Großereignisse und ein neurotischer Buchmarkt: Über die Rezeption südafrikanischer Kriminalliteratur
von litpromKrimi-Kolumne von Thomas Wörtche
Großereignisse wie die Fußballweltmeisterschaft sind de facto gigantische Multiplikatoren. Ein paar Aufmerksamkeitssplitter bleiben auch für die Kultur, davon ein paar für die Literatur und von diesen wiederum ein paar für die Kriminal- literatur. Im Falle Südafrikas sogar ganz speziell für die Kriminalliteratur. Denn ohne die globale Bedeutung von literarischen Schwergewichten wie Nadine Gordimer, André Brink und J. M. Coetzee schmälern zu wollen – Kriminalautoren wie Deon Meyer (vgl. auch unsere Interview-Kolumne Deon Meyer: ein Mann mit Leidenschaft) und in dessen Erfolgssog Roger Smith, Andrew Brown oder Margie Orford haben binnen einiger Jahre einen mindestens analogen Bekanntheitsstatus bei einem breiteren internationalen Publikum erreicht.
Man kann nun darüber streiten, ob und wie betrüblich es sei, dass Genre-Autoren den Mainstream überholen, beziehungsweise ob und wie sie die literarische Repräsentanz einer Weltgegend übernehmen. Dass Südafrika auf jeden Fall eine Art Eldorado für Kriminalliteratur sein könnte, scheint nach allem, was wir über das Genre wissen, evident. Kriminalliteratur entsteht immer dort, wo sich Gesellschaften im Umbruch befinden, wo es gärt. Am besten in urbanen Gegenden, dort, wo sich Gesellschaften unter Druck verdichten, wo Vielfalt aufeinanderprallt. Südafrika hat mit seiner rasend hohen Mordrate (man behauptet: im Moment die höchste der Welt in Gegenden ohne Krieg und Bürgerkrieg und unter einer formal stabilen Regierung, wobei angesichts des kollabierenden Mexikos dieser traurige Wettstreit nicht zu entscheiden ist), mit erschreckenden Anzahlen von Vergewaltigungen und Raubüberfällen, mit einer in erheblichem Maße korrupten Polizei, mit Verslummung und Ghettoisierung, mit hoher Arbeitslosigkeit und erschütterndem Gefälle zwischen Arm und Reich, mit unzähligen Ethnien und zunehmender Migration aus anderen afrikanischen Staaten und den ganzen unappetitlichen Hinterlassenschaften der Apartheid alles, was nach literarischer Bearbeitung in Form von Kriminalliteratur geradezu brüllt.
Betrachtet man zum Beispiel die beiden international sehr erfolgreichen Thriller von Roger Smith, Kap der Finsternis (2009) und mehr noch Blutiges Erwachen (2010), dann kann man einen solchen Zusammenhang kaum von der Hand weisen. Smiths Kapstadt gleicht einer Post-Doomsday-Landschaft – ein graues, stinkendes Meer aus Wellblech und Müll, bewohnt von gewalttätigen, seelisch und körperlichen verstümmelten und verkrüppelten Menschen, mit Drogen bis zum Wahnsinn zugeknallt, nur mittels einer Semiotik von Gewalt kommunizierend, auf der einen Seite – und auf der anderen Seite die umzäunten, bewachten, gesicherten Ghettos der herrschenden Klasse, in denen sich Leute selbst einsperren, die ihren Reichtum auf so korrupte und böse Art und Weise erworben haben, dass selbst ihre teuren Kosmetika und Eau de Colognes den Gestank von Aas und Verwesung nicht be- oder übertäuben können.
Ein ähnliches Tableau bietet das Johannesburg, das uns Richard Kunzmann im ersten Band seiner nach den Hauptfiguren so genannten Mason/Tshabalala-Trilogie Blutige Ernte (2009) beschreibt. Der von Kunzmann vermutlich nicht zufällig nach Dashiell Hammetts Schlüsselwerk der Kriminalliteratur Red Harvest aus dem Jahr 1929 Bloody Harvest genannte Roman beschreibt auch Jo’burg als eine beinahe unbewohnbare Stadt mit riesigen No-go-Areas, in denen das blanke Gesetz der Gewalt herrscht und deren Bosse und Slumlords mit einer korrupten Polizei und Politik in prächtigem, nach Gewinn strebendem Einvernehmen verbunden sind. So wie Hammett grundsätzlich die analogen Strukturen von Big Business und Organisierter Kriminalität zusammen gedacht hat, versucht Kunzmann, alle (süd-)afrikanischen Problemfelder in kriminalliterarische Kompatibiliäten zusammen zu denken: Slum, Migration (besonders aus dem notorischen Voodoo-Gebiet Westafrika), Drogen, Korruption, ordnungspolitisches Niemandsland, internationale Vernetzung von Verbrechen und ein ungeheuer hohes alltägliches Gewaltniveau. Dazu kommt bei Kunzmann explizit das Thema Religion, Kult und Zauberei. In seiner Darstellung amalgamiert sich da viel Westafrikanisches mit einheimischer Hexerei. Die ganze erzählte Welt ist durchdrungen von exzessiv grausamen Ritualen, von der kriminellen Macht der Zauberer, von Numinosem, Visionärem, Transzendentem. Das alles kontrastiert Kunzmann auch noch durch das Christentum seiner Hauptfiguren. Die Schwarz/Weiß-Verteilung seiner Figuren – Detective Harry Mason, Brite, ist skeptisch und europäisch-aufgeklärt, borniert; sein Partner Jacob Tshabalala ist Bantu, kommt aus einer Zauberer-Familie, ist wiedergeborener Christ und spirituell „offen“ – klinkt sich bei aller möglichen Realitätstüchtigkeit in ein Afrika-Bild ein, nach dem die schwarze Bevölkerung überwiegend abergläubisch ist und sich folgerichtig von charismatischen Figuren (wie in Kunzmanns Roman von dem Albino-Gangster ohne Namen) tyrannisieren lässt, wenn nur genug Dämonie und Hexerei inszeniert werden.
Ähnlich ist das in Roger Smiths Blutiges Erwachen. Dort wird die farbige Bevölkerung in den Cape Flats (einem besonders üblen Ghetto) von den Gewaltritualen der Gangs derart tyrannisiert, dass rationales Handeln innerhalb dieses „Narrativs“ kaum noch möglich ist. Realitätstüchtig angesichts der Lebensumstände mag auch dieser Aspekt sein, als Erzähldominante des Romans aber werden hier globale Klischees bedient, die ein großes Unbehagen vor nicht-weißer Irrationalität artikulieren.
Beide Autoren, Kunzmann und Smith, komprimieren, könnte man sagen, so viele reale Südafrika-Aspekte in ihren Romanen, dass fast schon eine Überklischeeisierung passiert, die dann – ironischerweise – auf den internationalen Märkten gerne genommen wird, weil die Bücher eben alles, was wir uns über die „Hölle Südafrika“ heimlich gedacht haben oder aus Furcht vor Vorurteilen nicht zu denken wagten, hier mit der Autorität der ortsansässigen Schriftsteller beglaubigt wird. Ohne komische Brechungen oder andere „uneigentliche“ Verfahren strahlt diese Art von Literatur etwas starr-grimmiges, naturalistisches, gar veristisches und deswegen etwas unbehaglich Autoritäres aus. Lachen verboten!
Kein Wunder also, dass der derzeitige Doyen der südafrikanischen Kriminalliteratur, Deon Meyer, neulich in einem Statement davon sprach, dass seine Fiktionen meilenweit von den Realitäten entfernt sei. Damit wollte Deon Meyer nicht den Befund dementieren, Südafrika sei eine zutiefst problematische Gesellschaft mit allen oben aufge- zählten kriminellen Strukturen. Meyer wollte eher darauf hinweisen, dass es sich sich bei den ausgefuchsten Plotführungen, in denen alle diese Elemente von Ritualmord bis Menschenhandel in einen speziellen narrativen Zusammenhang gebracht werden, nicht deswegen schon um besonders „realistische“ Romane handelt, die man beinahe wie Verbrechensreportagen lesen kann. Durchaus eine leise Kritik an den Kollegen und Kolleginnen, zu denen man auch die eher thriller-standardstrickenden Autorinnen Margie Orford und Jassy Mackenzie hinzudenken darf.
Deon Meyer selbst spielt schon ein wenig außer Konkurrenz, denn seine Romane sind entweder eher hochauflösende Auseinandersetzungen mit der südafrikanischen Geschichte oder eben formal interessante Storys, deren literarische Fügungen aus ihrer Literarizität keinen Hehl machen, wie sein jüngstes Buch Dreizehn Stunden, eine Art „Echtzeit-Thriller“, beweist. Mit der Sorgfalt und Genauigkeit, mit der er seit 1994, als sein erster, noch etwas unsicherer Roman erschien, an einer Chronik der Kaprepublik in Thrillern arbeitet (und nicht an einer Kriminalitätschronik), knüpft er an die Tradition an, die ein Wessel Ebersohn und der große James McClure begründet und in die sich hin und wieder auch Autoren wie André Brink eingeklinkt haben.
Natürlich bringt auch ein kleiner Boom, eine sekundäre Welle inmitten des WM-Tsunamis nicht alles und nicht alles Interessante zu uns: Es gibt eine Riege in Afrikaans schreibender Kriminalschriftsteller und –schriftstellerinnen, es gibt Autoren, die auf Zulu schreiben und von denen wir höchstens ein paar kurze, in englischen Anthologien versammelte Texte kennen.
Nicht übersetzt sind auch die eher pragmatisch an einzelnen, konkreten Verbrechen interessierten Romane von Mike Nicol und die von ihm zusammen mit Joanne Hitchens geschriebene Serien. Die Übersetzungen dieser Bücher mögen noch ausstehen, falls der Boom sich auch nach der Weltmeisterschaft hält und falls die deutsche Nationalmannschaft nicht frühzeitig ausscheidet. Man erlaube mir diesen skeptischen Blick auf die Interdependenzen von großen Ereignissen und einem neurotischen Buchmarkt, mit dem ich durchaus nicht unbedingt recht behalten möchte.
Bemerkenswert auf jeden Fall erscheinen mir noch zwei Autoren, die beide tief in die Geschichte hinabsteigen, um zu einem stimmigen Bild des heutigen Südafrikas und seiner Kriminalität zu kommen: Andrew Brown siedelt seinen kapitalen Roman Schlaf ein, mein Kind (2009) in den Anfangsjahren der Kapkolonie im 17. Jahrhundert an, und Malla Nunn geht mit ihrem Swaziland-Thriller Ein schöner Ort zu sterben (2009) zu den verheerenden Apartheits-Entscheidungen der 1950er-Jahre zurück. Beide Romane bedienen keinen irgendwie gearteten Sensationalismus, keine Exzesse, keine Show-Werte, keine Zeitgeistigkeiten und keine Markterfordernisse. Ihre Geschichten diktieren ihre Form.
Und dass Malla Nunn die einzige Nicht-Weiße unter all den hier aufgezählten Verfassern von Kriminalliteratur sind, sollte uns sehr zu denken geben.