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Monteur Dada

von konecny

Der Zufall ist ein durchtriebenes Luder, das sich nicht um die Folgen seiner Taten schert. An diesem Samstag hatte die geheimnisvolle Anna ihren Flohmarkt-Stand neben Karl aufgebaut, dem Kommunisten. Anna trug heute Shorts und eine Bluse, auf der Blumen blühten. Zu Zeiten des Jugendstils hätte ihre sparsame Kluft als ein schicker Badeanzug durchgehen können. Aus jeder Perspektive genießbar. Ihre schwarzen Haarsträhnen rahmten das schöne Bild mit hübschen Ornamenten ein. Anna hatte ich entdeckt – ja, „entdeckt“ ist das richtige Wort für unser erstes Treffen -, als sie im Stadtmuseum ein uraltes Foto mit einer Dame betrachtet hatte, die Anna nahezu poetisch ähnelte. Doch seitdem tat Anna so, als ob sie mich damals im Museum überhaupt nicht wahrgenommen hätte. Komisch, oder?

„Siehst du?“, sagte Karl zu Anna, als ich auftauchte. „Ein Antiquar! Unser Ausbeuter! Kauft von uns ein Buch für zwei Euro und schiebt’s weiter für 200.“
„Warum verkaufst du ihm dann die Bücher?“, fragte Anna die Gute.
„Weil sie sonst keine Sau kauft!“
„Antiquare sind das Greenpeace der kulturellen Umwelt!“, sagte ich. „Sie retten die aussterbende Art Altbuch vor dem Regen und den Mülltonnen!“
„Und werden reich damit!“
„Antiquare werden nur an Büchern reich!“, sagte ich, leider nicht ganz originell. Der Spruch stammte von meinem Kumpel Christof Größl vom Abeceda-Antiquariat, kann aber sein, dass Christof den auch irgendwo abgestaubt hatte.
„Meine Tante hat mir den ganzen Dachboden voll mit Büchern hinterlassen!“, sagte Anna. „Die sind noch von unserem Uropa!“
Obwohl ich dank eBay von „echten Dachbodenfunden“ den Hals gestrichen voll hatte, scheue ich als Antiquar vor keiner Verzweiflungstat zurück: „Könnte ich mir den Dachboden angucken?“, fragte ich.
„Ich kann die Bücher vielleicht selbst bei eBay verkaufen“, sagte Anna.
„Jeder kann ein Antiquar sein!“, sagte Karl.
„Jeder kann ein Künstler sein!“, sagte ich.
„Der Spruch ist von Beuys!“, sagte Anna, womit sie Bildung bewies.
„Zu seinem Glück muss Beuys nicht mehr miterleben, welche verheerenden Folgen sein Spruch für das Niveau unserer Kultur hatte“, sagte ich. „Gestern hab ich auf einem Büchertisch bei Hugendubel zwischen den ganzen Blutsaugerbüchern den ansprechenden Titel Sissi die Vampirjägerin entdeckt. So was hätte zu Beuys-Zeiten kein Buchhändler auszustellen gewagt.“
„Im hoch entwickelten Kapitalismus ist das Geld das einzige Kulturgut, das wirklich zählt!“, sagte Karl. Karl hat nicht immer Recht, aber auch nicht immer Unrecht.
„Warum bist du der Frau auf dem alten Foto im Stadtmuseum so ähnlich?“, fragte ich Anna.
„Du hast mein Foto gesehen?“
„Sie hat mich tatsächlich vergessen!“, sagte ich zu Karl.
„Du bist halt nicht so attraktiv!“, sagte er und kämmte mit den Fingern ein paar Frühstückskäsestücke aus seinem Bart. Plötzlich ließ uns der Beat aus meiner Hosentasche die Ohrläppchen vibrieren:
“Wacht auf, Verdammte dieser Erde,
die stets man noch zum Hungern zwingt!“
„Du hast die Internationale als Klingelton?“, fragte Karl. „Unglaublich!“
„Das ist meine Mahnung an die Reichen, die mich anrufen!“, sagte ich und nahm ab.
„Die hören deinen Klingelton doch gar nicht, wenn sie dich anrufen!“, sagte Anna. Hell war sie auch, die Kleine. Nur sollte sie nicht an meinem Robin-Hood-Image kratzen.
„Guten Morgen, Herr Urban!“, sagte ich ins Handy.
„Ich muss unbedingt die tschechische Svejk-Ausgabe mit allen sechs Heartfield-Umschlägen haben!“, sagte Urban. Ich entschloss mich für die sanfte Behandlung. Manche Sammler sind wie Patienten, die an argen Mangelerscheinungen leiden. Als Antiquar muss du in die Rolle des verständigen Arztes schlüpfen und den Vitaminmangel beheben!
„Leider…“, setzte ich an.
„Ich muss die Bücher haben!“, sagte Urban. Er hat sein Geld von seinem Vater geerbt und duldete somit keinen Widerspruch.
„Ich müsste deswegen nach Prag fahren!“, sagte ich. „Das wird nicht ganz billig werden!“
„Geld spielt keine Rolle!“, sagte Urban. Sein Vater drehte sich einmal im Grab um.
„Ich gebe Ihnen nächste Woche Bescheid“, sagte ich.
„Musst du die Bundeslade auftreiben?“, fragte Karl.

„Etwas Ähnliches!“, sagte ich. „Die zehnte tschechische Ausgabe von Die Abenteur des guten Soldaten Svejk! Mit den Umschlägen von John Heartfield.“
Des BRAVEN Soldaten Svejk heißt das!“, sagte Karl.
„Auf Tschechisch ‚des guten‘!“, sagte ich. „Grete Reiner, die deutsche Übersetzerin, hat den Text damals in den 20ern geglättet.“
„Wer ist denn Heartfield?“, fragte Anna. Hmm… was Buchkunst anging, war sie nicht ganz auf der Höhe. Würde wohl doch ein paar Jährchen dauern, aus ihr eine ordentliche Antiquarin zu machen.
„Ein Genosse!“, sagte Karl.
„Monteur Dada!“, sagte ich. „Hat mit George Grosz die Fotomontage erfunden!“
„Vielleicht habe ich die Svejk-Ausgabe?“, sagte Karl.
Ich lachte. „Alle vier Bände von Jaroslav Hasek und die zwei Fortsetzungsbände von Karel Vanek?“
„Das passt!“, sagte Karl. „Sechs Bücher sind’s, glaub ich!“
„Das ist der blödeste Witz dieses Frühlings!“, sagte ich.
„Ich hab die!“, sagte Karl.
Ich verdrehte die Augen. „Na, gut!“, sagte ich, um das dumme Gespräch zu beenden. „Zeig mal! Für die 10. tschechische Ausgabe von Svejk bekommst du gleich einen Tausender von mir!“
„Vielleicht hat er sie!“, sagte Anna.
„Unmöglich!“, entgegnete ich. „Die Dinger sind zu selten! Außerdem habe ich hier auf dem Flohmarkt noch nie ein tschechisches Buch gesehen.“
„Hab mal den Nachlass von einem Prager Deutschen bekommen!“, sagte Karl. „Der Svejk war das einzige tschechische Buch dabei!“ Das konnte stimmen. Die Prager Deutschen haben für den Tschechen Svejk schon immer etwas übrig gehabt! Max Brod hat Svejk in Deutschland bekannt gemacht und verhindert, dass die akademische Literaturkritik das biblische Buch zum Mülltonnenfutter erklärte. Weil’s auf seine wunderbar dadaistische Art jede Form von Autorität verspottete. Kein Wunder, dass der Monteur Dada Heartfield die Svejk-Umschläge mit seinen kongenialen Fotomontagen schmückte, in denen er sich der Illustrationen eines dritten Genies, des Svejk-Illustrators Josef Lada, bediente. Karl kramte in seinem Lieferwagen und kam mit sechs Bänden zurück.
Ich schlug das erste Buch auf. „Gibt’s doch nicht!“, sagte ich. „Das ist wirklich die 10. Ausgabe von 1936!“
Karl streckte die Hand. „Tausend Euro!“, sagte er.
„Flohmarkt ist super!“, sagte Anna.
„Wo sind aber die Umschläge von Heartfield?“, fragte ich.
„Scheiß auf die Umschläge!“, sagte Karl. „1000 Euro!“
„Ohne die Umschläge sind die Bücher wertlos!“, sagte ich.
„Wieso?“, fragte Anna. Ich seufzte. Karl guckte mich lange an. Seine Augen strahlten aus seinem Bart wie zwei Leuchtkäfer im Busch. „Bringst du mir aus Prag ein paar Flaschen Großpopowitzer Bock?“, fragte er.
„Klar!“, sagte ich.
„Ich komme mit!“, sagte Anna. „Muss das Antiquariatsgeschäft lernen!“
„Um Gottes willen!“, sagte der Kommunist Karl.

„Ich hab mir ein paar Heartfield-Fotomontagen im Netz angeguckt.“, sagte Anna zwei Tage später. Wir bretterten in meinem Opel gerade an Pilsen vorbei. Anna trug ein kurzes Frühlingskleid, und ich musste mich verdammt konzentrieren, um den Schalthebel nicht mit ihrem nackten Knie zu verwechseln. „Verstehe jetzt, warum Heartfield 1933 vor den Nazis in die Tschechoslowakei flüchten musste“, sagte Anna. „Zum Beispiel die Hitler-Montage: Adolf der Übermensch: Schluckt Gold und redet Blech ist 1932 noch in Deutschland erschienen, kurz bevor Adolf Hitler an die Macht kam: Ein Röntgenbild von Hitler mit einem Stapel Geldmünzen statt Speiseröhre.“ Wow! Die Frau lernte fleißig. Sie meinte es wohl ernst damit, eine Antiquarin zu werden. Schade um den Dachbodenfund.
„Adolf Behne sagte mal über Heartfields Fotomontagen, sie seien Fotografie und Dynamit!“, sagte ich. Musste ein bissl mit meinem Wissen protzen, wenn sie schon vom Antiquariat so angetan war. Frauen freuen sich immer, wenn du mehr weißt als sie. Wenn du Männer erfreuen willst, musst du dich dagegen dümmer als sie stellen. „Die Nacht auf Ostermontag 1933 verbrachten Heartfield und seine Frau in einem Lokal in Berlin, weil sie sich nicht mehr nach Hause trauten. Um vier in der Früh wollte Heartfield noch schnell ein paar Sachen aus ihrer Wohnung holen, kurz darauf tauchte dort ein Nazi-Trupp auf. Heartfield hat sich nur in Socken und ohne Mantel an ein paar zusammengebundenen Bettlaken vom Gitterfenster runtergelassen und verbrachte den Rest der Nacht im Blechkasten einer ausgedienten Leuchtreklame im Hof, weil das Tor verschlossen war. In seinem Versteck hörte er, wie die Nazis seine Brecht/Eisler-Schalplatten kaputt schlugen und seine Schnapsflaschen leersoffen. Bis 1938 lebte Heartfield in Prag. Er machte weiter seine Fotomontagen für die AIZ – Arbeiter Illustrierte Zeitung -, die jetzt in Prag im Exil erschien, arbeitete aber auch mit etlichen tschechischen Verlagen zusammen. Die meisten seiner Exil-Arbeiten sind selten…“ Und wieder die Internationale aus meiner rechten Hosentasche. Ich steuerte mit der Linken und fummelte mit der Rechten das Handy heraus. Plötzlich bremste ein Laster vor uns heftig. Ich warf das Handy Anna in den Schoß und scherte in die linke Spur aus. Uff! Nur eine Baustelle. Anna hatte sich durch das Manöver nicht aus der Ruhe bringen lassen und wohl inzwischen auf die Handyanzeige geguckt. „Hallo Christof Größl!“, sagte sie.
„Hey!“, sagte ich. „Du nimmst meine Gespräche ab?“
„Ich soll dir ausrichten, dass Christof nur seine eigene Heartfield-Svejk-Ausgabe hat!“, sagte sie und legte das Handy aufs Armaturenbrett. Ziemlich dominant, die Frau. „Auch ein Antiquar?“, fragte sie.
„Ja!“, sagte ich. „Die tschechischen Heartfield-Arbeiten hat wohl Christof auf dem deutschen Markt bekannt gemacht. Christof hat mal sieben Romane des Prager Verlags Odeon aufgetrieben: Aus der Reihe Schriftsteller aus der Sowjetunion. Die Schutzumschläge zu Avdejenkos und Katajevs Romanen waren mit Namenszug von Heartfield versehen, drei andere von tschechischen Graphikern signiert, jedoch stilistisch stark an die Entwürfe von Heartfield angelehnt. Heartfield hat auch die tschechische Avantgarde beeinflusst. Zwei der Umschläge waren ohne Angabe des Gestalters, doch auch bei ihnen hat Christof Heartfield vermutet.“
„Konnten sie auch nicht von tschechischen Künstlern stammen?“
„Dann wären die wohl auch signiert oder die Namen des Urhebers wären im Impressum erwähnt!“, sagte ich. „Wie’s bei den anderen Umschläge der Reihe der Fall war!“
„Das gilt doch für Heartfields Umschläge auch!“
„Die beiden Titel mit anonym gestalteten Schutzumschlägen sind 1935 erschienen, im Jahr nach der berühmten Manes-Affäre. Der Prager Kunstverein Manes hatte 1934 eine Ausstellung veranstaltet, in der auch Heartfields politische Fotomontagen zu sehen waren, in denen er sich über Hitler und die Nazis lustig machte. Nach massivem Druck des NS-Regimes auf die tschechoslowakische Regierung wurden diese aus der Ausstellung entfernt. Christof dachte, dass der Verlag aus Angst vor Repressalien auf die Nennung von Heartfield als Gestalter verzichtete.“
„Mann, oh, Mann!“, sagte Anna. „Das Antiquariat ist eine Wissenschaft! Wo willst du die Heartfield-Umschläge in Prag überhaupt auftreiben?“
„Ich kenne da einen Tomatenhändler!“
„Tomatenhändler?“
„Tonda! Ein Antiquar aus Prag! Vor etwa zehn Jahren sind Christof und ich bei ihm aufgetaucht. In der Ladenecke standen ein paar Tomatenkisten voll mit Büchern. Drüber ein Schild: ‚1 Kilo Buch 80 Kronen!‘“

Anna lachte. „In einer der Kisten lag ein Stapel von Svejk-Heften. 38 Stück“, sagte ich. „Alle Hefte hatten auf dem Umschlag die gleiche Fotomontage von Heartfield: Ein Foto mit von Menschen gesäumten Straßen in Prag, mittendrin eine Svejk-Zeichnung von Josef Lada: Frau Müller schiebt den von Rheuma gelähmten Svejk im Rollstuhl zur Einberufungskommission. Der Krüppel Svejk will in den Krieg, singt vor Freude, fuchtelt begeistert mit seinen Krücken in der Luft und die herumstehenden Prager lachen sich schlapp dabei. Diese Szene hat Svejk von den k. u. k.-Behörden eine Anklage wegen des Hochverrats eingebracht.“
„38 Hefte?“, fragte Anna. „Du hast doch gesagt, die Svejk-Ausgabe ist sechsbändig!“
„Man hat den Roman auch in Einzellieferungen herausgebracht. 48 Hefte, wenn ich mich richtig erinnere. Alle Hefte mit demselben Umschlag des ersten Bandes der gebundenen Ausgabe. Nur jeweils das erste Heft des jeweiligen Teils trug einen farbigen Umschlag, alle anderen waren schwarzweiß. Und ein Großteil dieser Heftausgabe mit dem schwarzweißen Umschlag des ersten Bandes lagen vor uns in der Tomatentraumkiste, 80 Kronen das Kilo. 38mal der gleich Umschlag von Heartfield, der damals auf dem deutschen Antiquariatsmarkt seltener war als die Gutenberg-Bibel. Ach, was seltener! Dieses Heft hat es bis dahin in Deutschland gar nicht gegeben.“
„Wie viele Kilo waren’s?“
„Etwa anderthalb!“
„Dann habt ihr 38 seltene Umschläge von Heartfield für vier Euro bekommen!“
„Damals acht Mark!“, sagte ich. „Tonda hat uns ausgelacht, als wir die Hefte aus der Tomatenkiste herauskramten. ‘Was wollt ihr mit dem Schrott?‘, hat er gefragt. ‘Der Svejk ist doch nicht vollständig! Sicher 20 Hefte fehlen!‘ Das hat auf dem deutschen Markt aber keine Rolle gespielt. Wollte ja keiner eine tschechische Svejk-Ausgabe lesen. Jeder Heartfield-Sammler wollte nur den seltenen Umschlag haben. Wir hatten die Hefte einzeln angeboten. Jeden zweiten Tag mussten wir den Preis anheben. Der Umschlag ging weg wie Krapfen im Fasching! Damals hatte ich das Antiquariat noch mit Christof zusammen. Mit 38 gleichen Heartfield-Umschlägen waren wir die Heartfield-Spezialisten schlechthin!“
„Hmm… ein Tomatenhändler, der keine Ahnung von Heartfield hatte?“, fragte Anna. „Wieso glaubst du, dass du von ihm jetzt die sechs farbigen Heartfield-Umschläge kriegst!“
„Weil der Tomatenhändler seitdem zum größten Heartfield-Kenner in Mitteleuropa avanciert ist!“, antwortete ich. „Das Antiquariatsgeschäft ist eine Bildungsmaschine! Kein Professor hat so viel Wissen über ein Gebiet, wie ein Antiquar, wenn er einen Katalog macht!“
Tonda hat sich vergrößert, seit ich ihn zum letzten Mal gesehen habe, sowohl laden- als auch körperumfangmäßig. Aber auch was sein know how anging: Die Handbibliothek im hinterstem Zimmer seines Antiquariats am Rand von Prag barg mehr Wissen pro Quadratmeter als die Bibliothek von Alexandria. Lauter handverlesene Bibliographien. Hier würde ich mir keine billigen Heartfields mehr schnappen können. Wenn überhaupt welche!
„Heartfield?“, fragte Tonda, während er für uns Kaffee kochte. „Die Svejk-Ausgabe? Komplett? Du spinnst! Die ist heutzutage Gold wert!“ Anna guckte mich an und zuckte mitleidig die Schultern. Inmitten dieser ganzen verstaubten Bücher machte das leichte Frühlingskleid sie ganz schön poetisch – die Frühlingsprinzessin im Königreich des Altpapiers. Tonda löffelte drei Tassen halb voll mit Kaffeepulver – schwarz wie auf dem Höllenrost geröstet – goss etwas Wasser drüber und reichte uns zwei davon. Anna starrte verdutzt in die schwarze Brühe, in der ein Löffel stehen konnte. Tja! Mädchen! Zumindest lernst du tschechische Sitten kennen und vergrößerst damit ein bissl dein Herz – damit ich reinpasse -, wenn wir hier schon keinen Heartfield auftreiben.
„Ich zeige dir was!“, sagte Tonda, stand auf und schlurfte aus dem Hinterzimmer. Anna schlug ein Bein übers andere. Der untere Rand ihres kurzbunten Kleids rutschte noch näher an ihre Taille. Ich dachte an „Otvirani studanek“, das tschechische Brunnenfest, das auf Deutsch „Das Öffnen der Brunnen“ heißt. Der Spruch von Karl zog wie ein schwer bewaffneter Gangster durch meinen Kopf und jagte alle anderen Gedanken davon: Scheiß auf die Umschläge! Da tauchte aber schon wieder Tonda auf. In den Händen hielt er eine Tomatenkiste, mit einem Pappschild an der Seite geschmückt, auf dem eine große rote Tomate aufgemalt war. Anna guckte mich an. Ein Lachanfall warf uns fast von den Stühlen.

„Hab ich was verpasst?“, brummte Tonda und stellte die Tomatenkiste auf den Tisch. Das Lachen war begründet: In der Kiste lagen die 6 Bände der gebundenen 10. Svejk-Ausgabe mit den wunderschönen farbigen Umschlägen von Heartfield. Daneben die 48 Hefte der Einzellieferungen-Ausgabe, von der Christof und ich damals einen Teil gehabt hatten. Das erste Heft des jeweils einen der sechs Teile auch mit einem farbigen Umschlag. Diese sah ich zum ersten Mal! Ach, was sah! Nicht mal gewusst hatte ich bis dahin davon: Farbige Umschläge bei der Heftausgabe? Insgesamt also 12 farbige Heartfield-Umschläge neben den über 50 gleichen schwarzweißen. Die Ausgabe der Einzellieferungen durfte man jetzt aber auf keinen Fall auseinandernehmen – es war vielleicht die einzige existierende vollständige Heftausgabe überhaupt. Die Hefte waren vor dem Krieg ja gemeine Gebrauchsliteratur wie Zeitungen, landeten nach der Lektüre im Abfalleimer, und kurz nach ihrem Erscheinen fielen die Nazis über Böhmen und Mähren her, die den Svejk nicht mochten und Heartfield schon überhaupt nicht. Mann, oh, Mann! Vor uns in der Tomatenkiste lag alles, was in der Vorkriegstschechoslowakei von Heartfield zu Svejk erschienen war! Der Traum eines jeden Heartfield-Sammlers!
Ich nahm zuerst die gebundene Ausgabe aus der Kiste. Band für Band. Die Umschläge wie frisch gedruckt. Auch die Hefte hatte noch nie ein Leser in der Hand gehalten. Sammler-Stücke der 1. internationalen Altpapierliga! Antiquarische Top-Ware! „Was kosten die?“, fragte ich, als ich mich vom Schock erholte. Und da nannte Tonda einen Preis, den man für die Bücher nicht mal bei Sotheby’s verlangen durfte.
Nichts zu machen. Ich ging nach draußen und rief Urban an. Die einzige Befriedigung verschaffte mir die Tatsache, dass der Preis auch ihm die Sprache verschlug: „Ist schon Ihre Provision in dem Preis drin?“ Ich seufzte wieder mal und fing an zu verhandeln. Damit Anna und ich uns am Abend im Restaurant Olympia zumindest eine schöne böhmische Ente mit Kraut und Knödeln leisten konnten.
„Wollen Sie auch die Einzellieferungen?“
„Alles!“, sagte Urban, und ich kaufte.
Die Ente schwamm am späten Abend gemütlich in unseren Bäuchen – in einem See aus Pilsner Urquell, was uns leider im Hotelbett nur ein müdes Gespräch über seltene Kinderbücher erlaubte. Mehr war nicht drin.
Am nächsten Tag fuhren wir in Nordböhmen von Antiquariat zu Antiquariat. In den Läden stellte sich Anna ausgesprochen blöd an. Steuerte immer die langweiligste Regalwand an, kein Gespür für etwas Wertvolles zeigte sie, keine Schatzsucherspürnase. Konnte sie so als Antiquarin überhaupt überleben? Auch in einem kleinen Städtchen an der Elbe nahm sich Anna gleich die Regale mit den tschechischen Büchern vor, sie wollte mir es wohl zeigen und vor mir eine Svejk-Ausgabe mit Heartfield-Umschlägen aus dem Regal zaubern. Ein Schnäppchen für ein paar Hundert Kronen machen. So was von naiv! „Unter den tschechischen Büchern findest du nichts, Anna!“, sagte ich. „Hier sind tschechische Profi-Antiquare jeden Tag unterwegs!“
„Wie heißt der Typ noch mal, der den Svejk geschrieben hat!“, rief sie mir zu.
Da blieb mir echt nichts anderes übrig, als wieder zu seufzen. „Jaroslav Hasek!“, rief ich, „mit ‚H‘!“ Ich steuerte das Regal mit den deutschen Büchern an, die sind für die tschechischen Kollegen nicht so interessant, zupfte einen von dem Brünner Avantgarde-Architekten Frantisek Kalivoda wunderschön gestalteten deutschsprachigen Fotoband Proßnitz vom 1940 heraus – über die gleichnamige mittelmährische Stadt. In der zweiten Buchreihe lachte mich die deutsche Ausgabe von Klapperzahns Wunderelf von Eduard Bass aus dem Jahr 1935 an – mit den hübschen Illustrationen des tschechischen Kuboexpressionisten Josef Capek, der von den Nazis im KZ Bergen-Belsen umgebracht wurde, aber vor allem mit dem farbigen Vorderdeckelbild von Walter Trier. Ein Beispiel für die Zusammenarbeit der tschechischen und der deutschen Avantgarde, ein grandios lustiger Fußballroman und ein Muss für jeden Trier-Sammler! Ich drehte mich zu Anna. „Komm mal her! Hier spielt die Musik!“ Gerade als Anna die ersten vier Svejk-Bände aus dem „H“-Regal herausnahm. Sie kam zu mir damit. Die 10. Ausgabe! Mit den Umschlägen dran! Ich war nicht schockiert wie gestern bei Tonda. Ich war fertig, ich war sprachlos, mein Gehirn feuerte nicht mehr. Ja, musste ich den Depp des Antiquariatshandels spielen, oder was? Den Kaspar für die Anfänger? „Der Trier ist auch ein super Schnäppchen!“, redete ich mir ein, um mein Ego wieder ein bissl aufzubauen.
„Wie hieß der andere Typ, der die zwei Zusatzbände geschrieben hat?“, fragte Anna.

„Va… Va… Vanek!“, stotterte ich heraus. Mann, oh, Mann! Glaubte sie ernsthaft, auch die zwei seltenen Fortsetzungsbände zu finden? Ja, ist sie größenwahnsinnig geworden, oder was? „Die Zusatzbände findest du hier sicher nicht!“, stellte ich fest. „Die wären sowieso alle beisammen. Als eine Svejk-Ausgabe meine ich. Nicht ein Teil davon unter ‚Hasek‘ und ein Teil unter ‚Vanek‘! Die zwei Vanek-Bände fehlen meistens! Du hast schon mit den vier Bänden von Hasek einmaliges Glück gehabt!“
„Vanek mit ‚Vau‘?“, fragte Anna und steuerte das „V“-Buchfach an. Über das ganze Gesicht grinsend zeigte sie mir die restlichen zwei Svejk-Bände von Vanek. Auch sie waren mit Umschlägen. Nicht so frisch wie die von Tonda für Urban, doch zusammen sicher Zweitausend Euro wert. Anna zahlte für die sechs Bände 340 Kronen, was etwa 14 Euro ausmachte.
Das gerade aufgeblühte Böhmen war sehr schön. Einen ganzen Tag Zeit hatten wir uns für die Rückfahrt nach München gelassen. Anna sprühte vor Stimmung! Leider konnte ich vor ihr nicht mehr so angeben wie auf der Hinfahrt. Als Antiquar und Schatzsucher von Gottes Gnaden, meine ich!

15. April 2011

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4 Kommentare

  1. Thomas L. Koppe schrieb am April 18, 2011:

    Deine Geschichten sind immer wieder amüsant – Klapperzahns Wunderelf habe ich letztens erst mit viel Vergnügen gelesen.

    Gruß Thomas L. Koppe

  2. Jaromir Konecny schrieb am April 18, 2011:

    Lieber Thomas,
    vielen Dank für den netten Zuspruch! “Klapperzahns Wunderelf” war das Kultbuch meiner Kindheit, unlängst habe ich’s meinen Jungs vorgelesen. Meiner Meinung nach der schönste Fußballroman überhaupt. Und jetzt muss ich mich mit der tschechischen Ausgabe von “Klapperzahns Wunderelf” ins Bett legen, um meinen Muskelkater vom gestrigen Fußballspielen im Luitpoldpark zu besänftigen.
    Liebe Grüße
    Jaromir

  3. Knochenbrüche und Türenknallen | Literaturblog Bayern schrieb am April 19, 2011:

    […] Guerilla-Gewinnspiel man hier findet. /// Jaromir Konecny war mal wieder auf dem Flohmarkt (ZVAB-Blog). /// Und dass der Welttag des Buches vor der Tür steht, merkt man nicht zuletzt daran, dass […]

  4. Sebastian Rasbornig schrieb am July 26, 2012:

    Herrliche Geschichte, mit sehr viel Esprit vorgetragen. Ein Bild von Anna wäre aber noch viel schöner gewesen, denn wann trifft man im wirklichen Leben schon eine richtige “Frühlingsprinzessin im Königreich des Altpapiers”… Danke, für diese Viertelstunde reinsten Vergnügens!


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