Auslandsjude sucht etwas
Woody Allen ist alt, und der neurotische jüdische New Yorker Schriftsteller als Identifikationsfigur ist im allgemeinen Bewusstsein vermutlich schon längst von der neurotischen jüdischen New Yorker Nanny verjagt worden. Todd Hasak-Lowy bringt die Figur des neurotischen jüdischen Künstlers wieder ins Rennen und konfrontiert ihn und sein nicht minder neurotisches Umfeld nicht mit den Unwägbarkeiten des modernen Stadt- und Liebeslebens, sondern mit der Notwendigkeit, die Krise aufzuhalten, in der die gesamte Nation steckt. Was nicht gelingen kann. Was die Figur von Anfang an weiß. Und schon haben wir ihn, den Teufelskreis. Von Henrike Heiland
Daniel Bloom gerät in diesen Teufelskreis, während er sowieso schon in einer Lebenskrise steckt. Er ist ein erfolgreicher und geachteter Drehbuchautor. Seine Frau verdient als Innenarchitektin noch was dazu, obwohl das gar nicht sein müsste, aber warum soll sie sich langweilen, der gemeinsame Sohn, zu dem Daniel keinen Draht mehr hat, ist aus dem Gröbsten raus, und die Ehe war auch schon mal besser, als man zum Beispiel noch Sex hatte. Daniel hatte einen großen, weltweiten Erfolg mit einem Drehbuch, das er „Captives“ nannte. Der Film kam dann zu seinem Leidwesen als „Helsinki Honeymoon“ in die Kinos. Das ist grob umrissen Daniels Leben. Aber glücklich, glücklich ist was anderes.
Daniel ist extrem unzufrieden. Er hat keine Lust mehr, sich Sachen auszudenken. Deshalb sucht er nun nach etwas Wahrem, horcht in sich hinein und findet eine für Hollywood ungesunde politische Unzufriedenheit in sich vor. Daraus wird eine Geschichte. Daniel beschließt zu erzählen, wie ein Killer die Mächtigen der Nation aus Wirtschaft und Politik der Reihe nach umbringt (Es ist nämlich noch ein gewisser George W. am Ruder.). Dieser Killer findet, sie hätten es verdient, weil die weniger mächtigen Menschen unter den Entscheidungen der Großen bitter leiden würden. Daniel treibt die Idee noch weiter: Was, wenn nicht die Mächtigen sterben, sondern zunächst nur ihre Angehörigen, um die Mächtigen leiden zu lassen? Und was, wenn der FBI-Agent, der dem Killer auf der Spur ist, Sympathien für dessen Taten hegt?
Killer in der Politik
Daniels Agent findet die Idee völlig daneben, Politik und Hollywood seien nun mal zwei sehr unterschiedliche Paar Schuhe. Doch der Autor kann nicht anders, er kaut weiter darauf herum. Er hat nämlich endlich sein Thema gefunden. Er spricht sogar mit dem neuen Rabbi darüber, Rabbi Brenner, halb in der Hoffnung, dass dieser ihn irgendwie von seiner Besessenheit erlöst. Der wiederum findet die Drehbuchidee gar nicht so daneben, aber man muss dazu sagen, dass Rabbi Brenner eher ein Freund unorthodoxer Methoden ist. Sonst würde er nicht sämtliche Eltern seiner Schützlinge, deren Bar Mitzwa bzw. Bat Mitzwa näher rückt, regelmäßig beleidigen, weil sie mehr Zeit mit der Planung der Feierlichkeiten verbringen als damit, ihren Kindern beim Studium der Thora zu helfen. Daniel ist von Rabbi Brenner sehr beeindruckt. Und Rabbi Brenner lässt sich auf die mal wehleidigen, mal bissigen Diskussionen mit dem verwirrten Drehbuchautor ein. All das gipfelt darin, dass Daniel für eine Woche nach Israel fliegt, um mehr über das Judentum zu erfahren.
Froh über alles, was ihn von seinem Drehbuch und damit vielleicht sogar von seiner Unzufriedenheit mit der, nun ja, Gesamtsituation ablenkt, bucht er die Reise. Leider hat sein Agent just vor der Abreise die Idee vom gerechten Killer, der die Reichen und Mächtigen niederstreckt, nun doch noch verkauft. Der Produzent setzt Daniel von nun an massiv unter Druck, weil er endlich das fertige Buch in den Händen halten will. Aber Daniel hat sich eigentlich schon entschieden, die Geschichte nie zu schreiben. Was ihm der Produzent nicht durchgehen lässt: Die ausländischen Investoren stehen nämlich schon in den Startlöchern, und es ist von mächtig viel Geld die Rede.
In Israel angekommen, zeigt ihm sein Fremdenführer Nadav – ein Freund von Rabbi Brenner – nicht etwa Jerusalem. Keine Klagemauer, kein Yad Vashem für den Auslandsjuden, nur Tel Aviv und die durchgeknallte Verwandtschaft. Daniel wird von dem dauerbekifften, an Depressionen leidenden Nadav zu Dingen gezwungen, vor denen er in den USA gewarnt wurde: Busfahren, zum Beispiel. Und irgendwann nehmen sie auch noch per Anhalter reisende, bewaffnete Soldaten im Auto mit. Daniel soll sich eben benehmen, wie man sich gemeinhin in Israel benimmt. Übrigens kennt auch dort jeder den Film „Helsinki Honeymoon“, und irgendwie hat jeder, dem Daniel in die Arme läuft, ein nicht zu bremsendes Interesse daran, seine Geschichte ungefragt weiterzuplotten, bis sie unversehens zu einem Ende kommt. Ein Ende, an dem Daniel einen verfilzten Bart hat und Löcher in seinen Garten gräbt. Und dann war da noch diese Sache mit dem toten Hund.
Skurriler Witz und Leidenschaft
Ganz wunderbar liest sich Todd Hasak-Lowys Satire über den dekadenten Wahn der im „kulturjüdischen Klima“ lebenden Hollywood-Filmemacher. Daniels Agent, der sich jede Woche neu nach einem Charakter aus der Weltliteratur benennt, oder der Filmproduzent, der den jüdischen Nachnamen seiner Frau angenommen hat, um dazuzugehören und Daniel schließlich im Kofferraum seines Wagens entführt, um an sein Drehbuch zu kommen, sind Beispiele genug. Entlarvt wird auch der amerikanisch angepasste Jude (Daniel unterscheidet dabei verschiedene Grade der Anpassung), der viel zu wenig über die vom unvermeidlichen Kriegsdienst dauertraumatisierten Generationen von Israelis weiß – und vielleicht auch gar nicht so viel wissen will.
Rabbi Brenner ist im Grunde ein typischer Vertreter dieser Traumatisierten. Er hat sich schon durch Indien und diverse bewusstseinserweiternde Drogen hindurchgesucht, um zu verstehen, warum er hasst, was er so sehr liebt, oder liebt, was er so sehr hasst: Israel, die Thora, das Jüdischsein. Daniel wird davon nur eine Ahnung bekommen, ihm gelingt nicht einmal das vom Rabbi verordnete Drogenexperiment, weil er auf der Suche nach einer Auseinandersetzung mit seiner Familie dummerweise den Einsatz verpasst und unweigerlich eine Auseinandersetzung mit einem hölzernen Türrahmen erleben wird.
Schlecht beraten von Rabbi Brenner ist, wenn man nach dem großen Thema sucht, ein Buch über die Identitätskrise – eine Generation, zwei Länder und mindestens drei Männer. Schwierige Themen sind hier skurril mit Witz, Leidenschaft und Drama verpackt in teils bewusstseinsstromartigen Erzählpassagen und Ping-Pong-Dialogen, bei denen Hasak-Lowy auf Regieanweisungen oder auch nur Figurenzuordnungen verzichtet. Und immer wieder das Drehbuch, das Daniel nicht schreiben will, aber auch nicht lassen kann. Seitenweise wird man dieser qualvollen Entstehung, die jeder Autor so gut kennt, beiwohnen können. Das Drehbuch wird zu einem absurden Ende kommen, in mehrfacher Hinsicht. Und Daniel wird sich ganz fest etwas vornehmen. Für ungefähr zweieinhalb Sekunden. Immerhin.
Henrike Heiland
Todd Hasak-Lowy: Schlecht beraten durch Rabbi Brenner (Captives, 2008).
Aus dem Amerikanischen von Marcus Ingendaay.
Kiepenheuer & Witsch Verlag 2010. 477 Seiten. 22,95 Euro.
Foto © JS Photography