28. Februar 1933 – 24. März 1933: Hitlers nationalsozialistische Revolution
von wietek
Aufmarsch der SA am Tag der
Machtergreifung, dem 30. Januar
1933 (© Bundesarchiv)
Am 30. Januar 1933 hatte die Weimarer Republik den Todesstoß versetzt be- kommen, als Reichspräsident General- feldmarschall von Hindenburg Adolf Hitler zum Reichskanzler ernannte. Adolf Hitler hatte sein Ziel erreicht, auf formal-legalem Weg an die Macht zu kommen, und jetzt sollte die „nationalsozialistische Revolution“ beginnen, so wie er es immer schon angekündigt hatte und wie es wer wollte auch nachlesen konnte. Der Begriff „Revolution“ klingt in diesem Zusammenhang etwas merkwürdig, weil man damit gemeinhin einen Aufstand des Volkes gegen die Regierungsmacht verbindet; Hitler hat den Begriff aber schon richtig benutzt, denn er bedeutet im grundsätzlichen Sinn, dass planmäßig Handlungen stattfinden, die der bestehenden Verfassung entgegen stehen. Und genau das war Hitlers Vorhaben, um aus der Republik eine Diktatur zu machen.

Adolf Hitler im Jahr 1933
Doch noch konnte Hitler nicht schalten und walten, wie er wollte. Er hatte keine Mehrheit im Parlament und gegen Hindenburg konnte er nicht handeln, denn hinter dem stand die Reichswehr. Gegen die Reichswehr konnte er ebenfalls nicht handeln, denn dann wäre es zwischen SA und Reichswehr zu einem blutigen „Bürgerkrieg“ mit ungewissem Ausgang gekommen – und außerdem jeglicher Anschein von Legalität zunichte gemacht gewesen. Hitlers Ziel war ein Ermächtigungsgesetz durch den Reichstag, mittels dessen er den Reichstag und die Verfassung außer Kraft setzen und mit diktatorischen Vollmachten herrschen konnte. Um das zu bekommen, musste er aber erst einmal eine Mehrheit im Reichstag haben und die hatte er nach der Novemberwahl 1932 selbst mit dem „Koalitionspartner“ DNVP nicht. Also musste er Neuwahlen erreichen, von denen er sich große Zugewinne versprach, denn er hatte ja jetzt als Kanzler den gesamten Machtapparat für seine Wahlwerbung zur Verfügung. Außerdem ging er davon aus, dass seine Hauptfeinde von der KPD in der Wahlkampfzeit für schwere Unruhen sorgen würden, die er mit der SA kräftig schüren wollte, um sich anschließend als „Retter des Vaterlandes“ zu profilieren.
Um zu zeigen, dass er eine legale Mehrheit im Reichstag suchte, nahm er sofort Verhandlungen mit der Zentrumspartei auf, die er selbst mutwillig zum Scheitern brachte. Neuwahlen mussten ausgeschrieben werden – Hitler hatte ein Etappenziel erreicht.
Am 4. Februar trat die noch vom Von-Papen-Kabinett geplante „Verordnung des Reichspräsidenten zum Schutz des Deutschen Volkes“ in Kraft, mit der Presse- und Versammlungsfreiheit eingeschränkt wurden. Sie kam Hitler gerade recht, hatte er doch jetzt die Möglichkeit, missliebige politische Gegner erst einmal aus dem Verkehr zu ziehen.
Für seinen Wahlkampf hatte er nun in der Tat die gesamten Medien zur Verfügung (auch den staatlichen Rundfunk), finanziert wurde er durch die Großindustrie. Und seine SA-Leute gaben sich die größte Mühe, eine Eskalation herbeizuführen, indem sie Terror auf fremden Parteiversammlungen ausübten. Aber die KPD tat ihm den Gefallen nicht, sie radikalisierte sich nicht und es kam nicht zum erhofften großen Aufstand.
Da wendete sich plötzlich das Blatt, und zwar durch ein Ereignis, das für Hitler wie gerufen kam; er selbst hat in diesem Zusammenhang (wie so oft) von „der Vorsehung“ gesprochen: In der Nacht vom 27. auf den 28. Februar brannte der Reichstag. Am Tatort wurde der niederländische Kommunist Marinus van der Lubbe festgenommen, der schon in den vorhergehenden Tagen versucht hatte, verschiedene Regierungsgebäude in Berlin in Brand zu stecken – er wurde im Dezember 1933 schuldig gesprochen und im Januar 1934 enthauptet. Unmittelbar nach dem Brand aber wurden sehr schnell Vermutungen laut, dass die Nazis den Reichstag selbst angezündet hätten; in einem Prozess gegen vier weitere Angeklagte, die dann freigesprochen wurden, verstärkte sich dieser Verdacht. Aber haben van der Lubbe und die Nazis sich tatsächlich zufällig denselben Tatzeitpunkt ausgesucht? Oder ist er am Ende ihr Werkzeug gewesen? Diese Fragen sind bis heute nicht beantwortet. Fest steht nur, dass (auch) im Rückblick etliche Hinweise auf eine Täterschaft der Nazis vorliegen:
Der frühere Gestapochef Rudolf Diels gab in den Nürnberger Prozessen eine eidesstattliche Versicherung ab: „Göring wusste genau, wie der Brand anzulegen war“, und er habe ihm befohlen „vor dem Brand eine Liste von Personen anzulegen, die unmittelbar danach zu verhaften seien“.
Und General Halder sagte aus, er habe bei einem Mittagsessen an Hitlers Geburtstag, wo die Rede auf das Reichstagsgebäude und seinen künstlerischen Wert kam, „mit eigenen Ohren gehört, wie Göring in das Gespräch hineinrief: ‚Der einzige, der den Reichstag wirklich kennt, bin ich; ich habe ihn ja angezündet.‘ Dabei schlug er sich mit der flachen Hand auf die Schenkel.“ [zitiert nach Friedrich Rabenau: Seeckt –Aus seinem Leben, 1941]
Wie dem auch sei, der Reichstagsbrand war, was Hitler gebraucht hatte. Jetzt konnte die Revolution beginnen. Noch in der Nacht folgte eine riesige Verhaftungswelle, Kommunisten und andere Gegner waren die Opfer. Und am nächsten Tag, am 28. Februar 1933, brachte Hitler den besorgten Hindenburg dazu, die „Verordnung des Reichspräsidenten zum Schutz von Volk und Staat“, die sogenannte Reichstagsbrandverordnung, zu unterzeichnen: „Es sind daher Beschränkungen der persönlichen Freiheit, des Rechts der freien Meinungsäußerung, einschließlich der Pressefreiheit, des Vereins- und Versammlungsrechtes, Eingriffe in das Brief-, Post-, Telegrafen- und Fernsprechgeheimnis, Anordnungen von Hausdurchsuchungen und von Beschlagnahme sowie Beschränkungen des Eigentums auch außerhalb der sonst hierfür bestimmten gesetzlichen Grenzen zulässig.“
Außerdem durfte die Reichsregierung nun auch in den Ländern die Macht übernehmen und Landfriedensbruch sollte mit dem Tode bestraft werden.

Verhaftung von Kommunisten durch
die SA auf der Rechtsgrundlage der
Reichtagsbrandverordnung (© Bundes-
archiv)
Durch die Reichstagsbrandverordnung konnte Hitler „im Namen des Gesetzes“ schalten und walten, wie er wollte. Über 4.000 Kommunisten und Vertreter anderer Parteien wurden verhaftet; die SA-Trupps röhrten mit Lkws durch die Stadt, brachen in Wohnungen ein und schleppten ihre Opfer in die Kasernen, wo sie zusammengeschlagen wurden; Fackelzüge zogen durch die Stadt, Freudenfeuer brannten auf den Bergen, überall tönten Lautsprecher. Der Bevölkerung wurde die ganze Macht der Straße demonstriert und gleichzeitig eingebläut, von welch großer kommunistischer Gefahr sie befreit worden war. Jetzt hatten auch die Ansprachen im Rundfunk ein Thema, keine Verleumdung war zu primitiv, als dass man sie nicht hätte herausschreien können. Und keine Wahlkampfveranstaltung einer anderen Partei war mehr sicher.
Und die Nazis hatten Erfolg. Bei einer Wahlbeteiligung von 88,74 % (!) stimmten am 5. März 1933 43,9 % der Deutschen für die NSDAP, fast 11 % mehr als noch vier Monate zuvor. Zusammen mit den Rechtskonservativen hatten sie mit 51,9 % die absolute Mehrheit.
Noch aber war Hitler nicht ganz an seinem Ziel. Noch hätten ihm (zumindest theoretisch) der Reichstag und vor allem der Reichspräsident dreinreden können. Er wollte unabhängig sein von Reichstag und Reichspräsident; er wollte diktatorische Vollmachten auf Dauer; er wollte das Ermächtigungsgesetz. Um das vom Reichstag zu bekommen, brauchte Hitler eine Zweidrittelmehrheit. Und die war nicht machbar. Also wurden – mit Berufung auf die Reichstagsbrandverordnung – zuerst einmal die 81 Sitze der Kommunisten gestrichen, aber auch das reichte noch nicht zur Zweidrittelmehrheit.
Und da ersannen Hitler und Goebbels einen – das muss man ihnen leider lassen – genialen psychologischen Plan, ein propagandistisches Meisterstück. Wenn öffentlich demonstriert werden würde, wie tief der altehrwürdige Präsident und Generalfeldmarschall und das ganze (ehemalig monarchistische) hohe Offizierskorps (einschließlich Hohenzollernprinz) mit dem Reichskanzler Hitler verbunden ist, würden im Reichstag auch die Konservativen klein beigeben.

Inszenierte Verbundenheit: Adolf Hitler
und Reichspräsident Paul von Hinden-
burg bei der ersten Versammlung des
neuen Reichstags am 21. März 1933
(© Bundesarchiv)
Die erste Reichstagsversammlung nach den Wahlen sollte ein großer, festlicher Akt werden. Das Reichstagsgebäude war zerstört, daher wählte man die Potsdamer Garnisonkirche, ein preußisches Heiligtum, die Begräbnis- stätte des „Soldatenkönigs“ Friedrich Wilhelm I. und Friedrichs des Großen (Alter Fritz). Hier hatten einst die Gottesdienste der Hohenzollernkönige stattgefunden. Es gab eine Kaiserloge; hier hatte der junge Gardeoffizier Paul von Hindenburg, 1866 zurückgekehrt aus dem preußisch-österreichischen Krieg, voll Inbrunst sein erstes „Tedeum“ gesungen. Kurzum, der Ort der Zusammenkunft war ein Symbol für Preußens altes Glanz und Gloria.
Man wählte den geschichtsträchtigen 21. März, an dem Bismarck im Jahr 1871 den Reichstag des Zweiten Reiches eröffnet hatte. Die gesamte Generalität und Admiralität war in Galauniform anwesend, auch der ehemalige Kronprinz. Der greise Generalfeldmarschall in grauer Felduniform mit Orden, in der einen Hand den Paradehelm, in der anderen den Marschallstab, schritt neben Hitler (im formellen Cut) durch den Mittelgang. Hindenburg blieb kurz vor der leeren Kaiserloge stehen, in der früher einmal sein Kaiser Wilhelm II gesessen hatte, und verneigte sich leicht. Vor dem Altar blieb er stehen und erteilte der Regierung Hitlers, des Mannes den er einmal abfällig „den böhmischen Gefreiten“ genannt hatte, den Segen:
„Möge der Geist dieser alten ehrwürdigen Stätte auf die heutige Generation übergehen, möge er uns von Selbstsucht und Parteihader befreien und uns im Nationalbewusstsein zum Segen eines stolzen, freien und geeinten Deutschland zusammenschließen.“
Nachdem sich Hindenburg in einen Sessel gesetzt hatte, antwortete Hitler mit wenigen Sätzen, in denen er deutlich machte, dass weder der Kaiser, noch die hohe Generalität den Krieg verloren hätte, sondern „ein schwaches Geschlecht“, das wider besseren Wissens die Behauptung der Kriegsschuld hingenommen habe. Er endete mit dem Satz: „Wir erheben uns vor Ihnen, Herr Generalfeldmarschall. Heute lässt Sie die Vorsehung Schirmherr sein über die neue Erhebung des Volkes.“ Dann schritt er auf Hindenburg zu, nahm seine Hand und verbeugte sich tief. Hindenburg hatte Tränen in den Augen.
Die gesamte Presse war mit Fotoapparaten und Filmkameras anwesend, Goebbels hatte überall Mikrofone angebracht. Die feierliche Verbindung des alten und des neuen Deutschland wurde dem Volk demonstriert.

Hitlers Rede zum Ermächtigungsgesetz
am 23. März 1933(© Bundesarchiv)
Der letzte Akt folgte zwei Tage später. Im Reichstag stand das von den Nazis beantragte Ermächtigungsgesetz zur Diskussion. Hitler hatte schon im Vorfeld versucht, mit Versprechungen die Bedenken der Zentrumspartei zu zerstreuen. Vor dem Reichstag hielt er die Rede eines Wolfes, der Kreide gefressen hat; er versuchte auch hier, Bedenken zu zerstreuen. Gleichzeitig standen in den Mittelgängen SA-Männer mit finsteren Gesichtern.
Unter dem Eindruck der Festveranstaltung und der Drohkulisse im Saal stimmten außer der SPD alle Parteien für das Ermächtigungsgesetz (KPD-Abgeordnete waren in Folge der Streichung ihrer Sitze nicht anwesend).
Ab sofort war Hitler das Gesetz, die Revolution beendet. Die Diktatur war auf (zumindest formal) legalem Weg installiert
Stichwörter:
Adolf Hitler, Berlin, Deutschland, DNVP, Ermächtigungsgesetz, Friedrich der Große, Friedrich-Wilhelm I., Garnisonkirche, Hermann Göring, Joseph Goebbels, KPD, Machtergreifung, Nationalsozialismus, Paul von Hindenburg, Potsdam, Reichstag, Reichstagsbrand, Wilhelm II.1 Kommentar
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Rannug schrieb am July 3, 2017:
Das ist wirklich ein sehr guter Artikel und eine wirklich gute “Zustandsbeschreibung” dieser Zeit und ihrer Ereignisse. Kurz, prägnant und ohne “akademische”Schnörkel.
Nicht nur für Schüler höherer Klassen, sondern insbesondere auch für alle Erwachsenen, die sich bislang noch nicht oder kaum mit diesem Thema befasst haben.