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Karl Wolfskehl: Ströme einander befruchtenden Lebens

von tergast

Mehr als nur George-Jünger: Deutscher, Jude, Hesse

Dieses Blog handelt von “vergessenen Autoren”. Manch einer hat zu Lebzeiten schon geahnt, dass ihn dieses Schicksal einmal ereilen würde und das dann auch formuliert. Er sei sicher, schreibt Karl Wolfskehl am Ende des Krieges aus dem Exil an einen alten Freund in Deutschland, die Heimat habe “durchaus vergessen, daß es den deutschen Dichter Karl Wolfskehl noch gibt, wahrscheinlich vergessen, daß es ihn je gegeben habe.”
Er hatte Recht, Wolfskehl ist heute zu einer Marginalie der Literaturgeschichte geschrumpft, erwähnt höchstens noch dann, wenn gerade mal wieder der George-Kreis durch die Diskussion geistert, wie es jüngst anlässlich der großen George-Biographie von Thomas Karlauf oder der Diskussion um den Stauffenberg-Film “Valkyrie” der Fall war.

Dabei lässt sich an dem 1869 in Darmstadt als Sohn einer alteingesessenen und wohlhabenden Familie geborenen Wolfskehl die ganze innere Zerrissenheit des assimilierten Judentums in Deutschland exemplarisch zeigen, wie auch der folgende Ausspruch zu zeigen vermag: “Mein Judentum und mein Deutschtum, ja mein Hessentum – das sind keine biologischen Antagonismen, es sind Ströme einander befruchtenden Lebens.”
Die Jahre der Adoleszenz und des werdenden Dichters sind für den Sohn aus gutem Hause von Sorgenfreiheit und intensiver Beschäftigung mit den Künsten geprägt. Sein Studium der Germanistik, Religion und Archäologie in Berlin, Leipzig und Gießen schließt er 1893 mit der Promotion zum Thema “Germanische Werbunssagen” ab, es folgt für den mittlerweile verheirateten Mann eine Karriere als Privatgelehrter in München, 1899 und 1901 wird er Vater zweier Töchter, Judith und Renate.
Wolfskehl ist in seiner literarisch-philosophischen Sozialisation ganz Kind seiner Zeit, wie so viele andere verehrt er die Schriften Friedrich Nietzsches, auch das Werk Henrik Ibsens hinterlässt einen bleibenden Eindruck.
Die Begegnung mit Stefan George jedoch wird ihm zum “Erweckungserlebnis”, Wolfskehl wird zum engen Vertrauten Georges, dessen schillernde Dichtergestalt für uns bis heute kaum zu fassen ist. Anders als die schlicht ergebenen Jünger des selbsternannten “Ahnherrn jeder nationalen Bewegung”, denen seine bloße Nähe genug war, wird der umtriebige Wolfskehl zum produktiven Mitgestalter des George-Kreises. Bis 1919 fungiert er so als Mitherausgeber der berühmten Blätter für die Kunst und gibt von 1901 bis 1903 gemeinsam mit George die Anthologie Deutsche Dichtung heraus.
Wolfskehls eigene Gedichtsammlung Ulais (1897) steht bereits ganz im Zeichen der Begegnung mit George. Er führt diesem in der Folgezeit immer wieder neue Jünger zu, darunter etwa so bekannte Namen wie den Literaturkritiker Friedrich Gundolf.
Doch das Münchner Leben jener Zeit war nicht nur vom “Meister” George bestimmt, sondern war Wolfskehl selbst bestimmende Figur der Schwabinger Bohème, steter Quell neuer Ideen, und sein dionysisches Naturell vermochte nicht nur seine berühmte Freundin Franziska von Reventlow zu begeistern. Sein Engagement für die Bibliophilie fand Niederschlag in den Bemühungen um die Rupprecht-Presse, die zur Zusammenarbeit mit illustren Leuten wie Franz Marc, Emil Preetorius oder Melchior Lechter führte.
Eine glückliche, produktive Zeit also, die den Anhänger esoterischer Gedankengänge auch in den Dunstkreis der “Kosmischen Runde” zog, die unter der Ägide Alfred Schulers und Ludwig Klages eine Wiederbelebung antiken Heidentums betrieb und gefährlich nahe bei einer obskur anmutenden Rassentheorie angesiedelt war.
Diese Begegnung zeigt sehr schön die Ambivalenz in Wolfskehls Leben. Einerseits Begründer der zionistischen Ortsgruppe München, andererseits im Dunstkreis vornazistischer, dezidiert antisemitischer Bewegungen wie der Kosmiker. Die ganze Arglosigkeit des assimilierten Judentums in Deutschland vor dem ersten Weltkrieg kommt hier in der Person Wolfskehls zum Ausdruck. Verschwiegen werden darf dabei auch nicht, dass er zu den vielen Schriftstellern und Künstlern gehörte, die den Ausbruch des Krieges begeistert begrüßten, Wolfskehl bezeichnete ihn in einem offenen Brief an Romain Rolland (abgedruckt in der Frankfurter Zeitung) als „von Gott gewollt”.
Der Krieg und die durch ihn hervorgerufenen Umwälzungen in der Weimarer Republik bedeuteten dann aber auch für Wolfskehl den Abschied vom sorgenfreien Leben. Die Inflation kostete ihn einen Großteil seines Vermögens, er musste arbeiten, um leben zu können und tat das zunächst als Privatlehrer in Italien, dann auch mit journalistischen Arbeiten, etwa für die Frankfurter Zeitung oder die Münchner Neuesten Nachrichten. Außerdem entstanden Rezensionen und Essays für verschiedene Radiozeitschriften, die 1930 zum Teil in dem Aufsatzband Bild und Gesetz zusammengefasst waren.
Werke größeren Umfangs sind von Karl Wolfskehl nicht überliefert, 1927 erscheint aber der Band Der Umkreis, der als summa seiner poetischen Überzeugungen gelesen werden muss.
Immerhin erkannte der bekennende Deutsche, Jude und Hesse das herannahende Unheil der braunen Barbarei frühzeitig und emigrierte bereits 1933 nach Italien. 1934/36 erscheint letztmalig in Deutschland ein Buch von Wolfskehl, die Gedichtsammlung Die Stimme spricht verweist schon im Titel auf die alte George-Schule und führt inhaltlich das Grauen des Sehers vorm aufziehenden Faschismus aus. 1938 verlässt er auch sein geliebtes Italien und zieht für die letzten zehn Lebensjahre nach Neuseeland. Bei seinem Tod ist er fast blind und völlig verarmt, doch schafft er es noch, sein literarisches Vermächtnis zu diktieren, das ein Jahr vor seinem Tod in Zürich unter dem Titel Lebenslied mit Abgesang, An die Deutschen erschien.
Zur Frage, warum die Beschäftigung mit Karl Wolfskehl heute noch bzw. wieder lohnt, kann man den Kritiker Alfred Bodenheimer zitieren, der sagte: “In Tat und Wahrheit hat kaum ein anderer deutschsprachiger Dichter sich mit der Frage von Heimat, Wanderung, Fremde und Vertreibung so intensiv auseinandergesetzt wie der Jude Karl Wolfskehl.”

Carsten Tergast

Karl Wolfskehl im ZVAB

Ulais (1897)
Deutsche Dichtung (zusammen mit Stefan George) (1901 – 1903)
Gesammelte Dichtungen (1903)
Maskenzug (1904)
Saul (1905)
Wolfdietrich und die rauhe Els (1907)
Thors Hammer (1908)
Sanctus. Orpheus (1909)
Der Umkreis (1927)
Die Menschwerdung. Ein Urbegebnis vor aller Zeit (1929)
Bild und Gesetz (1930)
Triumph der Eitelkeit (1930)
Bücher, Bücher, Bücher, Bücher. Elemente der Bücherliebeskunst (1932)
Die Stimme spricht (1936)
An die Deutschen (1947)

18. March 2008

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7 Kommentare

  1. Rainer Friedrich Meyer schrieb am March 18, 2008:

    Man könnte hier beifügen, daß es eine Bibliographie der Werke Karl Wolfskehls gibt: Manfred Schlösser: „Karl Wolfskehl. Eine Bibliographie.“ Darmstadt: Erato-Presse, 1971, die neben den Übertragungen aus verschiedenen Sprachen, von W. herausgegebenen Publikationen, Zeitschriftenveröffentlichungen etc vor allem die selbständigen Werke umfaßt – 29 Stück.
    Als guter Geist der Rupprecht Presse, siehe deren „Porträt“ meines lieben Freundes Arnulf Backe (dort S. 24 ff.) war er mitverantwortlich für die inhaltliche Breite des Ehmckeschen Verlagsprogramms, das sich nicht auf den Kanon des Erhabenen, dauernd wiedergedruckten kaprizierte, sondern Nebenwegen der Geistes- und Kulturgeschichte folgte, denen man noch heute nachspüren sollte.

  2. Dieter Hilger schrieb am March 18, 2008:

    So unbekannt ist Karl Wolfskehl auch wieder nicht. Er war einer der grossen Bibliophilen des angehenden 20. Jahrhunderts und hat eine erlesene Bibliothek aufgebaut. Seine Artikel zur Liebe zu Büchern sind legendär, vor allem sein Gedicht “Bücher, Bücher, Bücher”, eine Mischung aus komischen, derbdrolligen Elementen und Passagen, die man in Bibliophilenstammbücher schreiben möchte oder sollte. Die Tragik des Exils empfindet man vor allem in dem kleinen schmalen Band “Die Stimme spricht”, Zeilen fast wie ein Schrei, die ganze Sehnsucht nach der Heimat ausdrückend und die Verlorenheit im Exil. Ein besonders schönes schriftstellerisches Denkmal hat William Matheson im Jahre 1974 veröffentlicht. Er schildert einen Besuch am Grabe von Karl Wolfskehl. Auf seinem Grabstein steht: Karl Wolfskehl, 1869 – 1948, Exul Poeta. Karl Wolfskehl, ein Dichter, der unbedingt wiederzuentdecken ist.

  3. Ansgar schrieb am March 19, 2008:

    ” […] und führt inhaltlich das Grauen des Sehers vorm aufziehenden Faschismus aus.”
    Wäre es möglich, politologische Begriffe sauber und nicht im Sinne von Kampfbegriffen zu verwenden (oder wenn, dann zumindest dies auch kennzeichnen)? In Italien, dem ersten Ziel seiner Emigartion, konnte nicht von einem aufziehenden Faschismus gesprochen werden – der war dort etabliert und dennoch zog es Wolfskehl dorthin und er blieb dort auch fünf Jahre. Wenn schon verarbeitete Wolfskehl den aufziehenden Nationalsozialismus – aber den in diesem Zusammenhang als Faschismus zu bezeichnen ist ähhhm “schwer verständlich” und unsauber …

  4. M.H. schrieb am March 19, 2008:

    Es ist wohl ein Fehler, Wolfskehl von George zu trennen. Und wenn Sie Wolfskehl und George politisch auseinanderdividieren, den einen mit Karlauf zum “Ahnherrn jeder nationalen Bewegung” machen und den anderen zum Opfer jener „nationalen Bewegung“, so werden Sie sich den Zugang zum Verständnis des künstlerischen (und patriotischen*) Anspruches beider verstellen. Karlauf verkennt, daß wenn sich George in seiner Abfuhr an die Nazis zum „Ahnherrn jeder nationalen Bewegung“ erklärt, er dies gegen die Nazis erklärt. Wie Wolfskehl ist George ein Autor des Exils und das trotzige Bekenntnis von Wolfskehl: „Ich war Deutsch und ich war Ich. … Ob im Osten, ob im Westen: Wo ich bin ist Deutscher Geist“ ist eben mit George gleichgesinnter Anspruch gegen die Nazis! (An die Deutschen) Soll sagen, wir – nicht ihr – sind die Ahnherrn des deutschen Geistes. „Alle meine Pulse pochen, Von dem Rufe: auf und fort“ (auch George flieht aus Deutschland, besucht noch ein letztes Mal das Elternhaus). Wie Wolfskehl den Meister zum Zeugen aufruft, so zeugt auch Wolfskehl für den toten Freund (und Meister):
    „Weit aus heilig weissem Feuer
    Reckt die Hand und heischt der Meister:
    Überdaure! Bleib am Steuer!
    Selige See lacht, Land ergleisst!
    Wo du bist, du Immertreuer,
    Wo du bist, du Freier, Freister,
    Du der wahrt und wagt und preist –
    Wo du bist, ist Deutscher Geist!“
    Es hat mich immer sehr verwundert, wie dies Klare eingetrübt werden konnte.

    Wolfskehl ist der „Mann der tausend Fühlungen“ (von Benjamin) genannt worden, in diesem Sinne ist auch sein Interesse für „esoterische Gedankengänge“ zu verstehen. Ob er da gleich ein Anhänger genannt werden kann, ist mir fragwürdig. In einem Querschnitt-Heft über Esoterik hat Wolfskehl über die Esoteriker das schöne ironische Bonmot geschrieben, daß diese „Im Drüben fischen“ würden.
    „Allem Flüchtigen sich vertrauen
    Heisst es – lächle weil du lernst.
    Wenn du nicht mehr spielen kannst
    Flieht dich stumm auch Meister Ernst.“ (Wolfskehl)

    Pathos und Witz schließen sich in diesem Falle nicht aus, wer ihm das eine oder andere abschneidet, erzeugt Schieflagen.
    findet
    Marcus Haucke, Berlin (wo vier graphische Blätter zu Wolfskehl von Marcus Behmer hängen, für MB war er der Lichtbringer).

    * „Aber im Herzen die Heimat
    Wahre, die von dir schied,
    Hege die heilige Keimsaat,
    Hüt ihr Geheimnis im Lied.“ (Wolfskehl) (Mit Nationalismus oder Deutschtümelei hat dies ganz und gar nichts zu tun, selbst nicht im 1. Weltkrieg)

  5. Jörg Armer schrieb am March 26, 2008:

    Hinweisen möchte ich auf den sehr interessanten Sammel-band: Wolfskehl, Karl: Gedichte, Essays, Briefe, Jüdischer Verlag, Frankfurt am Main, 1999. Zum ersten Male ein Querschnitt durch das Gesamtwerk sowie auf den, verdienstvollerweise von Manfred Schlösser erarbeiteten u. in seinem Verlag (Agora,1969)herausge- gebenen Ausstellungskatalog “Karl Wolfskehl. 1869-1969”. Eine Fundgrube für Wolfskehl-Interessierte!
    Bisher nicht erwähnt wurden die umfangreichen Briefwechsel von K.W., so die mit Friedrich Gundolf (2 Bde.),Albert Verwey, Briefwechsel aus Neuseeland (2 Bde.),Briefwechsel aus Italien. Informativ auch unter anderen der Beitrag von Ute Oelmann in: Karl Wolfs- kehl. Tübinger Symposium zum 50. Todestag, Stauffen- burg Verlag, 1999: “Ein wenig geduld und viel eingebung”. Zum Briefwechsel zwischen Stefen George und Karl Wolfskehl. Im ZVAB sind auch Widmungsexem- plare von K.W.zu finden.

  6. Eva-Maria Klatt schrieb am April 20, 2008:

    nicht zu vergessen, die opulente und empathische Biographie(2005 Wallstein, Göttingen) über Karl Wolfskehl von Friedrich Voit, dem in Auckland lehrenden und forschenden Germanisten – bei Karlauf übrigens zitiert! Ein tief Verwobensein jenseits aller Literatur auch in unser Leben, das der Nachgeborenen, ist das Schicksal des jüdischen Deutschen Karl Wolfskehl aus Darmstadt, dessen jüngerer Bruder Eduard, ein Ingenieur, 1943 in dem sogenannten Arbeitslager Frankfurt-Heddernheim “starb” – auch dies wäre noch aufzuarbeiten.

  7. Von umflorten Berges Kimme « The Prenzlauer Berger schrieb am June 24, 2008:

    […] Karl Wolfskehl […]


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