Archiv für September 2007

Zeno.org

29. September 2007

Zeno.org ist ein Ableger der Digitalen Bibliothek. Angefangen hat diese Seite als kommerzieller Download-Anbieter, bei dem man Bände der Digitalen Bibliothek erwerben und auf den eigenen Rechnen herunterladen konnte. Heute Nacht um 0:00 Uhr startet Zeno.org außerdem offiziell die größte freie deutschsprachige Online-Bibliothek. Dieser Status wird auch der Tatsache geschuldet sein, dass Zeno.org als Mirror der Wikipedia fungiert.

Insgesamt wird Zeno.org rund 1,6 Millionen Seiten mit etwa 600 Millionen Wörtern und 420.000 Bildern anbieten. Neben Allgemeinen Lexika – besonders historisch wichtigen – finden sich umfangreiche Texte zu Geschichte, Philosophie, Kunst und Kunstgeschichte sowie aus der klassischen Literatur. Das ist kein Pappenstiel; und diese Bibliothek soll kontinuierlich weiter wachsen.

Zeno.org setzt auf ein Konzept von Sponsoring und Buchpatenschaften, das den Bestand und die Erweiterung der Bibliothek finanzieren soll. Nähere Einzelheiten liefert die Seite. Wir werden das Projekt mit großem Interesse beobachten und hoffen, dass sich die Professionalität der Digitalen Bibliothek auch bei diesem Projekt fortsetzen wird, und wünschen der Seite eine blühende Zukunft.

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Wolfgang Frühwald: Goethes Hochzeit

28. September 2007

fruehwald Wolfgang Frühwald hat in der Insel Bücherei ein kleines Bändchen vorgelegt, dass sich um den Lebenskomplex Goethes zur Zeit seiner Hochzeit im Oktober 1806 dreht. Unmittelbar vorausgegangen war die Niederlage des preußischen Heeres bei Auerstedt und das Eindringen der marodierenden französischen Soldaten in Weimar. Dabei soll es, nach Darstellung der Zeitgenossen, zu einer kritischen Situation im Hause Goethes gekommen sein, die angeblich durch das todesmutige Dazwischentreten Christianes entschärft worden sein soll. Die Lage im Hause Goethe entspannte sich rasch, als sich hohe französische Offiziere einquartierten und damit weiteren Übergriffen ein Riegel vorgeschoben wurde.

Weiter in den Fliegenden Goethe-Blättern …

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Jurek Becker: Der Boxer

25. September 2007

becker-boxer Jurek Becker wäre am 30. September dieses Jahres vielleicht 70 Jahre alt geworden (er kannte selbst sein genaues Geburtsdatum nicht); sein viel zu früher Tod vor zehn Jahren hat das verhindert. Mit Jakob der Lügner hat Becker eine der erfolgreichsten deutschsprachigen Nachkriegsromane geschrieben, wenn ihm auch erst die Fernseh-Serie Liebling Kreuzberg, mit seinem Lebensfreund Manfred Krug in der Hauptrolle, wirkliche Popularität eingebracht hat. Davon hat sicherlich auch sein letzter Roman Amanda Herzlos (1992), der noch einmal ein großer Erfolg für Becker war, profitiert.

Anlässlich des Jubiläums habe ich mir wieder einmal Der Boxer aus dem Bücherschrank gezogen. Meine Ausgabe stammt noch vom Anfang der 80er-Jahre, als ich Jurek Becker für mich entdeckt habe. Es war nicht ohne Reiz, gerade diesen Roman, der wesentlich auch das Erinnern zum Thema macht, nach beinahe der Zeitspanne wiederzulesen, die auch der Protagonist Aron Blank mit seinem Erzählen umspannt.

becker-boxer2 In Der Boxer notiert ein namenloser Erzähler die Erinnerungen des KZ-Überlebenden Aron Blank, der im Nachkriegsdeutschland, genauer in Ostberlin versucht, wieder Fuß zu fassen und in ein normales Leben zurück zu finden, letztendlich aber seine Isolation nicht überwinden kann. Aron Blank beginnt sein neues Leben damit, dass er bei der Beantragung seiner Papiere seinen Vornamen in Arno verändert und sich als Geburtsort Leipzig statt Riga zuschreibt. Außerdem macht er sich um die sechs Jahre jünger, die er in den Lagern der Nazis verbracht hat. Arons Frau ist von den Nazis umgebracht worden, und zwei seiner drei Kinder sind im Ghetto gestorben. Das dritte Kind lässt Aron nach dem Krieg von einer Hilfsorganisation suchen, und es wird auch ein Junge mit dem Vornamen Mark gefunden, der allerdings in der Lagerliste als Mark Berger, nicht Blank, geführt wird. Aron fährt zu dem nun in ein Krankenlager verwandelten KZ, um den völlig abgemagerten und entkräfteten Mark Berger anzuschauen und entschließt sich beim ersten Blick auf das Kind, dass dies sein verlorener Sohn sei. Erst viele Jahre später, nachdem Mark in den Westen Deutschlands geflohen ist, werden die alten Zweifel an dessen Identität in Aron wieder aufleben.

Nachdem sich Aron einmal für Mark entschieden hat, tut er alles für den wiedergefundenen Sohn: Aron verdient als Buchhalter eines Schwarzmarkt-Händlers viel Geld, das er nun dafür aufwendet, Mark mit dem Besten, was sich finden lässt, langsam wieder aufzupäppeln. Er besucht Mark täglich und als der schließlich das Krankenhaus verlässt, verpflichtet er Marks Lieblings-Krankenschwester als Haushälterin und Geliebte. Während er so auf der einen Seite versucht, Mark wenigstens das Grundgerüst einer Familie zu bieten, verweigert er sich auf der anderen Seite der Eingliederung in das sich normalisierende bürgerliche Leben: Als der Schwarzmarkt-Händler sein Geschäft auf eine legale Grundlage stellt und Aron die Stelle eines Hauptbuchhalters anbietet, kündigt er. Statt dessen beginnt er, als Dolmetscher für die russische Besatzungsmacht zu arbeiten. Wenig später befreit ihn eine Erbschaft aus den gröbsten Geldsorgen.

Der titelgebende Boxer taucht erst sehr spät im Buch auf: Als Mark in die Schule kommt, wird er als einer der körperlich schwächsten Schüler Opfer einer brutalen Attacke eines seiner Mitschüler. Daraufhin erzählt ihm Aron eine Geschichte – von der der Leser nicht erfährt, ob sie stimmt oder nur zweckhaft erfunden ist – davon, dass auch er als Kind von einem Stärkeren drangsaliert worden ist, dann aber Boxen gelernt habe. Eines Tages habe er dann den Stärkeren bei einer Gelegenheit verprügelt und so dessen »Herrschaft« ein Ende bereitet. Das Boxen habe er aber bald wieder aufgegeben:

Ein Boxer sei nämlich nicht der, sagte er, der immerzu boxte, sondern einer, der boxen könne. Leider jedoch boxten Boxer oft nur deshalb, weil sie Boxer seien, das ist ja das Unglück.

Auch Mark will daraufhin das Boxen erlernen, benutzt dann aber die erworbene Überlegenheit nicht im Sinne des Vaters, sondern um sich an einem Mitschüler zu rächen, der ihn verpetzt hat.

Für den Erzähler wird das Bild des Boxers offensichtlich zur verständnisleitenden Metapher des Buches: Aron hat sich gegenüber seinen Mitmenschen unangreifbar gemacht. Er ist ein Einzelkämpfer, der die meisten Mitmenschen als Gegner begreift, die es auf Distanz zu halten gilt. Zwar erreicht er, was er sucht: die Souveränität im eigenen Ring. Er bezahlt sie aber damit, dass er in eine unüberwindliche Isolation gerät. Selbst zu dem Menschen, dessen Glück und Wohlergehen im Mittelpunkt seines Denkens und Handelns stehen, kann er keine wirkliche Beziehung aufbauen: Seine Gespräche mit Mark bleiben im Alltäglichen und Unpersönlichen stecken, keine wirkliches Verständnis entwickelt sich zwischen den beiden. Aron vermeidet es, sich in Marks Leben einzumischen, weil er selbst nicht will, dass man sich in sein Leben einmischt. Der aus der erfahrenen Fremdbestimmung durch den Terror des Nationalsozialismus erwachsene Wille zur Autarkie wendet sich an Ende gegen Aron selbst.

Sein letzter Kontakt »zur Welt« ist der Erzähler des Buches, und Aron wirbt mit seiner Lebensgeschichte um diesen Erzähler, nicht ohne ihn zugleich immer wieder von sich zu stoßen. Nur ein einzige Mal im Buch erleben wir Aron tatsächlich entspannt, als der Erzähler eine Spazierfahrt ins Blaue vorschlägt und dieses ziellose Fahren dann auch tatsächlich gelingt.

Als ich ihn zu Hause absetze, ist es schon dunkel, er sagt: »Das war mal eine gute Idee von dir.«

Wir wissen heute, dass Jurek Becker vieles aus der Lebensgeschichte seines Vaters in Der Boxer verarbeitet hat. Auch in dieser Hinsicht bietet das Buch eine bewegende und wichtige Lektüre zur deutschen Geschichte des 20. Jahrhunderts.

Jurek Becker: Der Boxer. st 2954. Frankfurt/M.: Suhrkamp Taschen- buch Verlag, 1998. 6,99 €.

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Allen Lesern ins Stammbuch (13)

22. September 2007

Da es Menschen gibt, die nicht lesen können, ohne nach den Modellen der lasterhaften oder lächerlichen Gestalten zu suchen, die sie in einem Werke finden, so erkläre ich diesen boshaften Lesern, daß sie nur zu Unrecht die im vorliegenden Buch enthaltenen Porträts auf lebende Vorbilder beziehen könnten. Ich beteure öffentlich: Mein Ziel war einzig, das Leben der Menschen darzustellen, wie es ist; Gott verhüte, daß ich irgend jemanden hätte insbesondere kennzeichnen wollen! Also nehme auch kein Leser für sich in Anspruch, was sich, so gut wie auf ihn, auf andere beziehen kann; oder, wie Phädrus sagt, er verrät sich törichterweise: Stulte nudabit animi conscientiam.

Alain-René Lesage: Gil Blas

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Der Suppenwolf

19. September 2007

Bastian Sicks Zwiebelfischchen heute unter anderem auch mit einem literarischen Beitrag:

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In eigener Sache: Fliegende Goethe-Blätter

16. September 2007

Da mir derzeit wieder einmal allerhand über Goethe zufliegt, habe ich mich endlich aufgerafft, ein altes Projekt umzusetzen:

Die Fliegenden Goethe-Blätter erscheinen in unregel- mäßigen Abständen. Sie enthalten höchst subjektive Überlegungen, Kritiken, Betrachtungen und Anmerkungen Ihres Verfassers.

Die Fliegenden Goethe-Blätter wollen nicht neutral, nicht ausgewogen, nicht politisch oder anderweitig korrekt sein, sie wollen nicht recht haben oder recht behalten. Sie wollen nicht darstellen, was man »auch sagen« könnte. Sie gehen von der Grunderfahrung aus, dass zu Goethe nicht nur alles bereits gesagt worden ist, sondern dass auch alles noch einmal gesagt werden wird – und dass es keine Dummheit gibt, die nicht irgendwann einen Dummen findet, der sie verteidigt.

Die Fliegenden Goethe-Blätter sind weder einer bestimmten Richtung der Goethe-Forschung, noch einer bestimmten Methode oder Theorie der Germanistik oder der Germanistik schlechthin verpflichtet. Auch anderen Theorien gegenüber verhalten sie sich nach Möglichkeit synkretistisch.

Goethe ist den Fliegenden Goethe-Blättern kein Objekt der Verehrung, weder Dichterfürst noch Übermensch, weder Zentrum deutscher Geistigkeit noch hölzerne Literaturscheuche. Goethe ist der Glücks- und Pechfall der deutschen Literatur, eitler Selbstbespiegler, der vor einem Fensterkreuz ohne Glas sich wendet und dennoch wohlgefällig sein eigen Abbild zur Kenntnis nimmt.

Alles weitere wird sich weisen müssen …

Zum Anfang habe ich die hier mit der Zeit zu Goethe entstandenen Sachen dorthin kopiert. Von nun an werden hierorts nur in einigen besonderen Fällen Hinweise auf Rezensionen aktueller Lektüre zu oder von Goethe zu finden sein; Notizen, Glossen, Gedanken zu Goethe und seinem Umfeld etc. werden nur am neuen Ort zu finden sein.

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Von der Höhe der Alpen (18)

14. September 2007

Wunderbar wär auch für die Einwohner eines ebenen und anmuthigen Landes, die wahrhafteste Schilderung der Länder, die aus aufgethürmten Alpen bestehen.

Johann Georg Sulzer

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Henryk M. Broder: Hurra, wir kapitulieren!

12. September 2007

broder-kapitulieren Henry M. Broder ist zweifellos der bedeutendste deutschsprachige Polemiker unserer Zeit. Das Wort Polemiker hat seinen Ursprung im altgriechischen Wort für Krieg, πóλεμος. Ein Polemiker ist also ein Kriegstreiber, im besten Fall ein Krieger, jedenfalls jemand, dem es darum geht, einen Konflikt durchzukämpfen, nicht ihn beizulegen oder zu vermeiden. Danach muss man Broders Äußerungen bewerten, nicht entlang der Frage, ob er Recht hat, die Wahrheit vertritt, seine Meinung hilfreich ist oder ähnliches.

In diesem Buch geht es um den Konflikt der islamischen Welt mit dem Westen. Broders Aufhänger ist der sogenannte Karikaturen-Streit, den die dänische Zeitung Jyllands-Posten 2005 durch die Veröffentlichung eines Dutzends von Karikaturen auslöste, die sich mit dem Propheten Mohammed beschäftigten. Die Reaktionen in der islamischen Welt waren aufgeregt und heftig, getragen in der Hauptsache von Gläubigen, die selbst das obskure Objekt des Zorns nie gesehen hatten und blind den Ratschlägen ihrer geistlichen Führer folgten. Der Westen reagierte auf diese Inszenierung religiöser Empörung mit einer Welle von Verständnis, aber auch mit einer Diskussion über die Grenzen und den verantwortlichen Umgang mit der Meinungsfreiheit.

Broders Behandlung dieses Falles genügt als Beispiel, um das ganze Buch in seiner Methode und Tendenz darzustellen. Für Broder liegt der Fall ganz einfach: Meinungsfreiheit ist eine westliche Errungenschaft, ein Erfolg der Aufklärung, ein Zeichen der Fortschrittlichkeit unserer Gesellschaft und alles in allem beinahe so etwas wie ein Wert an sich. Dagegen stellt er den Versuch der islamischen Welt, alle Menschen unter ihre Wertordnung zu zwingen und auch solchen Menschen, die durchaus keine Moslems sind, Vorschriften darüber zu machen, wie sie zu leben und was sie zu sagen oder gar denken haben. Nachdem die Welt erst einmal in diese Alternative zerlegt worden ist, fällt die Wahl der richtigen Seite leicht: Der Westen hat Recht, die islamische Welt Unrecht.

Und statt vor den lautstarken Forderungen der Moslems einzuknicken, sollte der Westen seine Wertordnung aktiv – und wahrscheinlich ebenso lautstark – verteidigen, also wahrscheinlich den aufgeregten Moslems mitteilen, sie sollten die Schnauze halten und sich um ihren Dreck kümmern. Es heißt hier »wahrscheinlich«, weil Broders Buch genau in diesem Teil ein wenig dünn ausgefallen ist. Während er nicht maulfaul die öffentliche Reaktion des Westen anprangert, sind bei ihm die Vorschläge alternativen Handelns etwas kurz gekommen. Was alle Welt falsch macht, weiß jeder Stammtisch-Idiot – nicht, dass er es auch so schneidig formulieren könnte wie Broder –, wenn man aber fragt, was denn stattdessen hätte geschehen sollen, so versandet das Repertoire an Vorschlägen rasch im Banalen. Natürlich weiß Broder das, und deshalb versucht er auch nicht einmal ansatzweise, konstruktive Vorschläge zu machen.

Broders Position markiert deutlich die Voraussetzungen des Polemikers: Der pubertäre Glaube daran, dass man im Besitz der Wahrheit ist, ein nicht weniger pubertäres Bewusstsein von der eigenen Bedeutung und eine ausgeprägte Neigung zur Kritik anderer Positionen. Bei Broder kommt – zum Glück – noch das schriftstellerische Talent für scharfe und pointierte Formulierungen hinzu, und fertig ist die Laube.

Nicht, dass man mich falsch versteht: Ich habe das Buch mit Vergnügen gelesen, und ich halte Broders Stil für eine ebenso befruchtende wie notwendige Abgrenzung zu dem journalistischen Sumpf, dem sich ein Leser sonst allenthalben gegenübersieht. Broders Polemiken machen in aller Schärfe deutlich, welch rückgratloses und fatalistisches Gelaber heute die Szene des politischen und gesellschaftlichen Feuilletons beherrscht. Allerdings an und für sich genommen sind sie gänzlich belanglose Aufgeregtheiten, ähnlich relevant wie das Verbrennen einer dänischen Fahne durch eine Horde aufgehetzter Muslims in Riad.

Henryk M. Broder: Hurra, wir kapitulieren! Von der Lust am Einknicken. Berlin: wjs, 2006. Pappband, 168 Seiten. 16,– €.

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Goethe ist allemal Beckenbauer

11. September 2007

Langsam wird es hier Zeit für eine Kategorie »Goethe in der modernen Welt«. Da schreibt Stefan Benz bei Echo Online, angeregt durch ein angebliches Zitat von Claus Peymann:

Goethe ist allemal der Beckenbauer der Schaubühne: schöne Strategien, ausgefeilte Spielzüge, aber wenn’s hart auf hart geht, zieht er doch lieber zurück. Da ist Shakespeare ganz anders, vorne ein deftiger Reißer und hinten ein blutiger Klopper. Wo der kickt, rollen Köpfe. Eisenfuß Brecht aus Peymanns Traditionsverein kommt nur noch selten auf Linksaußen zum Einsatz, nachdem er mehrfach Sponsoren aus der Wirtschaft beschimpft hat. In der Abwehr steht die antike Dreierkette Aischylos, Euripides und Sophokles wie festgemauert. Dahinter lauert Torwart Samuel Beckett und seine Abseitsfalle des Absurden. Molière sorgt im Mittelfeld für Spielwitz, Ibsen ist ein Dauerläufer, der dahin geht, wo’s weh tut, während Tschechow meist nicht vom Fleck kommt, aber wortreich darüber meckern kann, warum das Spiel so langweilig ist.

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Nachtrag 14.09.2007: In der Financial Times Deutschland macht sich Georg Blank zum Depp, indem er zwar Stefan Benz nachplappert, es aber auch nicht wirklich auf irgend einen Punkt bringt:

Zum Glück gab es ein paar Geistesgrößen, die noch immer hervorgekramt werden, wenn man den Intellekt der Deutschen belegen will. Auch wenn der Vergleich manchmal hinkt, wie Claus Peymann, Intendant der Ruhr-Triennale, eindrucksvoll belegt: “Schiller ist für mich der Gerd Müller unter den Autoren: Goethe ist besser, aber Müller schießt die Tore.”

Ist Goethe dann der Beckenbauer? Technisch versiert, sehr erfolgreich und noch lange nach seiner aktiven Zeit sehr populär? Für solche Fußball-Fragen ist in Deutschland der Innenminister zuständig. “Ich bin nicht der oberste Techniker der Nation, ich muss nur dafür sorgen, dass die Gesetze eingehalten werden”, sagte Wolfgang Schäuble (CDU). Er möchte nicht Sportlern, sondern Terroristen die Rote Karte zeigen und lieber Computer als Urin durchsuchen.

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P.G. Wodehouse: Monty im Glück

8. September 2007

wodehouse-monty- Dieser humoristische Roman von P.G. Wodehouse stammt aus dem Jahr 1935 und liegt hier in der deutschen Erstübersetzung vor. Über Wodehouse im Allgemeinen und die in der Edition Epoca vorliegenden Übersetzungen durch Thomas Schlachter habe ich anlässlich von »Onkel Dynamit« schon einiges geschrieben, das nicht wiederholt zu werden braucht. »Monty im Glück« (»The Luck of the Bodkins«) ist nach »Heavy Weather« der zweite Roman von Wodehouse, in dem Montague »Monty« Bodkin als Protagonist auftritt. Monty gehört in das Umfeld des Londoner Drones Clubs, in dem, neben anderen, auch Wodehouse’ bekannteste Figur Bertie Wooster und Pongo Twistleton (vgl. »Onkel Dynamit«) Mitglieder sind.

»Monty im Glück« spielt aber in der Hauptsache weit entfernt von London, nämlich auf der Überfahrt des Passagierschiffs R.M.S. Atlantic von Europa nach New York. Monty nimmt an der Überfahrt nicht teil, weil er nach Amerika will, sondern ausschließlich, weil sich seine Verlobte Gertrude Butterwick auf dem Schiff befindet, die als Mitglied der englischen Damenhockey-Nationalmannschaft auf dem Weg in die Vereinigten Staaten ist.

Gertrude hat Monty kurz vor Abfahrt des Schiffes aus für ihn vorerst unerfindlichen Gründen die Verlobung aufgekündigt, womit Monty durchaus nicht einverstanden ist. Es stellt sich auch nur zu bald heraus, dass alles auf einem Missverständnis beruht, und die Verlobung ist rasch wiederhergestellt. Könnte sich Monty nun in aller Stille entfernen, hätte das Buch ein vorzeitiges Ende gefunden, aber durch die gemeinsame Überfahrt für sechs Tage auf engstem gesellschaftlichen Raum aneinander gefesselt, findet Gertrude problemlos weitere Anlässe für immer erneute Auflösungen des Verlöbnisses, wobei sich die Lage von Mal zu Mal zu dramatisiert. Der allzu ängstliche Leser darf sich aber angesichts des Titels über den letztendlichen Ausgang beruhigen. Auch für die Brüder Reginald und Ambrose Tennyson, seines Zeichens minder begabter Schriftsteller, der irrtümlich für Alfred, Lord Tennyson gehalten wird, die sich um Mabel Spence, die Schwägerin des Filmmoguls Ivor Llewellyn, der von seiner Gattin genötigt wird, ein Perlenkollier am US-amerikanischen Zoll vorbeizuschmuggeln, bzw. um die Schauspielerin Lottie Blossom bemühen, geht die Geschichte letztlich gut aus, ganz zu schweigen von Albert Peasemarch. (Dieser Satz wurde in der Absicht konstruiert, die Schlichtheit der zwischenmenschlichen Beziehungen dieses Romans aufscheinen zu lassen.) Mit anderen Worten:

Männer sind in dieser Beziehung einfach goldig. Man kann sie wie den letzten Dreck behandeln, doch wenn’s auf die Schlußumarmung mit Abblende zugeht, ist auf ihre putzmuntere Präsenz Verlaß.

»Monty im Glück« zeigt Wodehouse einmal mehr als brillanten Konstrukteur von Komödien auf abgezirkeltem Raum und mit klar begrenztem Personal. Auch dieser Roman könnte, so wie er ist, als Vorlage für eine klassische Screwball-Komödie dienen. Alle Konflikte, Wendungen und Irrungen sind von langer Hand vorbereitet und bedingen einander mustergültig. Alle eingeführten Figuren verfolgen ihre eigenen Absichten und tragen zugleich zur Verwirrung des großen Ganzen bei, und je besser ein Plan zur Lösung eines Konflikts ausgedacht ist, desto sicherer erzeugt er die nächste Stufe des Chaos. Und ganz en passant stellt Wodehouse auch hier wieder seine Meisterschaft des ebenso lakonischen wie pointierten Dialogs unter Beweis:

»Ich könnte einfach nicht schauspielern. Ich käme mir furchtbar bescheuert vor.«
»Tun Sie das nicht ohnehin?«
»Doch, aber nicht auf diese Art.«

Ein Buch für alle, die gut geschriebene Unterhaltung zu schätzen wissen.

P.G. Wodehouse: »Monty im Glück«. Aus dem Englischen von Thomas Schlachter. Zürich: Edition Epoca, 2005. Pappband, Fadenheftung, 351 Seiten. 22,90 €.

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