Grenze zwischen privat und öffentlich sehr viel deutlicher markiert: Man tritt aus der Haustür und ist im Prinzip ein öffentlicher Mensch. Wo aber sind die Haustüren in einer Gesellschaft, in der eine Vielzahl von Tätigkeiten, privat wie beruflich, über das Internet abgewickelt werden?
Nachtrag: Jetzt klicke ich in der WordPress-Oberfläche auf “Veröffentlichen”, eine Geste, die in naher Zukunft möglicherweise einen tieferen politischen Gehalt haben wird als das Ausfüllen eines Wahlzettels.
(Bild “Die Eisenbahn” von Honoré Daumier, 1855, Quelle: Zeno)
Kommentare