Archiv für Dezember 2005

Annette Pehnt: John Steinbeck

26. Dezember 2005

Die derzeit einzige lieferbare deutschsprachige Biographie zu John Steinbeck, dessen Bücher allerdings in einer überraschenden Breite in deutscher Übersetzung vorliegen, was darauf hindeutet, dass sie nicht viel von ihrer Popularität verloren zu haben scheinen – allen voran natürlich »Von Mäusen und Menschen«, das zumindest im Englischunterricht noch zum Kanon gehört.

Die Biographie von Annette Pehnt ist in der Reihe »dtv portrait« erschienen, mit der dtv in direkte Konkurrenz zu den Rowohltschen Bildmonographien getreten ist. Auch diese Konkurrenz belebte das Geschäft, denn nach einer längerern Phase der Stagnation hat sich in den vergangenen Jahren das Niveau der Rowohltschen Bildmonographien sehr erfreulich entwickelt: Viele ältere und kaum mehr brauchbare Bände der Reihe sind durch neu verfasste ersetzt und auch Lesefreundlichkeit und Erscheinungbild sind verbessert worden. Die dtv-Reihe ist bei weitem nicht so umfangreich wie die Rowohltsche, steht aber, was die Attraktivität der Bände angeht, der Konkurrenz in nichts nach. Im Fall des vorliegenden Bandes ist der Buchblock sogar fadengeheftet und das bei einem Preis von 8,50 €. Mit solchen Büchern kann man arbeiteten.

Die Biographie von Annette Pehnt informiert leider nur sehr knapp über den eigentlich biographischen Stoff, erzählt dafür aber auf vielen Seiten Inhalte der wichtigsten Bücher Steinbecks nach. Ich kenne nun die englischsprachige Literatur zu Steinbeck nicht, kann mir also kein Bild davon machen, wie forschungsaufwendig eine andere Gewichtung des präsentierten Materials gewesen wäre. Mir wäre es nur eben lieber gewesen, wenn ich mehr zu Steinbeck selbst erfahren hätte, da ich die Bücher selbst lesen kann und will.

Grundsätzlich leidet diese Biographie daran, dass sie den Eindruck vermittelt, dass die Autorin Steinbeck als Menschen nicht mag und als Autor bestenfalls für drittranging hält. Mit dem letzteren mag sie vielleicht sogar Recht haben, aber man kann auch über einen drittrangigen Autor, besonders über einen, dessen Bücher auch fast 40 Jahre nach seinem Tod noch ungebrochen populär sind, sicherlich interessanteres sagen als immer wieder ›trotz der schwerwiegenden Schwächen des Buches‹ oder ähnliches. Das »Phänomen Steinbeck«, dem sein Erfolg ein Anlass dazu war, sich als Autor zu misstrauen, beschreibt Pehnt zwar, verweigert aber jegliche Analyse. Stattdessen stellt sie mit derselben Naivität, die sie dem Autor Steinbeck an zahlreichen Stellen attestiert, ihr buntes Bild der Welt neben dessen Bücher und hält dies anscheinend für eine Form der kritischen Auseinandersetzung. Ganz drollig gerät es, wenn sie versucht, gut feministisch Steinbeck seinen Machismo vorzuhalten und durch gleichzeitige Kritik des weiblichen Gegenlagers eine ausgleichende Ungerechtigkeit herzustellen.

Leider kein gutes Buch, das sich nur für eine erste, oberflächliche Information eignet.

Pehnt, Annette: John Steinbeck
dtv, 1998. ISBN 3-423-31010-3
Kartoniert – 160 Seiten – 8,50 Eur[D]

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Thomas Lehr: 42

24. Dezember 2005

Erzählt wird die Geschichte von Adrian Haffner, einem Münchner Journalisten, der zusammen mit einer größeren Besuchergruppe einen Detektor des Kernforschungszentrums CERN besichtigt und bei seiner Rückkehr an die Erdoberfläche zusammen mit 70 anderen Chronifizierten feststellen muss, dass derweil die Zeit stehengeblieben ist. Nur für die besagten 70 existiert die Zeit in ihrer nächsten Umgebung weiter, sie tragen eine Chronosphäre um sich herum; das ganze übrige Universum steht still. Man kann sich denken, dass dies einige Verwirrung auslöst. So ist dann der Roman auch geworden.

»42« gehört nicht zu der Sorte von Büchern, die ich normalerweise lese; ich bin mir auch nicht sicher, ob es überhaupt zu einer Sorte von Büchern gehört, aber es mag sein, dass dort draußen inzwischen eine neue Art von Literatur existiert, mit der ich hier erstmalig in Berührung gekommen bin. Das erstaunlichste an dem Buch war für mich die nahezu komplette Weltlosigkeit des Textes, anders gesagt: Das ganze Buch, seine Handlung, seine Gespräche, seine Figuren sind vollständig dem Kopf des Autors entsprungen. Dass reale Orte wie Genf, Zürich, München, Berlin oder Florenz im Buch vorkommen, ist gänzlich zufällig und gleichgültig; wichtig an diesen Orten ist auch nicht ihr Da- oder So-sein, sondern nur ihre Entfernung voneinander, die der Ich-Erzähler zu Fuß zurücklegt, damit er überhaupt irgendetwas zu tun hat außer die ewig gleichen wirren Gedankengänge zu Papier zu bringen.

Das Buch hat insgesamt wenig zu erzählen, viel zu wenig für die 368 Seiten, die der Autor letztendlich gefüllt hat. Es verbreitet daher über weite Strecken die fürchterlichste Langeweile: Immer erneut wird beschrieben, wie irgendwelche als »Fuzzis« bezeichneten Menschen regungslos irgendwo herumstehen, wie sich das sich nicht verändernde Licht nicht verändert und die gleichbleibende Hitze gleich bleibt. Zwischendurch ein, zwei sexistische Phantasien und dann geht es mit der nächsten wirren Reflexionskaskade weiter. Und was vielleicht das schrecklichste ist: Das Buch ist weitgehend humorfrei – »die Nullzeit ist ernst.« [S. 191]

Sehr merkwürdig erscheint mir allerdings, dass der Autor sich die Mühe macht, seinen doch recht dünnen Phantasieanlass – die Zeit bleibt stehen und nur einige wenige Menschen sind nicht betroffen – überhaupt mit einer pseudonaturwissenschaftlichen Rahmung zu versehen, da er selbst recht bald einsehen muss, dass es auch nicht den Hauch einer möglichen wissenschaftlichen Erklärung für das phantasierte Ereignis geben könnte. Ob nun CERN oder ein falsch montierter Haushaltsmixer die Katastrophe verursacht haben soll, ist für das Buch völlig unerheblich. Am merkwürdigsten dann schließlich das gänzlich unsinnige Geschwurbel, mit dem das Buch endet und das noch weniger einleuchtend wäre als alles Vorangegangene, wenn das denn überhaupt möglich wäre. Aber ich will nicht zu viel verraten!

Nur an einer Stelle hat mir der Autor so recht aus dem Herzen gesprochen: »Mir ist völlig rätselhaft und auch ziemlich gleichgültig, weshalb er ausgerechnet mir etwas anvertrauen möchte« [S. 336].

Lehr, Thomas: 42
Aufbau-Vlg, 2005. ISBN 3-351-03042-8
Gebunden – 368 Seiten – 21,5 × 12,5 cm – 22,90 Eur[D]

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Herbert Rosendorfer: Mitteilungen aus dem poetischen Chaos

24. Dezember 2005

Acht kurze Erzählungen, die alle in Rom spielen und – mehr oder weniger – von Rom handeln. Stofflich sind sie von recht unterschiedlichem Gehalt: Von der gesellschaftlichen Anekdote, einer Kriminalerzählung mit kindlichem Detektiv, über zum absurden tendierenden Reflektionen zu Glanz und Elend der vatikanischen Welt und touristische Satirestücke bis hin zu einem Entwurf zu einem Lenbach-Roman, dessen fiktiven Autor der Erzähler bei einer Vernissage kennenlernt und dem Leben und Roman ebenso aus den Fugen geraten wie seinem noch fiktiveren Romanhelden Franz von Lenbach, spannt sich der Bogen. Zusammengehalten wird er durch einen Erzähler, dessen Liebe zu Rom sich in jedem Stück aufs Neue widerspiegelt und mit dem man selbst gern einmal das Frühstück im Caffè Greco einehmen würde.

Die Sammlung zeigt einmal mehr die routinierte Erzählweise Rosendorfers, der offenbar auch den zwischenzeitlichen Ruhm der »Briefe in die chinesische Vergangenheit« gut überstanden hat und weiterhin mit schöner Regelmäßigkeit seine Bücher produziert, um von der breiteren Öffentlichkeit weitgehend ignoriert zu werden. Sein »Kirchenführer Rom« ist derzeit allerdings schon in der dritten Auflage, was zumindest eine gewisse Popularität beweist, wenn man ihm auch bislang nicht die fragwürdige Ehre Gesammelter Werke hat angedeihen lassen – zum Ausgleich dafür wird er aber wahrscheinlich tatsächlich gelesen –, und vielleicht schreibt er ja, wenn er mit seiner »Deutschen Geschichte« fertig ist, eine Fortsetzung des Gregorovius, etwa vom Barock bis zum Ende des 19. Jahrhunderts. Zuzutrauen wäre es diesem erstaunlichen Stilisten allemal.

Die hier angezeigte Taschenbuchausgabe von 1993 (Bibliographischer Nachweis) scheint nicht mehr lieferbar zu sein. Dafür ist es aber immer noch die zwei Jahre ältere Originalausgabe:

Rosendorfer, Herbert: Mitteilungen aus dem poetischen Chaos. Römische Geschichten
Kiepenheuer & Witsch, 1991. ISBN 3-462-02098-6
Gebunden – 156 Seiten – 14,90 Eur[D]

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Ole Könnecke: Ein Freund, ein guter Freund

23. Dezember 2005

Ole Könnecke ist ein Meister der Bildergeschichte, wobei sich seine Bücher durch einen ganz eigenen, stillen Humor auszeichnen. Dabei gelingen ihm wundervoll skurrile Figuren wie etwa Lola oder Doktor Dodo oder solch literarische Zaubergeschichten wie »Fred und die Bücherkiste«. Nun ist nach »Elvis und der Mann im roten Mantel« in diesem Jahr ein weiteres Buch erschienen, in dem der Weihnachtsmann bzw., wie schon die Umschlagzeichnung verrät, gleich mehrere Weihnachtsmänner und ihre sehr unterschiedlichen Tagesabläufe im Zentrum stehen. Es soll hier gar nicht mehr verraten werden, um den Spaß der Erstlektüre nicht zu verderben. Das Buch ist ein heißer Geschenk-Tipp für beinahe alle, bei denen man nicht weiß, was man ihnen sonst schenken soll – nur eben Humor sollte die oder der Beschenkte haben!

Könnecke, Ole: Ein Freund, ein guter Freund. Eine Weihnachtsgeschichte
Sanssouci, 2005. ISBN 3-7254-1378-9
Gebunden
48 Seiten, farbige Illustrationen – 18,3 × 14,4 cm – 7,90 Eur[D]

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Hellmut Butterweck: Der Nürnberger Prozess

19. Dezember 2005

Vor der Kritik erst ein allgemeines und notwendiges Lob: Dies ist eine auch für den historischen Laien gut lesbare, weitgehend sachliche Auseinandersetzung mit dem Nürnberger Prozess, deren Stärke darin besteht, in weiten Passagen die Protokolle zu zitieren und so alle Prozessbeteiligten selbst zu Wort kommen zu lassen. Butterweck beginnt mit den juristischen Voraussetzungen und historischen Konstellationen, die zum Nürnberger Prozess geführt haben, und er endet mit einer kurzen, auch hier wieder weitgehend an den Selbstaussagen der Betroffenen orientierten Darstellung der Haftzeit der nicht zum Tode verurteilten Nürnberger Angeklagten. Es ist derzeit keine vergleichbare sachliche und aktuelle Darstellung des Nürnberger Prozesses lieferbar, und das Buch ist eine notwendige und gute Ergänzung der populäreren Literatur zum Dritten Reich und seinen Folgen.

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