Monthly Archive for Mai, 2009

Du bist peinlich

Es zeugt schon von einem besonderen historischen Bewusstsein, am Jubiläumstag des Grundgesetzes der Bundesrepublik Deutschland eine Abmahndrohung an einen Studenten zu schicken, der sich auf einer Webseite sehr originell mit einer Werbekampagne auseinandersetzt. Alexander Lehmann hat in seiner Abschlussarbeit unter dem Titel “Du bist ein Terrorist” ein Video erstellt, das den zunehmenden Überwachungswahn und die Einschneidung der Grundrechte – die wir eigentlich heute feiern sollten – thematisiert. Jetzt hat er, so berichtet netzpolitik.org, von der KemperTrautmann, einer der Agenturen der Kampagne “Du bist Deutschland” eine Abmahndrohung bekommen, die ihn auffordert,

jegliche Bezüge zur “du bist deutschland” – Kampagne zu entfernen und die Adresse dubistterrorist.de nicht mehr zu verwenden. Er hat drei Tage Zeit, alles wie gewünscht zu entfernen. Als Begründung wird das Markenrecht an “Du bist Deutschland” genannt.

Die Kampagne Du bist Deutschland startete 2005 mit einem ebenso wirren wie blumigen Manifest, in dem unter anderem zu lesen war:

Ein Schmetterling kann einen Taifun auslösen. Der Windstoß, der durch seinen Flügelschlag verdrängt wird, entwurzelt vielleicht ein paar Kilometer weiter Bäume. Genauso, wie sich ein Lufthauch zu einem Sturm entwickelt, kann deine Tat wirken.

Das war natürlich alles nicht so gemeint. Denn Deutschland ist natürlich kein Land der Bäume-Entwurzler, der Mauern-Einreißer, der Runter-von-der-Bremse-Geher, sondern ein Land, dem Abmahnungsdrohungen mehr Wert sind als Kreativität. Du bist peinlich.

UPDATE: Eine weitere Pointe, auf die mich Fischer in den Kommentaren hingewiesen hat: Historisches Bewusstsein kann man auch darin zu erkennen, eine wissenschaftliche Forschungsarbeit am Grundgesetzfeiertag zerstören zu wollen. Soviel zum Thema “Kunst und Wissenschaft, Forschung und Lehre sind frei.

UPDATE: Aus der Angelegenheit ist zum Glück keine neue Causa Streisand geworden. Michael Trautmann und Alexander Lehmann haben, wie hier zu lesen ist, miteinander telefoniert und sich darauf geeinigt, dass die Kinderbilder von der Seite dubistterrorist.de entfernt werden. “Du bist Deutschland” wird nicht weiter gegen “Du Bist Terrorist” vorgehen. Das Telefon. Ein längst vergessen geglaubtes Kommunikationsmittel. Manchmal aber sehr sinnvoll. Das nächste Mal vielleicht sogar vor der Abmahndrohung?



Verwandte Artikel:
  • Das Internet, die Gatekeeper und die Qualität
  • Free Burma!
  • Instant-Märtyrer
  • The Twitter is the Message – Willkommen in der Reload-Gesellschaft

    picfog1

    In dem Moment, in dem ich die neue Echtzeit-Bildersuche PicFog das erste Mal gesehen habe, wurde mir klar: das ist genau das, was Marshall McLuhan hier gemeint hat:

    Electric circuitry profoundly involves men with one another. Information pours upon us, instantaneously and continuously. As soon as information is acquired, it is very rapidly replaced by still newer information.

    Bereits im Jahr 1967 schrieb er über das Internet (“electric circuitry”), Microblogging (“information pours upon us”) und die automatischen Reloadmechanismen (“very rapidly replaced”). Durch diese schnellen Informationen – wir sprechen hier von Echtzeit (“gedacht – getippt”, “gesehen – gepostet”) – sind wir nicht mehr in der Lage, Botschaften oder Bilder logisch zu klassifizieren, sondern können nur noch entweder grobe Muster erkennen.

    picfog2

    PicFog aggregiert alle möglichen Bilder, die Microblogger auf die verschiedenen Plattformen von Twitpic bis yfrog hochladen und stellt sie als visuellen Strom dar. Jemand fotografiert die S-Bahnstation, durch die er gerade fährt. Im nächsten Augenblick taucht sie neben vielen anderen Bildern auf der PicFog-Startseite auf. Beim nächsten automatischen Reload der Seite ist das Bild nach unten gerückt und wurde durch zahlreiche aktuellere Bilder ersetzt. Bilder aus Indien, USA, Österreich oder Japan.

    Wenn Google Insights for Search abbildet, was die Menschen suchen oder sich wünschen (eine globale Datenbank der Wünsche), zeigen Dienste wie PicFog, was die Menschen sehen. “All media are extensions of some human faculty”. Noch so ein McLuhanspruch, der hier wahr wird.

    Mit PicFog kann ich nicht nur meine Augen sehen, sondern auch mit den Augen vieler anderer Menschen weltweit. Mit den Augen von Fremden und Freunden. Von Frauen und Männern. Von Rentnern und Schülern. Obwohl es zunächst ganz ähnlich klingt, sind das nicht die Tausend Augen des Dr. Mabuse, denn Dr. Mabuse konnte nur auf die anderen Menschen herabsehen, nicht aber durch die anderen Menschen sehen. Being John Malkovich ist vielleicht die passendere filmische Assoziation, nur dass man nicht nur in den Kopf eines Schauspielers schlüpft, sondern in den Kopf vieler Menschen zugleich. Der Begriff “Überwachung” trifft hier nicht zu, aber einen treffenden Begriff für dieses Eintauchen in die Welt habe ich noch nicht gefunden. Vielleicht Empathie? Oder ethnologischer Blick?

    picfog3

    Teilhard de Chardin sprach in den 1950er Jahren immer wieder von der “Noosphäre” als einem Stadium der menschlichen Entwicklung, in dem die Einzelbewusstseine zu einem globalen Bewusstsein zusammenwachsen würden. Als jesuitischer Theologe nannte er diesen Bezugspunkt auch Omegapunkt, also den Augenblick der Vereinigung in Christi. McLuhan hat diesen Gedanken elektrifiziert und aus der fernen Zukunft (Ende der Geschichte) in die Gegenwart geholt. Seine Feststellung: Dieses technische Weltbewusstsein gibt es schon.

    Dabei verändert sich die Art, wie wir die Welt wahrnehmen. Nicht mehr analytisch zergliedernd, sondern synthetisch als Gesamtbild. Als waberndes, sich immer wieder veränderndes Muster, in dem man immer wieder Bekanntes, Vertrautes sieht. Leisa Reichelt hat zur Beschreibung des Microbloggens oder Twitterns den schönen Begriff der “ambient intimacy” geprägt. Genau das ist es, was wir auf PicFog wahrnehmen. Intime Einblicke (eigentlich eher “Durchblicke” oder “Mitblicke”, s.o.) in das Leben der Anderen. Aber diese Blicke sind nicht fixiert oder fokussiert, sondern unscharf. Innerhalb weniger Sekunden befindet man sich bereits an einem ganz anderen Ort, in einer ganz anderen Person. Dennoch: Diese frei fluktuierende Intimität, die in diesem “Bildernebel” entsteht, kommt tatsächlich den Vorstellungen McLuhans von der Rückkehr präliterarischer “tribal emotions” sehr nahe.

    Dazu passt auch die Feststellung, dass die auf dem Microblogging basierenden Echtzeitbildersuche ersten Eindrücken nach im Vergleich mit der klassischen Google-Bildersuche nicht nur aktuellere Ergebnisse zu Tage fördert, sondern in vielen Fällen auch relevantere Ergebnisse. Kein Wunder, dass Google fieberhaft überlegt, wie sich dieses Echtzeitmoment auf ihre Suchverfahren übertragen lässt. Schon mit Erscheinen des Buches “What Would Google Do?” von Jeff Jarvis, sind wir schon wieder einen Schritt weiter. Die entscheidende Frage lautet nun: “What Would Twitter Do?” Nicht unbedingt, was das Geschäftsmodell betrifft, aber was die kognitiven Möglichkeiten betrifft.

    Willkommen in der Reload-Gesellschaft!



    Verwandte Artikel:
  • Katzenbilder sind der Kitt der Gesellschaft – oder: Die drei Arten von Information im Internetzeitalter
  • Twittern auf der Kaiserstiege
  • Als der Retweet noch Trackback hieß
  • Die protestantische Ethik und der Geist von Social Media

    Social Media ist nicht immer einfach. Gerade Unternehmen tun sich noch schwer damit, sich tatsächlich auf die Ebene ihrer Kunden oder Nutzer zu begeben. Nicht bloß bei irgendeiner Agentur eine Werbung in Auftrag zu geben, sondern den Leuten ihr Produkt erklären und ihnen dabei in die Augen zu sehen. Deshalb sind detailliert ausgearbeitete Social Media-Richtlinien ein wichtiger Orientierungsrahmen, der Mitarbeitern sagt, welche Grenzen ihre Gespräche in der Öffentlichkeit haben. Social Media bedeutet sozusagen eine wohlorganisierte Revolution der Unternehmenskommunikation.

    Die Social Media-Richtlinien des zum Dow Jones-Verlag gehörenden Wall Street Journal schießen aber über das Ziel hinaus. So zum Beispiel folgender Punkt:

    • “Let our coverage speak for itself, and don’t detail how an article was reported, written or edited.”

    Genau darin liegt doch der Reiz dieser offenen Kommunikationsformen: Einen Blick hinter die Kulissen zu ermöglichen, den Lesern zu zeigen, dass es außer Nachrufen keine abgeschlossene Stories gibt (und auch im Fall von Nachrufen können Erbschaftsstreits noch für viele weitere Geschichten sorgen). Zeitungsberichterstattung ist von vornherein so gestrickt (das gilt natürlich nicht so sehr für Reportagen), dass sie den Schreibenden verschwinden lassen. Im Idealfall verschwindet der Bote und nur das Ereignis bleibt stehen. Social Media sind anders. Sie bedeuten,

    • dass jede Story nur ein Anfang einer Diskussion ist (= Kommentare),
    • dass es zu jeder Story unterschiedliche Perspektiven gibt (= Links, Trackbacks),
    • dass hinter jeder Meldung eine Person steht, die dies berichtet (= Profilseite),
    • dass niemals ein finaler Stand erreicht ist, sondern es immer weiter gehen kann (= UPDATED:)
    • dass was heute als Lüge erscheint, gestern noch die Wahrheit gewesen sein kann (= Archiv).

    Also: Der Bericht steht niemals für sich. Sondern er steht für das berichtete Ereignis. Die Besonderheit von Social Media liegt darin, den Prozesscharakter der Welt sichtbar zu machen – “Alles fließt” gilt auch für Nachrichten. Ein weiterer Punkt der Leitlinien sagt folgendes:

    • “Don’t discuss articles that haven’t been published, meetings you’ve attended or plan to attend with staff or sources, or interviews that you’ve conducted.”

    Okay, Insiderinformationsquellen zu verraten wäre sicherlich nicht die klügste Strategie. Aber was spricht dagegen, im Vorfeld Diskussionen anzuregen, die sich mit Themen oder Thesen befassen, die noch nicht in der Endfassung vorliegen? Wer sich dagegen sperrt, sperrt sich gegen die Möglichkeit, von anderen zu lernen. Tun, was man selbst am besten kann, und den Rest verlinken. Dieses Motto von Jeff Jarvis gilt auch hier: Wenn tatsächlich jemand anderes den Beitrag, der schon Tage auf dem Desktop liegt, besser und mit mehr Verve schreiben kann als man selbst – soll es doch der andere tun. Gerade die klassischen Verlagshäuser, der ganze alte Journalismus beruft sich immer wieder auf seinen Qualitätsvorsprung. Echte Qualität ist, wenn man Dinge, die man selbst nicht ganz so gut tun kann, anderen überlässt.

    Der Höhepunkt dieser Guidelines ist aber der folgende Hinweis:

    • Business and pleasure should not be mixed on services like Twitter. Common sense should prevail, but if you are in doubt about the appropriateness of a Tweet or posting, discuss it with your editor before sending.

    Eigentlich würde hier ein Schlagwort genügen: Protestantismus. Max Weber hätte seinen Twitteraccount genau nach diesem Kriterium geführt: Bloß keine Vermischung von Beruf und Vergnügen oder: Leiden und Leben. Ist der Beruf eines (WSJ-)Journalisten so trocken und puritanisch, dass man aufpassen muss, dass sich nicht etwas Leben in die eigenen Äußerungen einmischt? Welche Gefahr droht, wenn die Twitter-Follower eines Journalisten plötzlich merken, dass gar keine Recherchierundformuliermaschine hinter den eloquenten Artikeln steckt, sondern ein Mensch, der lebt, liebt, reist, isst und so weiter und so fort? Was ist hier zu verlieren?



    Verwandte Artikel:
  • Gehirn&Geist startet Brainlogs-Blogportal
  • Update zur AG Social Media
  • Überwachen mit Twitter
  • Am Germanistenwesen soll das Web genesen

    “Hässliches Gesicht”, “Fratze”, “Schlauchbootlippen”, “zweifelhaft”, “Laien”, “scheinbare Meinungsfreiheit”, “Mob”, “Manipulation”, “unseriös”, “Lächerlichkeit”, “Nonsense”, “Verschmutzer des Internet” – nein, hier ist nicht, wie man zunächst denken möchte, von Universitätsprofessoren die Rede, sondern vom Internet. Pardon, in diesen Kreisen sagt man ja “Selbstmach- und Mitmachweb”, damit auch dem letzten Ignoranten deutlich wird, dass nicht die Onlineausgabe von Max Webers Werken gemeint ist, sondern der nicht mehr zu bewältigenden Flut des “User-generated Nonsense”.

    Dieses Mal erklärt Oliver Bendel – er ist “Germanist und Philosoph und arbeitet als Professor für Wirtschaftsinformatik an der Fachhochschule Nordwestschweiz” – uns auf Telepolis das ganze Grauen des Web 2.0. Man kann es auch in wenigen Worten zusammenfassen: Ein Ort, an dem eine bildungsbürgerliche Ikone wie Joachim Kaiser neben Gossenkindern wie den anonymen Amazon-Rezensentinnen zu finden ist, ist ein böser Ort.

    Hier könnte ich es eigentlich bei meiner Standardantwort beruhen lassen: “Lerne zu unterscheiden, und du wirst das Web lieben”. Auch ein Germanistikprofessor dürfte wenigstens im Prinzip erkenntnisfähig sein und (mühsam, aber dennoch) lernen können, einen nach allen Regeln der Literaturkritik verfassten MRR-Verriss von einem anonymen “Ist voll blöd das Buch!11!” zu unterscheiden. Auch wenn Google auf den Suchergebnisseiten diesen Qualitätsunterschied nicht farblich anzeigt. Wenn das Differenzierungsvermögen von dieser Aufgabe überfordert ist, ist das ein Problem der Medienkompetenz und kein Problem des Web 2.0!

    Aber ich glaube, dass es hier um mehr geht als das bloße Überfordertsein eines Gutenbergianers, der sich widerwillig in der McLuhan-Galaxie zurechtfinden muss. An einigen Stellen schwingt eine bedrohliche Tendenz mit, die nicht allein nach besseren Filtern oder Instrumenten für den eigenen Gebrauch ruft, sondern nach einem großer Reinigungsaktion im Mitmachweb. Am Germanistenwesen soll das Web genesen. Die Gegenüberstellung der “scheinbaren, grenzenlosen Meinungsfreiheit” von Bloggern und Amazonschreibern (= “Rezensentenmob”) und der “echten Meinungsfreiheit” der kulturellen Elite von Gestern wäre ein Beispiel. Der folgende “Lösungsvorschlag” des Qualitätsproblems ein weiteres:

    Wenn uns unsere Literatur etwas wert ist, sollten wir Talente mit ihr flirten und den Mob nicht über sie herfallen lassen.

    Im Namen “unserer Literatur” (also des von der Literaturkritik bestimmten, definierten und verehrten Kanons) sollen also Meinungen von Laien ausgeklammert, ignoriert oder bekämpft werden? Von allen dämlichen Kampfschriften gegen das Internet der letzten Wochen ist das hier eindeutig die drolligste.



    Verwandte Artikel:
  • 200% Internetwachstum in Deutschland?
  • Manager-Magazin macht Google überflüssig
  • Neues metaroll-Feature: Neue Blogs
  • Die deutschsprachigen Top-Twitterer auf einen Blick

    Diese Idee von Dave Winer war einfach zu schön (“standing on the shoulders of …”), um sie nicht auf die deutschsprachige Twittersphäre zu übertragen: Eine Seite, auf der automatisch die aktuellsten Tweets der beliebtesten Twitterer angezeigt werden. Ich habe das Winersche Vorbild 100TWT kurzerhand nachprogrammiert und die 75 meistgelesenen Twitterer der Deutschen Twittercharts des popkulturjunkies als Grundlage dafür genommen. Das Ergebnis sieht dann so aus:

    75twitterer

    Sinnvoll für Twitterer-Einsteiger? Unsinnige Spielerei? Was fehlt? Was ist überflüssig?



    Verwandte Artikel:
  • Der twitternde Bundestag
  • Das einzige Wissenschaftsblog in der A-Liste
  • Code, Hacks & Projects
  • 50.000 Unterschriften gegen Internetzensur

    PetitionNur zu oft habe ich gelesen, dass die deutschsprachige Blogosphäre unpolitisch ist. Dass die winzige Menge von geschätzten 27.000 Twitter-Nutzern in Deutschland keine relevante Größe darstellen oder auch, dass sich in 140 Zeichen keine Politik machen lässt.

    Spätestens seit dem 8. Mai 2009 0:59 gelten diese Social-Media-Gesetze für Deutschland nicht mehr. Innerhalb von vier Tagen haben es Aktivisten auf unterschiedlichen Social-Media-Plattformen geschafft, mehr als 50.000 Mitzeichner für die PetitionInternet – Keine Indizierung und Sperrung von Internetseiten” von Franziska Heine zu motivieren. So schnell hat bislang noch keine Petition in Deutschland die notwendige Zahl von Zeichnern erreicht.

    Auch wenn diese Unterschriften noch lange nicht das Aus für die internetfeindliche Symbolpolitik der Bundesregierung bedeutet, sind sie ein deutliches Zeichen, dass sich in diesem noch weitgehend unverstandenen Medium ein Protestpotential verbirgt, dass früher oder später zu einer Größe von Gewicht werden wird.

    In Relation (zum Beispiel mit der Zahl der ca. 60 Mio. Wahlberechtigten in Deutschland) gebracht ist die Zahl 50.000 selbstverständlich nur eine winzige Zahl. Die spannende Frage ist deshalb, wie dieser Netz-Aktivismus weitergehen wird. Entsteht daraus eine liberale Strömung, die auch von den etablierten Parteien aufgenommen wird? Entwickelt sich diese Bewegung in eine neue außerparlamentarische Opposition?



    Verwandte Artikel:
  • Perlentaucher-Streit: Zitate weiterhin erlaubt
  • Mit mobilen Anwendungen gegen die digitale Spaltung
  • Naturalismus versus Religion?
  • Instant-Märtyrer

    Das Internet - eine hermetische Technologie

    Das Internet - eine hermetische Technologie

    Es gibt die eine oder andere Zeitung, von der bin ich Polemiken gegen und zwanghaftes Unverständnis für alles, was über das DSL-Kabel in den Rechner kommt, gewohnt. Jetzt ist auch die FAZ dazu gekommen und lässt Susanne Gaschke eine ebenso wirre wie peinliche Polemik gegen das Internet schreiben. [UPDATE: Die FAZ ist konsequent und hat diesen netzkritischen Artikel mittlerweile hinter einer 2€-schweren Paywall versteckt. Der alte Link führt deshalb ins Leere. What would Google do? Eine gespeicherte Version anbieten.]

    Hut ab. Normalerweise schimpft man gegen die Banalität der Echtzeitnachrichten auf Twitter (okay, kommt in dem Artikel auch vor unter der etwas unbeholfenen Formel “Klima der Jederzeitigkeit”) oder gegen die undurchsichtige dunkle Macht GOOGLE (auch das kommt vor, gleich am Anfang). Aber hier geht es aufs Ganze: Das Internet ist schlecht. Und alle, die daran glauben, sind es ebenfalls.

    Technologien, die jünger sind als das Felder-Bestellen der neolithischen Revolution, sind böse, weil man sie nicht intuitiv versteht. Weil diejenigen, die sich damit auseinandersetzen eine andere Sprache verwenden (“Cookies”, “Open Source Software” oder “Soziale Netzwerke”, ach wie schlimm, diese hermetische Sprachzauberey!) und ein Fachwissen besitzen, das nicht jedem zugänglich ist:

    Ein großer Teil unseres Alltags, unserer Kommunikation mit anderen Menschen und der Art und Weise, wie wir uns informieren, liegt damit in der Hand von Experten, deren Überlegungen wir kaum nachvollziehen können.

    [An dieser Stelle möge jeder Leser nach eigenem Geschmack eine Parallele zu dem ihr/ihm am gruseligsten erscheinenden Totalitarismus einfügen, der sich mit Sicherheit ebenfalls vehement gegen das Wissen der Experten ausgesprochen hat.]

    Undurchsichtige Experten, Neoliberalismus und 70er-Jahre-Marxismus. Das ist in Gaschkes Augen der Konsens über das Netz im Jahr 2009. Und wer versucht, “zaghafte Kritik” an diesem Konsens anzubringen, wird sofort von den Netzjüngern mundtot gemacht: “Wer nicht uneingeschränkt für das Netz ist, ist gegen es.” Ein Argumentationsmuster, das Sektierer und Radikale aller Couleur in ihren Rhetorikschnellkursen gelernt zu haben scheinen: Zeichne ein Bild der Gesellschaft, in der die Gegenposition der Mainstream ist und mit einem Schlag bist du der aufrechte Streiter für eine vielfältige Meinung. Instant-Märtyrer.

    Mit Kritik hat dieser Beitrag von Gaschke nichts mehr zu tun. Kritik heißt: einen Blick hinter die als gegeben erscheinende Wirklichkeit werfen, zeigen, wie es dazu kommen konnte. Davon findet man leider keine Spur.

    Dabei hat sie in einigen Punkten tatsächlich recht. Zum Beispiel, was die Abhängigkeit von der Großtechnologie Internet betrifft. Ja, moderne Gesellschaften sind davon abhängig. Aber wahrscheinlich viel weniger deshalb, weil man bei einem Ausfall des Internets keine Online-Wahlkämpfe mehr führen könnte, weil man nicht mehr mit Begeisterung über “Cookies” sprechen könnte und sich auch dem “Online-Exhibitionismus” oder der “Sinnlos-Kommunikation” nicht mehr widmen könnte, sondern weil gesellschaftliche Teilsysteme von Wirtschaft über Bildung und Verkehr bis zur Strafverfolgung ohne das Internet nicht mehr voll einsatzfähig wären.

    Das wäre für mich ein sinnvoller Ansatzpunkt für eine Kritik des Internet als Großtechnologie. Aber das, was Gaschke daraus macht, ist so … deutsch.



    Verwandte Artikel:
  • 50.000 Unterschriften gegen Internetzensur
  • Am Germanistenwesen soll das Web genesen
  • Social Networking im Jahr 1976 – das Pew-Projekt über die Onlineavantgarde