Archiv für Februar 2010

Aus meinem Poesiealbum (III)

28. Februar 2010

Wenn einer uns damit ennuyieret, er habe das Rad neu erfunden, so kann man mit Fug erwarten, dass das Ding rund sei.

Ein Alter

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Daniel Schönpflug: Luise von Preußen

22. Februar 2010

978-3-406-59813-5Populäre, oberflächlich bleibende Biografie Luises von Preußen als »Königin der Herzen«, wie sie der Untertitel bezeichnet. Der Ausdruck wurde übrigens von August Wilhelm Schlegel in einem Gedicht anlässlich der Berliner Huldigungsfeier für Friedrich III. geprägt. Die Biografie dokumentiert umfangeich die Kleidung der Prinzessin und späteren Königin, auch erfährt man viel über die Inneneinrichtung der von ihr bewohnten Schlösser. Darüber hinaus ist zu lesen, dass Ende des 18. Jahrhunderts »außerhalb der Stadt [Berlin] ländliche Gegenden« lagen (S. 95) und »im Inneren der Stadtmauern […] etwa 170 000 Menschen« lebten (S. 96). Ähnlich überraschend dürfte sein, dass Friedrich Wilhelm II. »eine enge Beziehung mit seiner langjährigen Mätresse« (S. 91) hatte. Überhaupt die Sexualität im 18. Jahrhundert:

Was sich hinter den geschlossenen Türen vollzog, darüber schweigen sich die Quellen aus. Angesichts des Fehlens einer sexuellen Erziehung muss man sich, auch wenn die Prinzen eventuell Erfahrungen mit Mätressen haben konnten, wohl eher ungelenke Versuche vorstellen. Doch erst durch den «Vollzug» galt die Eheschließung als unauflöslich. Abgesehen davon musste sich so bald wie möglich Nachwuchs einstellen, denn das war ja der Hauptzweck der Heirat. Lassen wir also Luise und Friedrich Wilhelm in diesem Moment allein. Ob ihre Hochzeitsnacht schüchtern oder stürmisch, innig oder kühl, albern oder ehrfürchtig war, das kann kein Historiker wissen. Denn auch wenn die Urtriebe des Menschen bleiben, die Masken des Begehrens ändern sich mit den Jahrhunderten. Tatsache ist allerdings, dass kaum zehn Monate nach der Hochzeitsnacht das erste Kind des Kronprinzenpaares zur Welt kam. [S. 85]

Oh goldenen Zeiten, in denen sich die Quellen noch ausschwiegen! Und noch andere intime Tätigkeiten gab es:

Auch wenn aufwändige Staatsakte unweigerlich zum Königsein gehörten, war das eigentliche Regieren eine zurückgezogene, ja nahezu geheime Tätigkeit. Selbst Luise dürfte ihren Schwiegervater wohl nie dabei beobachtet haben. Der König hatte keinen dauerhaften Arbeitsplatz, sondern er regierte immer in der Residenz, wo er sich gerade aufhielt. [S. 89]

Man denke: Obwohl der Schwiegerkönig immer in all den Residenzen herumregierte, durfte selbst Luise nie dabei zusehen! Potztausend! Möglicherweise hat sie auch sonst nicht bei allem dabei sein dürfen?

Es ist doch bedauerlich, dass ein Verlag wie C. H. Beck anlässlich des 200. Todestages der Luise von Preußen nichts besseres als diesen Schmonzes auf den Markt zu bringen versteht.

Daniel Schönpflug: Luise von Preußen. Königin der Herzen. München: C. H. Beck, 2010. Leinen, 286 Seiten mit gut 30 Abbildungen. 19,95 €.

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Philip Roth: The Humbling

10. Februar 2010

978-0-224-08793-3 Erzählung vom alternden Schauspieler Simon Axler, der in eine tiefe persönliche Krise gerät, als ihm seine Fähigkeit der intuitiven Darstellung seiner Rollen abhanden kommt. Seine Ehefrau trennt sich von ihm, und Axler lässt sich in eine psychiatrische Klinik einweisen, da er sich für akut suizidgefährdet hält. Allerdings lehnt er alle konkreten Hilfsangebote ab: Weder versucht er, ernstlich von den Therapieangeboten der Klinik zu profitieren, noch geht er auf den Vorschlag seines Agenten ein, mit einem auf solche Krisen spezialisierten Schauspiellehrer zu arbeiten. Statt dessen zieht er sich von seinem Beruf und seinen Mitmenschen komplett zurück.

Nach mehreren Monaten Einsamkeit bekommt Axler Besuch von der Tochter zweier Schauspielkollegen, Pegeen Stapleford, 25 Jahre jünger als er und eigentlich lesbisch. Sie verführt Axler und beginnt mit ihm eine Affäre, in der es Axler großes Vergnügen bereitet, in Pegeen das zu wecken, was man gemeinhin wohl die feminine Seite nennt: Er kauft ihr Kleider, überredet sie zu einer neuen Frisur usw. Pegeens Eltern reagieren auf die Affäre besorgt: Sie warnen ihre Tochter davor, dass sie sich bald in einer Beziehung zu einem Siebzigjährigen wiederfinden wird, der sie mehr als Pflegerin denn als Partnerin nötig haben wird.

In die Brüche geht die Beziehung zwischen Pegeen und Simon wegen eines sexuellen Experiments unter Beteiligung einer weiteren Frau. Pegeen verlässt Simon nur wenig später Knall auf Fall, so wie sie es auch zuvor schon einmal in einer anderen Beziehung getan hat. In seine alte Krise und Einsamkeit zurückgeworfen, findet Axler aber noch einmal die Kraft, sich selbst mit einer Rolle zu überzeugen, der des Konstantin Gavrilowitsch Treplev aus Tschechows »Die Möwe«.

Die Erzählung ist besonders in der Gestaltung der Hauptfigur überzeugend. Axlers Verweigerung jeglichen Nachdenkens über seine Arbeit und sein Leben, seine Verweigerung gegenüber jeglicher Hilfe, sein ebenso unreflektierter Versuch, seine Krise durch eine Beziehung zu überwinden, die von Anfang an statt einer Entlastung nur noch mehr Schwierigkeiten zu bringen droht, werden konsequent dem einzigen möglichen Ende zugeführt. Die Erzählung kann gut als ein Seitenstück zu Roth’ Roman »Sabbaths Theater« gelesen werden.

Philip Roth: The Humbling. London: Jonathan Cape, 2009. Pappband, 143 Seiten. Ca. 15,– €.

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Allen Lesern ins Stammbuch (31)

6. Februar 2010

Es hat mir Freude gemacht, diese ganzen Arschgeigen im Buch irgendwie auszulöschen. Denn die haben ja alle einen an der Waffel.

Sibylle Berg über ihr Buch Sex II

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Sibylle Berg: Der Mann schläft

5. Februar 2010

978-3-446-23388-1 Mit ihren ersten beiden Büchern, Ein paar Leute suchen das Glück und lachen sich tot (1997) und Sex II (1998, beide Reclam Leipzig), hatte Sibylle Berg bei mir großen Eindruck gemacht. Ich hatte mit ihrer Unverfrorenheit und ihrer klaren, schlanken und harten Prosa viel Spaß. Dann kam – vielleicht zu schnell – Amerika (1999) heraus, das ich fad und voller sprachlicher Klischees fand. Daraufhin habe ich erst einmal aufgehört, Sibylle Berg zu lesen. Nun tauchte sie im letzten Jahr bei Hanser wieder auf, und ich habe es wieder mit ihr versucht und bin nicht enttäuscht worden.

Sibylle Berg ist vielleicht die einzige wirklich misanthropische Autorin, die wir haben, sprich: die so erfolgreich ist, dass man von ihr weiß. Es mag andere misanthropische Autorinnen geben, aber wahrscheinlich fehlt ihnen die geschliffene Prosa Bergs und ihre – ja, was ist jetzt das genaue Gegenteil von Weinerlichkeit? Toughness?

Ihr jüngstes Buch erzählt die Geschichte einer Frau in den besten Jahren, die nach einem langen misanthropischen und einsamen Leben endlich ihren Mann findet. Die beiden leben etwa vier Jahre zusammen und unternehmen dann ihre zweite gemeinsame Urlaubsreise auf eine kleine, vor Hongkong liegende Insel. Dort verschwindet der Mann eines Tages. Die Frau bemüht sich 14 Tage lang erfolglos darum, ihn wiederzufinden, und verfällt anschließend in eine langsam sich steigernde Depression. Nach einiger Zeit wird sie von einem chinesischen Mädchen adoptiert und zu sich nach Hause eigeladen. Aber auch der dortige Familienanschluss hilft nicht; die Erzählerin verfällt als letztem Trost dem Alkohol. Am Ende bleibt es unklar, ob sie gerettet wird oder einem Wahnzustand verfällt. Die Fabel wird in alternierenden Kapiteln erzählt, die jeweils »Damals« und »Heute« überschrieben sind und deren Handlungsbögen sich auf den letzten Seiten vereinigen.

Entscheidend ist aber weniger die erzählte Geschichte, sondern die tief misanthropische Grundposition des Buches: Die Erzählerin verachtet die Menschen, ihre Anstrengungen, ihre Routinen, ihre Dummheit, ihre Lügen und – wahrscheinlich am schlimmsten – ihre Wahrheiten.

Dieses Theater, das um Sexualität gemacht wird, zu unerheblich, um sich davon beeinflussen zu lassen. Selbst die seltsamste Fetischanwandlung wollen wir heute begreifen und akzeptieren, wir wollen tolerant sein und offen und ersticken an unserem Hass gegen alles, was uns nicht ähnelt, und brüllen umso lauter das Lied der Gleichberechtigung.
Alles muss definiert sein, geregelt, geordnet; geheiratet muss werden, auch gleichgeschlechtlich, auch Familien-mitglieder und Tiere, so entfernt von Anarchie und Ungehorsam wie jetzt schienen die Menschen noch nie, gerade weil sie so frei sind. Wenn sie nicht das Pech hatten, im Mittelalter geboren zu werden, also bei Fundamen-talisten, also im Patriarchat, versagen sie es sich, suchen nach Geländern zum Festhalten, haben Angst, sich zu verlieren, wenn sie die Regeln nicht befolgen, die sie selber aufgestellt haben. Alle müssen über ihre sexuellen Präferenzen reden, sie müssen sich mitteilen, unbedingt, und akzeptiert werden. [S. 167 f.]

Dabei ist die Erzählerin durchaus nicht selbstgerecht:

Meine Wut auf die Rasse, der ich angehörte, verschwand, denn ich hatte es kaum besser gemacht. Anstatt die Welt zu verändern, hatte ich mich auf die Unmöglichkeit dieser Aufgabe berufen und mich in Gemütlichkeit zurückgezogen, mit meinem kleinen Beruf, den kleinen Freunden, den kleinen Möbeln. Da konnte ich fein ruhig sein, und das war ich dann auch. [S. 175]

Wer die Bücher von Sibylle Berg noch nicht kennt, findet hier einen »netten« Einstieg – nur eben Humor sollte man mitbringen, sonst fällt einem das menschenfeindliche Gezeter leicht auf die Nerven.

Sibylle Berg: Der Mann schläft. München: Carl Hanser, 2009. Pappband, 309 Seiten. 19,90 €.

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Roberto Bolaño: 2666

5. Februar 2010

978-3-446-23396-6 Ich habe aufgegeben. Ich habe tapfer bis etwa zur Mitte des Buches durchgehalten, bis in das vierte Kapitel hinein, das weitgehend mit der Aufzählung diverser Frauenmorde angefüllt ist. Dann habe ich noch kursorisch im letzten Kapitel herumgelesen und es dann aufgegeben. Ich habe nicht verstanden, warum ich das lesen soll; es hat mich aufrichtig nicht interessiert. Mag sein, ich habe da etwas nicht verstanden, mag auch sein, es gibt da nichts zu verstehen, sondern man soll all diesen Text hinnehmen, wie man auch das Leben hinnimmt. Nur dass das ein Irrtum wäre – ein Buch ist nicht das Leben, und es wäre auch überflüssig, wenn es das wäre. Und das Leben ist viel, viel witziger als dieses Buch.

Das Buch zerfällt auf natürlichem Wege in fünf Teile. Teil 1 langweilt uns mit der Erzählung von vier Literaturwissenschaftlern – einer Frau und drei Männern –, dem harten, internationalen Kern der Archimboldi-Forschung. Benno von Archimboldi ist ein fiktiver deutscher Autor, dessen Biografie wir in Teil 5 zu lesen bekommen. Teil 2 erzählt aus dem Leben des Philosophieprofessors Amalfitano, dem drei der vier oben genannten Archimboldi-Forscher in der nordmexikanischen Stadt Santa Teresa begegnet sind. Amalfitano hängt ein Geometriebuch an einer Wäscheleine auf. Teil 3 stellt uns einen US-amerikanischen Journalisten vor, der einen verstorbenen Kollegen vertreten muss und in Santa Teresa von einem Boxkampf berichten soll. Er lernt dort unter anderem Rosa Amalfitano kennen, die Tochter des Professors. Teil 4 ist hauptsächlich angefüllt mit der unverbundenen Aufzählung zahlreicher Morde an Frauen in Santa Teresa, von denen immer wieder vermutet wird, sie würden miteinander zusammenhängen, obwohl dies augenscheinlich nicht der Fall ist – so wie die Teile des Romans. Teil 5 erzählt auf gut 300 Seiten das Leben von Hans Reiter, der sich als Schriftsteller Benno von Archimboldi nennt.

Das ganze ist in einer etwas umständlichen Sprache geschrieben, die hier und da zu Ausreißern neigt:

… als würde ein Schwall stinkender Luft in eine Damen-bindenwerbung fahren …

Oder:

Der Abendhimmel erinnerte an eine fleischfressende Pflanze.

Glücklich, wer sich dabei etwas konkretes vorstellen kann.

Das Buch soll in der spanischsprechenden Welt und den USA ein riesiger Erfolg gewesen sein, was ich nicht bezweifle. Was ich bezweifle oder nicht recht verstehe, ist, wer das Buch lesen soll, wem es Spaß macht, dieser mäandernden Erzählung über mehr als 1.000 Seiten zu folgen, ohne dass ein Ziel erkennbar wäre, eine Ordnung des Erzählten oder auch nur der Hauch eines Sinns. Wie schon gesagt: Wahrscheinlich habe ich das Buch nicht verstanden oder irgendwo irgendeine entscheidende Wendung verpasst. Ich jedenfalls habe aufgegeben.

Roberto Bolaño: 2666. Aus dem Spanischen von Christian Hansen. München: Carl Hanser, 2009. Bedruckter Pappband, Farbschnitt an drei Seiten (nur bei der ersten Auflage), Fadenheftung, Lesebändchen, 1096 Seiten. 29,90 €.

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Aus meinem Poesiealbum (II)

4. Februar 2010

Das entferntere Übel sieht immer kleiner aus als das gegenwärtige.

Sebastian Haffner
Geschichte eines Deutschen

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Robert Menasse: Permanente Revolution der Begriffe

1. Februar 2010

978-3-518-12592-2 Ein Bändchen mit acht Sonntagsreden Menasses, eine davon über Sonntagsreden. Diese Lektüre hat meine Auseinandersetzung mit Menasse beendet. An einer Stelle heißt es:

Alle wirtschaftlichen Blütezeiten seit den bürgerlichen Revolutionen waren Zeiten, in denen die Politik, nicht zuletzt auch durch gesellschaftlichen Druck, stärker war als »die Wirtschaft«. Alles Elend und alle Menschheitskatastrophen aber geschahen in Zeiten, in denen »die Wirtschaft« der Politik ihre Interessen diktieren konnte.

Si tacuisses, …

Robert Menasse: Permanente Revolution der Begriffe. Edition Suhrkamp 2592. Frankfurt/M.: Suhrkamp, 2009. 124 Seiten. 9,– €.

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