„Eine kluge Frau hat Millionen Feinde – alle dummen Männer.“ Marie von Ebner-Eschenbach als poetische Vorbotin der Gleichberechtigung.
von tergast
Im Riesenreich des Kaisers Franz-Joseph wuchs sie nach ihrer Geburt1830 vorwiegend im mährischen Teil auf, verbrachte jedoch auch einen Teil der Kindheit im Zentrum der habsburgischen Monarchie, in Wien. Die frühen Jahre von Marie von Ebner-Eschenbach spielten sich zwischen zwei Sprachpolen ab: Französisch war die Sprache ihrer Familie, Tschechisch die von Amme, Kinderfrau und Gesinde, die für ihr Aufwachsen nicht ohne Bedeutung waren. Nachdem die Mutter kurz nach der Geburt gestorben war und Marie mit nur sieben Jahren auch die erste Stiefmutter verlor, war die Großmutter die zentrale Konstante im Leben des jungen Mädchens, das sich früh für Corneille begeisterte und infolgedessen die „größte Schriftstellerin“ werden wollte. Einer der ersten poetischen Gehversuche, eine „Ode à Napoléon“, findet vor dem 15 Jahre älteren Vetter Moritz Freiherr von Ebner-Eschenbach, der sie zufällig liest, keine Gnade. Vor allem die Anbiederung ans Französische stört in jener Zeit; er empfiehlt ihr: „Was deutsch du denkst, hab deutsch zu sagen auch den Mut!“
Marie von Ebner-Eschenbach folgt diesem Ratschlag und es entstehen bereits früh ganze Dramen. Als sie 17 Jahre alt ist, legt ihre zweite Stiefmutter dem großen Franz Grillparzer einige Stücke vor und dieser lobt die Qualität des Geschriebenen vorsichtig, indem er von „unverkennbaren Spuren eines Talents“ spricht, die er erkennen könne. Trotz dieser Einschätzung erweist sich in der Folge, dass das Talent der jungen Dichterin wohl weniger im Verfassen von Bühnenstücken liegt. Nach einer Aufführung des Lustspiels Das Waldfräulein spart sie nicht mit Selbstkritik: „Die letzten zwei Aufzüge versagen völlig.“ Böse Kritik folgt, so dass Marie sich 1875 bereits am Ende ihrer schriftstellerischen Karriere angekommen wähnt. Was sie noch nicht ahnt: Nun erst, mit dem Scheitern als Theaterschriftstellerin, sollte ihre große Zeit beginnen.

Exlibris
Tolstoi, Turgenjew und Gottfried Keller dürfen als Ahnherren für ihren Prosastil gelten. Ebner-Eschenbachs Erzählungen und Romane sind von einer ungleich höheren Qualität als ihre Bühnenstücke; sie beschreiben die soziale Realität der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts mit feiner Beobachtungsgabe. In den Dorf- und Schloßgeschichten, deren bekannteste die Hundegeschichte „Krambambuli“ ist, sind alle gesellschaftlichen Schichten zu finden. Doch ist es kein Zufall, dass im Titel das „Dorf“ vor dem „Schloß“ genannt wird, war es der Dichterin doch wichtig, den Fokus auf die kleinen Leute zu lenken. Zwar kommen Adelige, Beamte, Ärzte, Pfarrer und Lehrer in ihren Geschichten vor, genauso jedoch Bauern, Knechte, uneheliche Mütter, Vagabunden und Verbrecher. Die Integration Letzterer in ihr Werk brachte ihr den Beinamen „Plutarch der Unberühmten“ ein. In der Beschreibung des sozialen Elends und der Ungerechtigkeit liegt die Stärke von Ebner-Eschenbachs Prosa, wenngleich die Hoffnung auf eine Lösung der Probleme durch die Besinnung der Oberschicht auf ihre Pflichten etwas zu romantisch anmutet. „Es gäbe keine soziale Frage, wenn die Reichen von jeher Menschenfreunde gewesen wären“, war ihre Überzeugung, die die bittere Erkenntnis, dass der Mensch von jeher eher des Menschen Wolf ist, geflissentlich ausblendet.

Marie von Ebner-Eschenbachs Sprache ist kultiviert und poetisch, jedoch von einer schönen Schlichtheit und geprät von einem volkstümlichen Unterton, der ihr Werk so angenehm lesbar macht. Ob es die Stilisierung einer treuen tschechischen Dienstmagd hin zum Sinnbild von Mütterlichkeit in Božena ist oder die Beschäftigung mit dem Ostjudentum in der Arztgeschichte „Jakob Szela“: Die Schriftstellerin nutzt die poetischen Möglichkeiten ihrer Zeit. Auch der Entwicklungsroman Das Gemeindekind zeigt sie auf der Höhe eines kritischen Realismus. Einen biografischen Hintergrund hat – nebenbei bemerkt – die Erzählung Lotti, die Uhrmacherin. Marie von Ebner-Eschenbach hat das Uhrmacherhandwerk erlernt, und noch heute kann man ihre umfangreiche Uhrensammlung in einem eigenen Wiener Museum bewundern. Die ganze Uhrmacherinnung der Stadt folgte nach ihrem Tod dem Sarg der „Kollegin“.
Verheiratet war sie seit ihrem 18. Lebensjahr mit eben jenem Vetter, der sie zum Schreiben in deutscher Sprache ermahnt hatte. Moritz Freiherr von Ebner-Eschenbach war Physiker, Techniker, Erfinder und Kapitänleutnant zugleich und ein Mann, der die weibliche Selbständigkeit zu achten gewöhnt war. Er war ein Liberaler im besten Sinne, und nichts kränkte seine Frau mehr als sein erzwungener Ruhestand im Jahre 1873, dem politische Intrigen auf Grund seiner Anschauungen vorangegangen waren.
Die Poetin war sich sehr bewusst darüber, dass Frauen im Ansehen der Allgemeinheit eine niedere Stellung einnahmen und klagte darüber ausführlich in einem Brief: In Deutschland „ist die Frau an und für sich nichts, sie kann nur etwas werden durch den Mann, dem sie in Liebe angehört, dem sie sich in Demut unterwirft, in dessen Leben das ihre aufgeht. Ein so unvollkommenes Wesen besitzt selbstredend kein Talent. Seine Bestrebungen, ein solches auszubilden, haben etwas Unnötiges und Verkehrtes, das im besten Falle Mitleid, im schlimmsten Abscheu erweckt.“
Auf den Punkt bringt Marie von Ebner-Eschenbach, die 1916 in Wien stirbt, diese Erkenntnis mit dem schönen Satz: „Eine kluge Frau hat Millionen geborener Feinde – alle dummen Männer!“ Alice Schwarzer wäre stolz auf sie gewesen…
Marie von Ebner-Eschenbach im ZVAB
Aus Franzensbad, 1858 (Episteln)
Die Prinzessin von Banalien, 1872 (Märchen)
Das Waldfräulein, 1873 (Lustspiel)
Božena, 1876 (Erzählung)
Die Freiherren von Gemperlein, 1878 (Novelle)
Lotti, die Uhrmacherin, 1880 (Erzählung, zuerst erschienen in der Deutschen Rundschau)
Aphorismen, 1880
Dorf- und Schloßgeschichten, 1883 (Erzählungen, u.a. Der Kreisphysikus, Jacob Szela, Krambambuli, Die Resel, Die Poesie des Unbewußten)
Zwei Komtessen, 1885 (Erzählung)
Neue Dorf- und Schloßgeschichten, 1886 (Erzählungen, u.a. Die Unverstandene auf dem Dorfe, Er laßt die Hand küssen, Der gute Mond)
Das Gemeindekind, 1887 (Roman)
Unsühnbar, 1890 (Erzählung)
Drei Novellen, 1892 (u.a. Oversberg)
Glaubenslos?, 1893 (Erzählung)
Das Schädliche. Die Todtenwacht. Zwei Erzählungen, 1894
Rittmeister Brand. Bertram Vogelweid. Zwei Erzählungen, 1896
Alte Schule, 1897 (Erzählungen, u.a. Ein Verbot, Der Fink, Eine Vision, Schattenleben, Verschollen)
Am Ende, 1897 (Szene)
Aus Spätherbsttagen, 1901 (Erzählungen, u.a. Der Vorzugsschüler, Maslans Frau, Fräulein Susannens Weihnachtsabend, Uneröffnet zu verbrennen, Die Reisegefährten, Die Spitzin, In letzter Stunde, Ein Original, Die Visite)
Agave, 1903 (Roman)
Die arme Kleine, 1903 (Erzählung)
Die unbesiegbare Macht. Zwei Erzählungen, 1905
Meine Kinderjahre, 1906 (autobiografische Skizzen)
Altweibersommer, 1909 (Erzählungen und Skizzen)
Genrebilder, 1910 (Erzählungen)
Stille Welt, 1915 (Erzählungen)
Meine Erinnerungen an Grillparzer, 1916
Stichwörter:
Corneille, Dorf- und Schloßgeschichten, Frauenrechte, Gesellschaft, Grillparzer, Krambambuli, kritischer Realismus, Marien von Ebner-Eschenbach, Österreich, Realismus, soziale Realität, Wien, Zu gut zum Vergessen5 Kommentare
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Martini schrieb am March 26, 2009:
O, die SChwarzer war auf sie stolz. Ich habe diesen Spuch in der “Emma” gelesen, schon vor jahren – mit Hinweis auf die Verfasserin.
allerdings weiß ich heute auch, daß das Hundewissen der Marie begrenzt war. “Krambambuli” ist eine hübsche Geschichte, aber der arme Hund ist völllig mißverstanden geblieben. Und zu Unrecht verlassen worden….
h.d.stoffler schrieb am March 26, 2009:
Den kommentar von M. betr. Krambambuli versteh´ich nicht. Ich bin Jäger und kenne die Geschichte. Was habe ich übersehen ?
jimena schrieb am May 18, 2009:
Kein Wunder, dass die Gleichberechtigungsbewegung von Anfang an so ideologisch beschränkt und in einer schwarz – weiss-vision der Welt befangen ist; Feminismus der erste Stunde mangelt extrem an Komplexität … Wenn man allein den Zitat g.o. liest, möchte man lieber zu den “dummen Männern angehören.
Ich, Frau, schäme mich vor der Dummheit der Gleichber.denkerinnen. Schade, dass Frauen immer sich bloß als Frauen identifizieren können.
Nina schrieb am August 16, 2011:
jimena: An deinem Kommentar sieht man, dass du keine Ahnung von der Geschichte der Frauen hast… in verschiedenen Ländern und wie sie unterdrückt wurden, noch nicht mal studieren oder nach eigenem Willen arbeiten durften etc… Sie hat es auf den Punkt gebracht und spricht dabei nicht von intelligenten und toleranten Männern, die es nicht nötig haben, sich selbst zu erhöhen, indem sie andere erniedrigen.
Elisabeth schrieb am January 22, 2014:
Und heute? Terézia Mora in “Das Ungeheuer”, S. 285 “(Marie von Ebner-Eschenbach ist eine selten dumme Plantschkuh. Oder, wie ich es face to face in meiner milden Geduld sagen würde: Ich beneide Sie.)”
“Tempora mutantur, nos et mutamur in illis” – “Die Zeiten ändern sich und wir ändern uns in ihnen.”