Sharon Creech und ihr bester Hund
von bardolaIch will nicht.
Jungs schreiben
keine Gedichte.

Diese ersten Zeilen aus dem Roman Der beste Hund der Welt von Sharon Creech definieren die Probleme des Schülers Jack auf klassisch-griechische Weise. Sie stehen nämlich in unausgesprochener Verbindung mit dem Paradoxon des Epimenides, dessen Aussage „Ein Kreter behauptet: ‚Alle Kreter lügen’” sich selbst ebenso ad absurdum führt wie die oben zitierten Sätze, die in Versform von einem Jungen verfasst sind; Sätze, die – wie das Buch demonstrieren wird – selbst bereits ein Gedicht bilden.
Jungs schreiben keine Gedichte? Der außergewöhnliche Briefroman der vielfach preisgekrönten Kinder- und Jugendbuchautorin Sharon Creech hat nur einen Absender und kommt vollkommen ohne direkte Rede aus. Was ihn besonders auszeichnet, ist seine Fähigkeit, alle Leser, egal ob Jungs oder Mädchen oder auch Erwachsene, für Sprache und Literatur zu begeistern.
Die Geschichte beginnt im September und endet neun Monate später im Juni. Jack richtet lyrische Statements wie das eingangs zitierte an seine Lehrerin Miss Stretchberry. Denn sie hat Jack und seine Kameraden dazu aufgefordert, selbst Gedichte zu schreiben, obwohl sie – „wie jeder normale Junge“ – die Poesie eigentlich ablehnen. Jack notiert:
Hab’s probiert.
Geht nicht.
Kopf leer.
Und auch hier widerspricht er sich. Seine Behauptung liefert ihren eigenen Gegenbeweis, denn in Wirklichkeit sind diese drei Zeilen selbst schon ein Gedicht. Ohne dass die Lehrerin direkt in Erscheinung tritt, wird aus Jacks Äußerungen deutlich, wie geschickt sie ihren Schüler lenkt. Der widerspenstige Junge merkt nicht, dass er widerstrebend längst auf dem besten Wege ist, zu den Geheimnissen der Poesie vorzudringen. Die Leser treten mit Jack eine wundervolle Reise ins Innere lyrischer Sprache an, zunächst vor allem lachend und kopfschüttelnd, später zunehmend gerührt wegen des Dramas, das sich hinter den einfachen Worten abspielt. Dabei führt Jack die Lehrerin ebenso in die Irre wie Sharon Creech ihre Leser. Schon früh wird William Carlos Williams zitiert:
So viel hängt ab von
einer roten Schubkarre,
glänzend vom Regenwasser,
neben den weißen Hühnern.
(„Die rote Schubkarre“; vgl. auch: William Carlos Williams, Gedichte. Hanser, 1999)
Was sollen Miss Stretchberrys Schüler nur damit anfangen? Jack formuliert den Protest: Er verstehe das Gedicht nicht. Wenn das ein Gedicht sei, könnten alle Wörter Gedichte sein, man müsse nur kurze Zeilen machen. Und daran probiert sich Jack dann auch. Er nimmt der Lehrerin das Versprechen ab, seinen Text nicht in der Klasse vorzulesen und nicht ans Brett zu hängen, und schreibt:
So viel hängt ab
von einem
blauen Auto,
bespritzt mit Dreck
rast es die Straße runter.
Der Schubkarren-Typ schreibe auch nicht, warum so viel davon abhänge, wehrt sich Jack, als Miss Stretchberry nachfragt. Sharon Creech führt anhand von Jacks Auto-Zeilen brillant vor, wie ein Junge lernt, mit Hilfe der Sprache besser mit einem bislang verdrängten Schmerz umzugehen. Indem Jack sich mit dem für ihn traumatischen Erlebnis – dem Tod seines Hundes – auseinandersetzt, gewinnt er auch neues Selbstvertrauen: Sein Schreibeifer erwacht und er hört letztlich auf seine innere Stimme, fasst seine Liebe und seine Trauer in Worte und kann nun selbst (Miss Stretchberry und die Leser tun es schon längst!) die Berechtigung seiner Texte anerkennen.

Sharon Creech
Doch damit nicht genug: Creech versteht es, den Lesern auf unvergessliche Art und ohne auch nur einen lehrerhaften oder theoretisierenden Satz zu demonstrieren, wodurch sich ein gutes Gedicht auszeichnet und wie sehr es auch vom Leser abhängt, was und wie viel ein lyrischer Text wirklich bedeuten kann. Sie lädt im Verlauf der Ereignisse die Zeilen vom blauen Auto unmerklich mit Sinn auf. Erst am Ende versteht der Leser den Auto-Text und wird ihn wohl nie wieder vergessen – im Gegensatz vielleicht zu Williams’ „Roter Schubkarre“, sofern er ihr ohne Creechs Hilfe begegnet ist.
Der beste Hund der Welt öffnet wie kaum ein anderes Buch den Intellekt für Lyrik und garantiert eine verfeinerte Wahrnehmung sprachlicher Nuancen. Das literarische Wunder: Sharon Creech packt diesen kostbaren Effekt in eine kurzweilige, höchst humorvolle und doch auch dramatisch-traurige Geschichte. Für das gute Ende sorgt der real existierende Autor Walter Dean Myers, der im Roman zu einer Lesung in Jacks Klasse kommt. (Von Myers sind leider nicht die Gedichte, aber mit Scorpions und Monster! Monster? zwei empfehlenswerte Jugendromane auf Deutsch erschienen.)
Es gibt nichts Inspirierenderes als Jacks Geschichte, um Kinder auf Lyrik und die Wirkung von Sprache einzustimmen.
Sharon Creech im ZVAB
Salamancas Reise (1996)
Das total normale Chaos (1997)
Ein total verrücktes Jahr (1998)
Ich, Zinny Taylor (1999)
Der Geist von Onkel Arvie (1999)
Sophies Geheimnis (2001)
Der weite Weg nach Hause (2003)
Der beste Hund der Welt (2003)
Glück mit Soße (2006)
Herznah (2006)
Leo mittendrin (2008)
Diese Kolumne erscheint außerdem im – der Zeitschrift für Kinder- und Jugendmedien.
Stichwörter:
Hund, kinderbuch, Lehrerin, Lyrik, Poesie, Sprache, Trauma, Widerspruch1 Kommentar
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Andreas schrieb am December 17, 2015:
Klingt auf jeden Fall nach einem guten Buch. Die Rezension auf jeden Fall macht neugierig, was es mit dem besten Hund der Welt auf sich hat und wie Jack seine Trauer doch noch verarbeitet.