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Männer auf der Kirmes

von konecny

Der Mann ist ein erfinderisches Geschöpf, wenn’s darum geht, geistige Sachen mittels geistiger Getränke in geistlose Abgründe zu führen. Der Fastenschank zum Beispiel, der letzte Ausschank von Alkohol, hat früher die christliche Fastenzeit eingeleitet, die den Körper fürs Spirituelle reinigen sollte. Die Fastenzeit und das Spirituelle spart man sich mittlerweile, der Fastenschank aber ist uns als Fasching erhalten geblieben, eine jetzt grundlose Sauferei, die jeder Spiritualität spottet. Jahr für Jahr artet somit eine christliche Tradition zu einem mittels Alkohol enthemmten heidnischen Fest aus.

In Mähren hat sich die Kirchenmesse zur Kirmes gewandelt, die heutzutage allem anderen mehr ähnelt als einer Kirchenmesse und die jeder Gottesfürchtige als gottlos bezeichnen würde. Und zu einer Kirmes in einem Dorf unweit von Mährisch-Ostrau wurde ich von meinem Freund Pepino eingeladen. Er wollte sich dafür revanchieren, dass ich über ihn eine Geschichte geschrieben hatte: Wie er mal aus dem 9. Stock seiner Wohnung in Ostrau den Hamster seiner Freundin Marketa mit einem Fallschirm springen ließ. Marketa hatte den Hamster ins Hause von Pepinos Eltern mitgebracht, damit Jožin auch etwas von der Kirmes habe, doch der Hamster schiss auf die Kirmes – und das wörtlich – und nagte in seiner Pappkiste an einer prachtvollen Bio-Karotte. Er war der einzige Vegetarier im Wohnzimmer! Wir andern aßen selbst geräucherten Speck und spülten ihn mit Slibowitz runter, denn ohne den Schnaps wäre das fette Stück nicht zu verdauen gewesen.

„Wer Kaffee und Kuchen haben will, kann in die Küche kommen“, sagte Marketa. Alle Frauen verschwanden in der Küche, die Männer blieben sitzen.
„Kaffee und Kuchen?“, fragte Onkel Albert, der hier in einer festlichen Jägeruniform hockte. Er füllte unsere Gläser wieder mal mit Slibowitz. „He, he!.. Die Weiber haben aber Ideen!“
„Ist das deine Flinte?“, fragte ich Albert und zeigte in eine Wohnzimmerecke.
„Mein Bärentöter!“, sagte er. Der Onkel war Frühaufsteher und hatte mit dem Slibowitz schon einige Stunden vor uns angefangen.
„Frauen interessieren sich nicht für geistige Sachen!“, sagte Pepinos Vater. „Jack London hat in Die Zwangsjacke geschrieben, dass Frauen nicht über die Sterne wandern können!“
„Die Weiber haben nur dummes Zeug im Kopf!“, sagte Onkel Albert. „Unlängst hab ich meine Alte erwischt, wie sie und unsere Nachbarin den Umfang ihrer Beine mit ’nem Maßband gemessen und gestritten haben, welche von ihnen dickere Schenkel hat. Als ob es auf der Welt nicht wichtigere Sachen gäbe. Ha!.. Seht ihr den Apfel da?“ Onkel Albert zeigte zum Fenster hinaus, stand auf und packte seinen Bärentöter. „Den knalle ich jetzt ab!“ Der Hamster richtete sich auf, stützte sich mit den Vorderpfoten auf den Pappkistenrand und guckte Onkel Albert interessiert zu.
Pepinos Mutter kam ins Wohnzimmer. „Leg die Flinte weg, Albert!“, schrie sie. „Letztes Jahr hast du uns den Hund erschossen!“ Albert stellte seinen Bärentöter gehorsam wieder in die Ecke. „Wir gehen jetzt auf die Kirmes!“, sagte Pepinos Mutter.

Onkel Albert packte wieder seinen Bärentöter. „Ich mach für dich am Schießstand eine Rose klar, Marie!“, brüllte er. Nur mit Mühe gelang es uns, Onkel Albert seinen Bärentöter zu entwenden.
Ohne weitere Zwischenfälle langte unser Haufen auf dem Sportplatz des Dorfes an. Überall Karussells, Schießstände, Zuckerwatte, Wurstbuden, Bier, Schnaps und andere Freuden. „Ich liebe Kirmes!“, sagte Marketa. „Wollen wir hier etwas spazieren?“
„Geht schon vor!“, sagte Pepinos Vater. „Wir machen jetzt Pause mit dem Alkohol und trinken hier am Stand Bier, um den Schnaps zu verdünnen!“ Die Frauen schlenderten voraus.

Onkel Albert gurgelte sich das Bier hinein. „Ich will fliegen!“, brüllte er plötzlich. „Ich bin ein Adler!“ Er torkelte zur Kasse des benachbarten Kettenkarussells.
Pepinos Vater zerrte ihn zurück. „Kein Karussell heute, Albert!“, sagte er. „Letztes Jahr hast du den ganzen Platz vom Kettenkarussell aus zentrifugal vollgekotzt!“
Zum Glück erhaschte Onkel Albert unweit von uns den Schießstand, mit unseren Frauen davor. Gleich stelzte er hin. „Gib die Flinte her!“, brüllte er, krallte sich von dem Schießstandbesitzer eine Luftflinte und fing an, in die Stoffpuppen am oberen Regalfach des Schießstandes zu ballern bis Fetzen flogen! Die Schießstandleute rissen dem Onkel die Waffe wieder aus den Händen und nötigten ihn, die getroffenen Stofftiere zu bezahlen.

„Arschlöcher!“, brüllte Onkel Albert, als wir ihn von der Schießbude wegzerrten. „Ihr habt bei den Flinten die Läufe gebogen! Ich zeige euch gleich eine richtige Flinte! Meinen Bärentöter!“ Plötzlich entriss er sich uns aber und torkelte zu einem Tisch mit aufgeblasenen Luftballons. Er kaufte alle. „Zu Hause machen wir einen Schießwettbewerb!“, sagte er. „Wer die meisten Ballons trifft, der ist der Kirmesschützenkönig.“ Mit zwanzig Luftballons an Fäden lief er vor uns, hin und wieder sprang er hoch und brüllte ununterbrochen: „Ich kann fliegen!“ Pepinos Mutter lief ihm nach, schimpfte mit ihm, von wegen, was die Nachbarn sagen würden und so, als sie aber erkannte, dass Onkel Albert inzwischen alle Promille-Grenzwerte des zurechnungsfähigen Daseins hinter sich gelassen hatte, gab sie’s auf. Onkel Albert grunzte, holte seinen Schwengel heraus und begoss die Begonien einer Nachbarin. Mit roten Wangen eilten die Frauen ins Haus, wir hinterher.
Im Haus von Pepinos Eltern trennten sich die Geschlechter wieder. Männer ins Wohnzimmer, Frauen in die Küche. Da der Hamster zu den Männern zählte, blieb er bei uns. Das Kerlchen hatte vor Freude gequiekt, als es uns wieder erblickte. „Ein Held!“, sagte ich. „Wohl der einzige Hamster auf der Welt, der mit einem Fallschirm gesprungen ist.“

Pepino musste noch mal erzählen, wie er den Hamster an einem kleinen Fallschirm aus dem 9. Stock hatte runtersegeln lassen. „Leider hat uns Marketa den Fallschirm weggenommen“, sagte Pepino zum Schluss traurig. „Die Nachbarn haben gepetzt!“
„Frauen verstehen nicht die Lust des Mannes am Fliegen!“, lallte Onkel Albert. “Wozu ein Fallschirm? Wir haben die Scheißluftballons!“
„Super Idee!“, sagte Pepino. Wir banden ein Stoffband um den Rumpf des Hamsters, befestigten dran die Fäden von sechs Luftballons, und gleich hatte der Hamster sein Luftschiff. Er zögerte keine Sekunde mehr, stieß sich mit den Hinterbeinen von der Tischplatte ab und schon schwebte er einen halben Meter über dem Tisch, fiel langsam runter, doch wieder hop, hop – hoch und runter; wie ein Raumfahrer im schwerelosen Raum hüpfte der Hamster über den Tisch, er gönnte sich keine Ruhe, immer wenn er auf der Tischplatte landete, stieß er sich gleich ab.

„Er mag das!“, brüllte Onkel Albert. Und gerade da flog die Wohnzimmertür auf, und der Durchzug trieb den Hamster noch höher und zum Fenster hinaus. „Mein Hamster!“, kreischte Marketa in der Tür.
„Keine Angst, Mädchen!“, brüllte Onkel Albert. „Den hole ich schon runter! Ein paar Luftballons treffe ich immer!“ Er packte seinen Bärentöter, sprang plötzlich flink wie Old Shatterhand zum Fenster, zielte, und bevor wir es verhindern konnten, ballerte er los! Und das war auch das unverdiente Ende des heldenhaften Fliegers und Fallschirmspringers Jožin. Onkel Alberts Bärentöter machte aus Jožin Dünger für die Nachbarsgärten. Die sechs bunten Luftballons stiegen jetzt allein hoch gen Himmel, als wollten sie dem Hamster-Helden noch die letzte Ehre erweisen.

Die Frauen entwanden Onkel Albert seinen Bärentöter und zerhackten ihn im Hof mit einer Axt. Da schnarchte aber Onkel Albert schon auf dem Sofa, mit einem Lächeln im Gesicht. Auch Pepinos Vater und Pepinos Bruder Karel schliefen in ihren Sesseln ein. Endlich konnten sich die Frauen des Hauses in Ruhe an den großen Küchentisch setzen und ohne weitere Störungen die wichtigen Dinge des Lebens besprechen. Nur Marketa blieb traurig und wollte mit Pepino kein Wort mehr reden. Pepino und ich versuchten, in einem Gespräch unser Gewissen zu läutern. Das gelang uns auch einigermaßen, vor allem als Pepino sagte, dass jeder Fortschritt Opfer mit sich bringe. Diese männliche Gewissensläuterung muss ich hier wohl nicht weiter ausführen, die kennt man ja aus der Geschichte und auch aus der heutigen Politik, Industrie und Wissenschaft zu Genüge.

6. April 2009

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4 Kommentare

  1. Uwe schrieb am April 7, 2009:

    Mären aus Mähren.

    Das mit dem Hamster und den Luftballons muss ich mal ausprobieren. Hab aber keinen Hamster. Dafür Luftballons. Aber kein Gas. Hmmm, schade.

  2. Jaromir Konecny schrieb am April 8, 2009:

    Hallo Uwe,

    ob der Hamster mit Hilfe der Luftballons fliegen kann, ist nun mal wirklich nur eine Frage der Windstärke. Da musst Du nicht herumexperimentieren.

    Zu Mären aus Mähren: Ich habe nie behauptet, dass meine Geschichten “wahr” sind, na, ja, nur mit der Einschränkung, dass für mich jede Geschichte “wahr” ist, wenn sie einmal geschrieben steht. Ob eine Geschichte tatsächlich im normalen Leben auch so passierte, ist für diese Geschichte aber unwichtig. Meiner Erfahrung nach geschehen im Leben ständig Sachen, die so unwahrscheinlich und unglaubwürdig sind, dass man sie nie zur Literatur machen kann.

    Liebe Grüße nach Dresden

    Jaromir

  3. Laufsau schrieb am April 27, 2009:

    He Jaromir

    vielen Dank, hab wieder mal Tränen gelacht. Und Gruß von meiner Frau. Ich muss die im Max Eins jetzt endlich mal anhauen, dass sie dich zum Slam einladen…

  4. M.i.M. schrieb am June 16, 2009:

    Wie geil ist das denn…. ich kann nicht mehr vor lachen. Großartig.


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