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Zentrales Verzeichnis Antiquarischer Bücher

Lev Tolstoj – Denker und Philosoph

von wietek

So einhellig Lev Tolstoj weltweit als einer der größten Schriftsteller (wenn nicht gar: der größte) gefeiert wurde, so umstritten ist er als Denker und Philosoph – zu seinen Lebzeiten und heute.

Wie in Teil I dieser Essay-Trilogie dargestellt, war er von Kindheit an ein Mensch von messerscharfem analytischem Verstand bei gleichzeitiger höchster Unduldsamkeit gegenüber allen, die seiner Argumentation nicht folgen konnten oder wollten – heute würde man sagen, er war ein extrem dominanter Mann. Hinzu kam seine hervorragende Fähigkeit, sich auszudrücken – sei es mündlich oder schriftlich –, und sein perfektes logisches Denken. Er war sich dessen zwar bewusst, aber als dominanter Typ bediente er sich dessen auch unbewusst. Schon in seinem Auftreten drückte sich diese Dominanz, noch verstärkt durch seine hocharistokratische Mentalität, aus und er erdrückte fast seine Gesprächspartner mit seiner Erscheinung – wenn er es darauf anlegte, “vernichtete” er sie gar. Er war kein schöngeistiger, westeuropäischer Philosoph, sondern ein sich kraftvoll und sehr direkt ausdrückender, gleich einem Bauern in der Erde verwurzelter Russe. Mit einem Bein stand er zudem – im übertragenen Sinn – am Thron des Zaren und mit dem anderen auf dem ärmlichsten Hof eines Bauern. Zur Folge hatte dies alles, dass er zwangsläufig polarisierte, wenn er seine Überlegungen und Erkenntnisse quasi »ex kathedra« “verkündete”.
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19. November 2010

Lev Tolstoj: „Der Meister aller Meister, ein allwissender Shakespeare …“

von wietek

Das ist eine erstklassige Sache! Welch ein Künstler und welch ein Psycholog! Ich brach in Rufe der Begeisterung aus während der Lektüre… Ja, das ist stark, sehr stark… Der Meister aller Meister, ein allwissender Shakespeare …

[Gustave Flaubert in einem Brief an I. S. Turgenev aus dem Jahre 1880 nach der Lektüre von Krieg und Frieden]

Lev Tolstoj (auch Lew oder Leo Tolstoi) war zeit seines Lebens davon besessen, das, was er als Wahrheit erkannt hatte, auch auszusprechen; sich selbst, anderen und vor allem auch seinen Lesern wollte er nichts als die (oder besser: seine) Wahrheit sagen. Das führte einerseits zu jener schonungslosen Selbstkritik, von der seine Tagebücher geradezu strotzen, andererseits zu einer völlig unduldsamen Haltung seinen Diskussionspartnern gegenüber, die durch Tolstojs aristokratisches Bewusstsein noch verstärkt wurde. Nun war er aber auch und schon von Kindheit an ein unentwegt reflektierender, ja philosophierender Mensch; seine Wahrheiten änderten sich zwangsläufig mit seinem jeweiligen Erkenntnisstand, wodurch sich manch Widersprüchliches in seinem Werk findet – beispielsweise wird aus der Bewunderung soldatischer Tugenden (Sevastopoler Erzählungen) am Ende seines Lebens ein anarchischer Pazifismus.

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11. November 2010