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Der kopflose Ritter der Moderne

von konecny

Die Bafler sind meinem genialen Landsmann Bohumil Hrabal nach Leute, „gegen die unaufhörlich ein Ozean zudringlicher Gedanken anbrandet“. Aus diesem Ansturm rettet sich der Bafler durch das Bafeln – einen Rederausch ohne Gleichen, in dem er maßlos übertreibt, vergrößert, verschiebt und verkehrt. „Der Bafler sieht die Wirklichkeit durch das diamantene Auge seiner Phantasie“, schreibt der große Bafler Bohumil Hrabal. „Ich bin ein durch Lachen entbluteter Stier, dem jemand das Gehirn wie ein Eis auslöffelt.“

Karin mag keine Leute, die die Wirklichkeit verdrehen. Übertreibungen lehnt sie ab. Wenn ich sage, „vom Himmel fielen Hunderte von Sternschnuppen herunter“, sagt sie: „Also drei.“ Obwohl ganzheitlich ist Karin ein Glückskind der westlichen Leistungsgesellschaft – sie ist im High-Tech-Land Bayern geboren. Für Karin ist Reden Silber und Schweigen ist Gold. Man redet, um wichtige Informationen auszutauschen, welche Arten von Schutzengeln es gibt, welche homöopathische Potenz die beste Wirkung entfaltet… „Oder wenn du etwas verkaufen willst!“, sagt Karin. Der Bafel ist für sie minderwertige Ware, wertloses Geschwätz. Doch im tschechischen Original des Wortes „Bafeln“ – „Pábení“ – schwingt das Locken des Fasans mit, wenn er sich mit seinem prächtigen Federkleid vor dem Weibchen produziert und damit gesunde Gene und Zeugungskraft vortäuscht. Beim Bafeln will ich Karin keine blöde Versicherung verkaufen, keinen Staubsauger, beim Bafeln will ich ihr eine ganze Welt andrehen – ein Sonnensystem, in dessen Mittelpunkt ich selbst stehe. Und sei es als der verlogene und aufgeblasene Betrüger von einem Fasan! Statt aber ein Lächeln ins Gesicht zaubern meine entarteten Monologe Karin Kopfschmerzen herbei: „Kannst du nicht einfach nur das Maul halten, verdammt?!“, brüllte sie einmal am Frühstückstisch. „Dieses Gelaber kann kein Mensch ertragen!“

„Hier im Westen ist doch die Meinungsvielfalt gefragt“, sagte ich. „Wo soll man denn sonst reden, wenn nicht in einer pluralistischen Gesellschaft? Ich bin Tscheche! Im Sozialismus bildete jedes eigene Wort ein Glied einer Kette, an der du dich aus der Wirklichkeit heraus ziehen konntest. Das Labern habe ich von meiner Mutter geerbt. Für meine Mutter war jede Pause im Gespräch eine Herausforderung! Gleich sprang sie in die Lücke mit einer Geschichte hinein und redete sich ihren Hormonzyklus vom Leibe. Wegen des Redens musste ihr mein Vater an unserem Haus in Mähren eine Terrasse bauen. Wenn Mutter beim Kochen durchs Fenster eine Nachbarin an unserem Haus vorbei gehen sah, jagte sie auf die Terrasse und laberte die arme Frau voll. Im Winter wateten die Nachbarinnen durch die Schneewehen am Wald hinter unserer Strasse in die Stadt, um nicht an unserem Haus vorbei gehen zu müssen.“

„Ich muss auch gleich weg!“, sagte Karin und wand sich und zuckte, blass wie die Weiße Frau von Wolfsegg wurde sie, und sie massierte sich die Schläfen, um Migräne vorzutäuschen. Doch ich musste reden, verdammt, meine Mutter stand plötzlich mittendrin im Fluss meiner Gedanken wie eine hungrige Anglerin, und so drosch ich mit dem Ochsenziemer meiner Worte unerbittlich weiter auf Karin ein:

„Mit sechzehn habe ich für zehn Bier mein erstes Motorrad gekauft. Vom Todesfahrer Bocek. Ich wollte der Held im Dorf sein, der Champion! Da würden die Mädels glotzen, wenn ich wie der Motocross-Rennfahrer Bocek über die Hügel hinter der Heiliger-Johann-Kapelle raste und brumm, brumm und hopp, hopp über die Mulden. Ich musste nur den müden Jawa-50-Mustang zu einer Motocross-Höllen-Maschine frisieren. Ich machte mich ans Werk, und schon trippelte meine Mutter in den Hof: ‚Wo hast du den Mustang geklaut?’, brüllte sie. Ich montierte gerade das unnötige Blech vom Motorrad herunter, den ganzen Schnick-Schack, der das Motorrad fett und träge machte. ‚Du hast doch keinen Führerschein!’, kreischte sie weiter. ‚Und das Motorradfahren ist sowieso gefährlich. Wegen eines Motorradfahrers muss der alte Vondra aus Krmelin ins Gefängnis. Gerade letzte Woche hat er auf seinem Laster eine Ladung großer Blechplatten gefahren, als von hinten ein Motorrad angerast kam. Es war windig und der Laster hat keine gute Federung und ruckelte und rüttelte und plötzlich flog eine der Blechplatten vom Laster hinunter… ach was, flog, das Blech segelte wie ein Rochen im Meer, wie wir ihn unlängst in diesem Unterwasserfilm im Fernsehen gesehen haben – „Aus Meerestiefen“ heißt die Sendung, weißt du, Jarek, diese Unterwasserfilme sind…’

‚Und was war mit dem Blech, Mama?’, fragte ich.

‚Das Blech segelte nach unten und schnitt dem Motorradfahrer sauber den Kopf ab. Samt seinem Helm! Das haben später die Feldarbeiter berichtet, die neben der Strasse Kohlrüben geerntet haben. Als du klein warst, sind wir zusammen öfter zu einem Kohlrübenfeld…’

‚Du wolltest über den Motorradfahrer erzählen?’, sagte ich und fing an, den Auspuff abzumontieren. Das Motorrad glitzerte schon in der Sonne wie ein hübsches Skelett. Noch ein paar Schrauben und dann durfte ich den Homunkulus zum Leben erwecken. Wrrrr, brumm!

‚Na, der Motorradfahrer fuhr halt ohne Kopf weiter!’, sagte Mutter. ‚Der Kopf war auf den Boden geflogen, aber weil er noch im Helm steckte, konnte er springen wie ein Gummiball, machte also drei große Sprünge auf dem Asphalt, pong, pong, pong, wie beim Tischtennisspielen, nur mit einem großen Ball, und in einem viel größeren Bogen sprang der Kopf in dem Motorradhelm: pong… – mei, die Chinesen die haben so gute Ping-Pong-Spieler…’

‚Und der Kopf?’

‚Ja, und dann hüpfte der Kopf von der Asphaltstraße aufs Feld und blieb dort liegen, doch die Feldarbeiter konnten ihn nicht finden, weil der hellgrüne Helm von den Kohlrüben nicht zu unterscheiden war. Wie die Verrückten suchten sie zwischen den Rüben nach dem Kopf im Helm, drehten an den Rüben herum, um zu sehen, ob sie festgewachsen waren, und glaubten langsam nicht mehr, was sie gesehen hatten.’

Der Auspuff war abgebaut, ich hockte mich auf die Bank, zündete mir eine Zigarette, das durfte ich mit sechzehn, denn damals galt das Rauchen noch als gesund, damals gab’s keine Rauchverbote. Ich hörte Mutter zu.

‚Der Motorradfahrer aber, als er den Kopf verloren hatte, gab vor lauter Schock Gas und überholte noch den Lastwagen des alten Vondra. Vondra hatte das mit dem Blech gar nicht mitgekriegt, wusste nicht, dass er gerade den Henker gespielt hatte, fuhr also ruhig weiter, und plötzlich überholte ihn ein Motorradfahrer ohne Kopf, wie der kopflose Ritter von der Gruselbahn, mit der wir auf der Matthiaskirmes in Prag gefahren sind. Die Strasse war leer und gerade, als führe sie direkt in den Himmel, und Vondra sah, wie der Kopflose auf seinem Motorrad vorwärts gen Horizont raste.’

Inzwischen hatte sich Mutter in Rage geredet, und je mehr ihr Monolog rauschte, umso roter wurde ihr Faden, bis der Faden knallrot war. Mit Lust spulte Mutter ihn ab und bafelte wie Bohumil Hrabals Onkel Pepin: ‚Der alte Vondra musste gleich ins Dorf abbiegen, konnte dem Kopflosen also nicht nachfahren, statt aber die Bleche in die Kolchose zu bringen, stürmte er die Dorfkneipe und trank mit einigen Stammgästen schnell vier große Schnäpse hintereinander und verdünnte sie mit Bier. Und dann aßen sie alle Gulasch, und beim Essen hat Vondra den Stammgästen endlich die grausige Geschichte erzählt, und als er erwähnte, dass aus dem Halsstumpf des kopflosen Motorradfahrers beim Überholen des Lastwagens Blut spritzte wie aus einem Springbrunnen, wurde allen Stammgästen am Tisch schlecht –vielleicht von dem Blut, aber ich glaube, auch der Schnaps hatte Schuld daran –, allen Stammgästen wurde also schlecht beim Gulaschessen und sie fingen zu würgen an, aber sie zierten sich vor den anderen, so in der Öffentlichkeit, und so bliesen sich ihre Backen auf wie Luftballons, als sie versuchten, das Gulasch und die Schnäpse im Körper zurückzuhalten, bis der alte Vondra so aufgeblasen war, dass zwischen seinen Zähnen heraus ein dünnes Strählchen ins Gesicht seines Gegenübers spritzte, und dann waren auch die anderen so weit und kotzten sich die Gulaschteller voll. Und als sich der alte Vondra ausgekotzt hatte, kam die Öffentliche Sicherheit und nahm ihn fest, weil er mit seinem schlecht befestigten Blech einen Motorradfahrer geköpft hatte. Und die Stammgäste nahm die Polizei auch gleich mit, weil sie am Vormittag nicht in der Kneipe herumkotzen, sondern in der Kolchose arbeiten sollten. Und jetzt muss ich einen Sliwowitz trinken’, sagte meine Mutter, ‚weil mir von der Geschichte auch ganz schlecht geworden ist.’ Mutter ging ihren Schnaps trinken und ich schob das frisierte Motorrad in den Keller. Irgendwie hatte ich die Lust verloren, ein Motorrad zu fahren.“

Bumm! Die Wohnungstür flog zu. Ich hielt inne in meinem Monolog, wachte aus meiner Erinnerung auf und sah, dass Karin längst die Küche verlassen hatte und jetzt sogar die Wohnung und ich statt zu ihr zum Apostel Bartholomäus geredet hatte, der bei Nervenkrankheiten hilft und dessen Bild Karin vor Jahren an die Küchenwand gehängt hat, nachdem sie mich besser kennen gelernt hatte. Weil ich aber jeden Sonntag meine böhmische Kartoffelsuppe koche, ist der Apostel Bartholomäus schon arg mit Suppe bespritzt und schaut aus, als hätten ihn Fliegen vollgeschissen, und das erinnerte mich plötzlich an das vollgeschissene Bild des Kaisers Franz Josef in Jaroslav Haseks bravem Soldaten Schwejk.

Karin war also weg, doch die Geschichte wilderte weiter in meinem Kopf herum, ließ mir keine Ruhe, ich musste sie noch mal loswerden, und dann noch mal, wenn ich sie vielleicht irgendwann vorlesen dürfte. Ich hockte mich an den Rechner und schrieb die Story über meine verstorbene Mutter und den kopflosen Ritter der Moderne, damit sie beide von mir eine Geschichte zum Grabstein hätten.

So bin ich Schriftsteller geworden. Sollte mir Karin irgendwann wieder zuhören, mache ich Schluss mit der verdammten Schriftstellerei. Das schwöre ich! In einer Sache werden wir uns aber wohl nie einig: Schweigen ist nicht Gold – Schweigen ist brutal! Und manchmal sogar Massenmord!

9. June 2008

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7 Kommentare

  1. Uwe Gaitzsch schrieb am June 9, 2008:

    Die Geschichte kommt mir irgendwie bekannt vor. Ist das nicht eins von diesen Gerüchten, die alle zehn Jahre mal wieder durch die U-Bahn geistern. Urban Legends?

    Trotzdem schade für den Motorradfahrer. Hieß bestimmt Störtebeker.

  2. Jaromir Konecny schrieb am June 9, 2008:

    Lieber Uwe,

    ein rasender Motorradfahrer ohne Kopf gehört wohl zu den Mythen der modernen Gesellschaft, ich habe von ihm zum ersten Mal mit 15 in der sozialistischen Tschechoslowakei gehört, also vor 36 Jahren. Deswegen auch der Titel meiner Story: “Der kopflose Ritter der Moderne”. (Übrigens ist auch die Anekdote mit den vollgekotzten Gulaschtellern eine solche “Kneipenlegende”.) Beim Bafeln erzählen Bafler nun mal Geschichten, die sie in der Kneipe, in der U-Bahn usw. aufgeschnappt haben. Bohumil Hrabals Bücher zum Beispiel sind voll von solchen “urban legends”, Hrabal hat sich ja selbst nicht als Schriftsteller bezeichnet, sondern als Aufschreiber vom Gesehenen und Gehörten. Womit er selbstverständlich maßlos untertrieb. Es kommt ja in der Literatur nicht so auf einzelne Anekdoten an wie im Kabarett, in der Literatur geht’s um den gesamten Kontext – wie der Dichter das Gehörte und Gesehene und Erlebte nun mal zusammen bringt und “verdichtet”. Das hat Hrabal sehr gekonnt gemacht. Und mit viel Poesie!

    Liebe Grüße

    Jaromir

  3. Helmut schrieb am June 11, 2008:

    Eine nette Baflerei – nur etwas merkwürdig, dass hier der Mann, nicht die Frau der redesüchtige ist – ich erlebe das in der Regel anders?!
    Und ob Selbstverkauf durch Geschwafel eine gute Idee ist? – Man kann das mal kurz ertragen, aber dass das auf Dauer nervt, scheint unausweichlich.
    Ist dieses Gebafel nicht eine Art der Verrichtung der Notdurft? – Und macht man damit das Gegenüber nicht zu einem Gefäß derselben – was diesem naturgemäß wenig Spaß bereiten dürfte?
    Die Köpfung in ähnlicher Art gibt es etwa auch in dem Film “Der Exorzist”, dort allerdings, wenn ich mich recht erinnere, mittels einer Glasscheibe.

  4. Jaromir Konecny schrieb am June 12, 2008:

    Hallo Helmut,

    danke! In der Geschichte ist das Bafeln zwischen Frau und Mann gerecht aufgeteilt. Zuerst bafelt die Mutter des Ich-Erzählers, am Ende der Story sollte sich aber der Ich-Erzähler (Mann) selbst als der eigentliche Bafler herausstellen. Die Bafler des Bohumil Hrabal sind oft Männer, aber auch Frauen, einmal bafelt bei Hrabal eine ganze Familie. Eine geniale Baflergeschichte von Hrabal, ein einziger Rederausch auf 100 Seiten ausgebreitet, ist “Tanzstunden für Erwachsene und Fortgeschrittene”. “Allzu laute Einsamkeit” von Hrabal kann ich auch wärmstens empfehlen.

    Meiner Meinung nach sind Geschichten für den Menschen “essentiell”. Wenn man Geschichten und das Erzählen mag, kann man wohl einem begabten Bafler nicht widerstehen, man muss ihm zuhören – und das stundenlang. Die Prachtfeder des Baflers ist ja seine Story und seine Art zu erzählen. Klar gibt’s Leute, die einen durch ihr Geschwafel maßlos langweilen. Das sind aber keine Bafler sondern Schwafler. Der Bafler schreit grandiose Geschichten in die Welt hinaus, der Schwafler erzählt stundenlang, wie der Typ da ist und die Frau dort, und was das kostet und was das andere, und wo’s ihm wehtut, und wo was billig zu bekommen ist und so weiter und so fort (die “gebildeten” Schwafler zitieren gerne). Der Schwafler produziert redundante Information, der Bafler schöpft beim Reden Kunstwerke. Der Bafler ist – meiner Meinung nach – der Ursprung der Literatur. Aber ich gebe zu – es gibt eine Menge Leute auf der Welt, die für Literatur und Poesie nichts übrig haben.

    Der kopflose Mensch (eventuell mit dem Kopf unter dem Arm auf dem Pferd reitend – deswegen das Motorrad bei mir) ist ein Mythos, der sich durch die Menschheitsgeschichte zieht. Die kopflosen Ritter der Märchen sind ja hinreichend bekannt. Sogar bei Harry Potter gibt’s den kopflosen Nick (wenn ich mich in dem Namen nicht irre).

    Liebe Grüße

    Jaromir

  5. Jaromir Konecny schrieb am June 14, 2008:

    Liebe Blogleser,

    der zweite Teil dieser “Bafler”-Geschichte wurde übrigens bei meinem Auftritt im Café Atlantik während der 4. Tschechischen Kulturtage der Brücke/Most-Stiftung in Freiburg aufgezeichnet. Hier die Adresse, falls Ihr mich Euch noch “live” antun wollt:

    http://www.zaplive.tv/web/producer/tschechische-kulturtage-tv?streamId=tschechische-kulturtage-tv%2Fd8493cef-f4f7-4a21-8ee6-a15156df9dc6

    Danke und liebe Grüße

    Jaromir

  6. Helmut schrieb am June 14, 2008:

    Danke für die umfängliche Antwort!
    Und die enthaltene Differenzierung in “Schafler” und “Bafler”. Dass Geschichten essentiell sind, denke ich auch (obwohl: für alle? – Es scheint auch die MAcher zu geben, für die Geschichten vielleicht nicht zur conditio sine qua non gehören – oder???) – nur schien es mir, dass die Bafler Übertreibungen brauchen respektive pflegen und durchaus auch eher den nervigen Zeitgenossen zugehören. Und braucht man das oder, anders gefragt, welchen Zweck erfüllt das?
    Der Bafler als Ursprung der Literatur? Große Worte. Oder um noch eine Kategorie reinzubringen: Ist der Bafler nicht (wenigstens in Teilen) auch ein Schwadroneur? Und gibt es nicht Teile der Literatur und Poesie, die damit wenig zu tun haben?
    Der Mythos des Kopflosen: Eine spannende Figur – aber vielleicht mehr symbolsprachlich zu deuten, was für die vorliegende Geschichte doch nicht die primäre Rolle spielt? Da ist es doch mehr ein kleines Ekel- oder Horror- oder, modern gesprochen, Splatter-Element, oder?

  7. Jaromir Konecny schrieb am June 30, 2008:

    Hallo Helmut,

    uff, jetzt bin ich von den ganzen Touren wieder in München zurück und kann mich auf die Kolumne etwas konzentrieren.

    Vielen Dank für das anregende Kommentar. Es stimmt sicher, dass nicht alle Menschen etwas mit dem Erzählen anfangen können. Und es gibt sicher auch Schriftsteller und Leser, für die das Erzählen zwar essentiell ist, doch eben nicht das Exzessive, das Baflerische. Was die Rezeption der Literatur angeht, landet man nach ein paar Allgemeinregeln zwangsläufig im Subjektiven. Ist man ein enthusiastischer Dostojewski-Leser, würde man das Bafeln wohl eher genießen als ein Tolstoj-Leser zum Beispiel, man denke nur an Dostojewskis großartigen General Iwolgin in seinem Idiot, diesen herrlichen “Lügner”. Dieses Subjektive ist auch eine Grenze für alle, welche die Literaturkritik zur Wissenschaft “erheben” wollen. Ein weiterer “Bafler” in der Literatur ist z. B. Jaroslav Hasek. Ein Nichtbafler wohl Thomass Mann. Ich will hier aber nicht das Sakrileg begehen und sagen, Thomas man neigte statt zum Bafeln zum Schwafeln… na, ja… Alfred Döblin soll ja mal über Thomas Mann gesagt haben, Thomas Mann sei kein Schriftsteller sondern ein Stilist. So weit will ich nicht kommen, nur sagen dürfen, Thomas Mann sei sicher ein großer Schriftsteller, doch liege er mir nicht – womit wir wieder im Subjektiven gelandet sind.

    Wenn ich den Bafler als den Ursprung der Literatur bezeichne, denke ich dabei an einen wild gestikulierenden Menschen am Lagerfeuer, irgendwann in der Steinzeit, dem seine Zuhörer fasziniert an den Lippen hängen, weil er sie in eine andere Wirklichkeit führt – in unsere “literarische” Überwirklichkeit eben, die damals aber noch nicht so hieß. Der Bafler ist immer der begabte Verführer, sonst ist er kein Bafler.

    “Der Kopflose” ist für meine Geschichte – wie Du sagst (können wir uns duzen?) – vielleicht nicht essentiell, andereseits ist dieses Versatzstück Bafler-Stoff per excellence und verführt nahezu zum Übetreiben. Ausserdem liefert der kopflose Motorradfahrer der Mutter des Ich-Erzählers eine starke pädagogische Pointe. Warum hat ihm die Mutter das erzählt? Weil sie den Jungen eben mit ihren Bafler-Mitteln vom Motorradfahren abbringen wollte. Was ihr am Ende auch gelungen ist. Weiter ist die Geschichte eine Hommage an Bohumil Hrabal – in Hrabals Geschichten spielt das Motorrad eine überragende Rolle, und und und… na, dann schieße ich doch noch eine symbolsprachliche Deutung nach – zum Beispiel der Titel “Der kopflose Ritter der Moderne” weist auf den Kulturbruch bei dem Sprung in unsere schöne neue Maschinenwelt und letzten Endes auf den zunehmenden Verlust des Bafelns (Erzählens von Mensch zu Mensch) während der maschinen/medien-bedingten zwischenmenschlichen Entfremdung. Wenn wir das Erzählen von mir zu dir und vice versa verlieren, verlieren wir auch “unseren Kopf”! Aber ein Schriftsteller kann sich nachträglich tausende Deutungen seines Werks zusammenbasteln, wichtiger ist wohl, was und ob der Leser mehr hineininterpretieren kann, als in den Zeilen steckt, ob der Leser gerade in dieser Geschichte etwas für sich findet – seine eigene “biblische” Komponente hinter dem Vordergrund. Tja, jetzt komme ich doch nicht ohne ein zweites Zitat aus: “Sage große Sachen mit einfachen Worten”, sagte Schoppenhauer. Und so liebe ich Erzähler, die in meinem Kopf mit einfachem Werkzeug neue Welten bauen können. Wenn ich als Leser mitmache – na, klar!

    Liebe Grüße

    Jaromir


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