Tausche Schaukelstuhl gegen Bein
Von Katja Bohnet
Texas, Hitze, Staub
Noir. Es ist still. Vielleicht wird leise gesprochen, vielleicht bauscht ein leichter Windzug die Gardinen auf. Es ist heiß, Schweiß verklebt Staub auf der Haut. Die Nacht bringt keine Abkühlung. Zwei Möglichkeiten: Grelles Licht, ein Knall, harte Action, Achterbahn. Oder es bleibt dunkel, leise, drückend heiß. Wenn der Morgen kommt, ist jemand tot, jemand reich, jemand muss sich trennen, jemand geht. Lisa Sandlin wählt Tor 2. Sie erzählt leise, dennoch direkt. Die LeserInnen, die den Kriminalroman gerne hart und schräg mögen, werden hier trotzdem auf ihre Kosten kommen. Sandlins ganz eigene Stimme wird sie in ihren Bann schlagen. Wer hat gesagt, dass es nur eine Liebe gibt? Der Kriminalroman kann alles. „Ein Job für Delpha“ ist der Beweis dafür. Ein Buch, auf das man wartet und das hält, was es verspricht.
Frauen, die alles zusammenhalten.
Siebziger Jahre, USA. Texas, siehe oben, nur bei Tageslicht. Der über zehn Jahre andauernde Vietnamkrieg endet. Nixon muss sich dem Watergate-Skandal stellen. 1974 tritt er zurück. Kurz zuvor kommt Delpha Wade aus dem Knast, der ihr vierzehn, vielleicht die besten Jahre ihres Lebens gestohlen hat. Sie erstach einen ihrer beiden Vergewaltiger. Der andere kam davon. Er floh. Sie wird ihn nochmals treffen. Motiv: Frauen haben die Arschkarte. Motiv: Wie bei einer Fuge von Bach wird es wiederkehren.
Delpha braucht einen Job. Hier ist ihr Leben, es muss weitergehen. Sie braucht eine Aufgabe, ein Zimmer, Geld. Ein paar nette Typen dürfen auftreten. Zum Beispiel Delphas Bewährungshelfer sowie ihr zukünftiger Chef Tom Phelan, Vietnamveteran, Privatdetektiv in spe, ehemaliger Malocher auf einer Bohrinsel. Noir erzählt auch von Verlust, denn die Arbeit dort hat ihn einen Großteil seinen Mittelfingers gekostet. Aber hey: neuer Job, neues Glück. Delpha und Tom, beide müssen neu anfangen, wobei die Vorbestrafte unzählige Male abgewiesen wird. Hartnäckig und intelligent installiert sie sich jedoch in Toms Büro, macht sich unentbehrlich, bevor er es überhaupt bemerkt. Früher oder später muss er wie die meisten Männer begreifen, dass er ohne eine patente Frau nicht klarkommen wird. Sandlin beschreibt gerne Frauen, die alles zusammenhalten. Bis sie entscheiden, es nicht mehr zu tun. Delpha verschafft Tom seinen ersten Fall, sie verwaltet und mehrt sein Geld, sie recherchiert Fakten in der örtlichen Bibliothek. Delpha wird zum Gehirn des Start-ups, Tom ist die ausführende Hand. Beide begegnen sich mit Vorsicht und Respekt. Inhalt und Ton des Romanes spiegeln sich. „Ein Job für Delpha“ erzählt vor allem von Demut, davon, wie es ist, den Kopf gesenkt zu halten und dennoch den eigenen Stolz nicht zu verlieren.
Plot und Subplot
Toms erster Fall knallt nicht, er verpufft kaum hörbar. Ein Junge kommt nicht mehr nach Hause, Tom sucht und findet ihn. Doch das ist nicht alles: Ende offen. Warten. Geduld. Auch hier leise Töne, gedämpftes Licht. Eine andere Frau will wissen, mit wem sie ihr Mann betrügt. Klassischer Fall, sollte man meinen. Phelan Investigations nimmt jeden Auftrag an. Delpha hat endlich einen Job, ein Zimmer findet sie in einem in die Jahre gekommenen Hotel.
„Eine Idee glomm zwanzig Watt stark in Calinda Blanchards Kopf, und sie nahm Delpha.“
Die Idee der Hotelbesitzerin besteht darin, dass die aus dem Gefängnis entlassene Delpha sich abends im Austausch für Wohnraum um ihre Tante kümmern soll. Tante Jessi ist beinahe hundertjährig, bettlägerig und nach einem Schlaganfall kaum in der Lage, sich zu artikulieren. Wer pflegt die Alten, Kranken? Besonders Frauen. Arschkarte. Motiv. Delpha muss die alte Mrs. Jessie drehen, ihr die Scheiße vom welken Hintern waschen, sie wickeln, füttern, versorgen. Der nächste Subplot folgt sofort. Jessie hat Calinda ein Erbe versprochen. Etwas von Tiffany. Calinda braucht dringend Geld. Aber sie findet in dem alten Haus nicht das, was sie sucht. Die Jagd auf den Nachlass der noch nicht Toten ist eröffnet. Aber Delpha hat inzwischen einen Job und ein Zimmer, das sie mehr genießt als alles andere. Die Stille, die Möglichkeit, zu gehen oder zu bleiben, ihren eigenen Raum, den sie nicht teilen muss. All das ist lesenswert.
Die Kunst der Deduktion
Phelan Invstigations neuer Fall. Es gibt ihn, diesen einen Fall. Öl, Daughtry, Enroco, Industriespionage. Aber tatsächlich geht es in dem Roman eher um Stimmungen, Situationen, Figuren. Die riesige Sherry Boatwright, die Hände und vielleicht auch ganze Männer zerquetschen kann oder ihr jüngerer Bruder, der erst sein Bein und danach seine Prothese verliert. Dumm gelaufen. Tausche Schaukelstuhl gegen Bein. Jede Szene gebiert neue. So mäandert der Roman. Kein lauter Ton. Nichts Schrilles. Ein langer, ruhiger Fluss. Der Detektivroman hatte schon immer einen Hang zum Skurrilen. Nicht die größten Bomben, schnellsten Verfolgungsjagden, heißesten Girls, eher überlegt und deduktiv.
History repeating
Sandlin schrieb vorher Kurzgeschichten. So wie Erika Krouse. Ich fordere mehr Respekt für die Kurzstrecke. Ein Gefühl für Mikrokosmen schärft den Blick für das große Bild. Das Gewicht jedes Wortes auf kleinem Raum entfaltet sich auch in der langen Form. Die Lust an Sprachbildern. Noir bedeutet auch, im Dreck zu waten, sich selbst herauszuziehen, Hoffnung zu schöpfen, um groß zu scheitern. Episches, zutiefst menschliches Sujet, „Der Mythos des Sisyphos“. Was gibt es noch zu sagen? Tom und Delpha bemühen sich um neue Erkenntnisse und eine Zukunft in Amerika. Die unterschiedlichen Ermittlungen laufen aufeinander zu, und ihre Fälle treffen sich. Die Geschichte muss sich wiederholen, soviel ist klar. Natürlich kann nicht alles gut ausgehen. Beziehungen müssen zerbrechen, Häuser brennen, Menschen verlieren und sterben.
Manche aber nur beinahe.
Katja Bohnet
Lisa Sandlin: Ein Job für Delpha (The Do-Right, 2015). Aus dem amerikanischen Englisch von Andrea Stumpf, herausgegeben von Thomas Wörtche. Suhrkamp Verlag, Berlin 2017. 350 Seiten, 9,95 Euro
Offenlegung: Thomas Wörtche ist Herausgeber der Suhrkamp-Reihe und von CrimeMag. Katja Bohnet hat weder Geld noch Champagnerpakete noch Eventeinladungen von der Redaktion erhalten, damit sie eine Rezension verfasst. Sie mochte diesen Roman einfach.