Monthly Archive for März, 2009

Einübung und Gewöhnung – Twitter ist noch lange nicht am Ende

In einem sehr lesenswerten Beitrag über Internetanwendungen prognostiziert Andreas Göldi dem Microblogging-Dienst Twitter: “Es droht unter seinem eigenen Gewicht zusammenzubrechen, weil das Verhältnis an unnützem Rauschen zur nützlichen Information langsam unverhältnismässig wird.”

Das kommt ganz darauf an, wozu man so etwas wie Twitter verwenden will. Wenn ich es zum Beispiel nutze, um ein digitales Tagebuch zu führen, in dem ich dokumentiere, wo ich gewesen bin, was ich gegessen, was ich gesehen habe, ist die signal/noise-ratio irrelevant. Ebenso, wenn es darum geht, mit meinen Freunden, meiner Familie in Kontakt zu bleiben. Gerade, weil Twitter so chaotisch ist, bietet es so viele kreative Aneignungsformen, die sich eben nicht alle in das massenmediale Muster “Twitter als Recherchetool und Informationsquelle” pressen.

Die spannende Frage ist meiner Meinung nach: Warum spielen GeoCities, Friendster und SixDegrees keine Rolle mehr, aber SMS wird nach wie vor sehr rege genutzt? Ich sehe Twitter eher auf der Ebene von SMS als auf der Ebene der anderen genannten Internetanwendungen. Twitter oder Microblogging allgemein – ich glaube, dass sich Twitter den Microblogging-Kuchen in Zukunft mit Facebook, MySpace und weiteren Anbietern (Windows Live? Google?) teilen wird – ist für mich eine der ganz wenigen echten kommunikativen Innovationen des Internetzeitalters, denn es ist:

  • global: hier wird der alte Traum eines globalen Dorfes oder einer kosmopolitischen Gemeinde wahr – Twitter never sleeps!
  • offen: sowohl thematisch als auch nutzerbezogen gibt es nur wenige Vorschriften und Voraussetzungen. Von Diskussionen über Benjamins Aurabegriff bis zum Paketsendungstracking ist alles möglich – Mein Twitter ist nicht dasselbe wie dein Twitter!
  • fluid: es lassen sich problemlos andere Medieninhalte in den Strom einfügen oder Inhalte in andere Plattformen oder Ströme einspeisen – Twitter ist überall!

Was aber verschwinden wird, beziehungsweise im Moment abzuklingen scheint, ist die Euphorie der Early Adopters. Die nachfolgenden Twitter-Generationen der “digitalen Eingeborenen” werden Twitter ebenso unemotional verwenden wie heute SMS verwendet werden. Unemotional bezieht sich dabei nur auf die verwendete Technologie: die Inhalte können selbstverständlich traurig wie hoffnungsvoll oder fröhlich sein.

Neu ist: Die Tatsache, dass man diese Emotionen in Kurzmitteilungen verpackt mitteilen kann, löst keine Begeisterung mehr aus. Diese Versachlichung durch Einübung und Gewöhnung ist nichts neues, das war bei der Eisenbahn nicht anders und vermutlich waren auch die Early Adopter von Faustkeilen euphorisch über die Möglichkeiten, die sich ihnen mit dieser neuen Technologie bieten.

Nur darf man diese Versachlichung nicht mit Dekadenz und Abschwung verwechseln. Das ist nämlich eine ganz andere Geschichte.



Verwandte Artikel:
  • Gastbeitrag für KoopTech: Messen nach dem Ende der Massengesellschaft
  • Die reichweitenstärksten Webseiten nach AdPlanner
  • Das Ende der Blogsphäre