Geschrieben am 13. März 2004 von für Bücher, Litmag

Gilbert Adair: Träumer

Böses Erwachen

Gilbert Adairs jetzt von Bernardo Bertolucci verfilmter erster Roman erzählt eine mitreißende Dreiecksgeschichte im 68er Paris .

Blindband, die subtile Rachegeschichte um einen blinden Autor und dessen Gehilfen, brachte den Engländer Gilbert Adair bis ins „Literarische Quartett“ und somit in die Bestsellerlisten. Lange halten konnte er sich auf dieser Position nicht – zu Unrecht. Adair hat mit seinen Romanen wie Der Tod des Autors, Liebestod auf Long Island oder Der Schlüssel zum Turm schon ansehnliche Veröffentlichungen im deutschsprachigen Raum vorgelegt – und mit der Übertragung des „e“-losen Romans La Disparition von Georges Perec ins Englische (Avoid) ist ihm ein Meisterstück gelungen. Adairs Augenmerk gilt dem Rätselhaften, er spielt virtuos mit Motiven aus Literatur, Kunst und Film – und mit den Erwartungen seiner Leser.

Nun liegt mit Träumer endlich Adairs Erstling in deutscher Übersetzung vor, wenn auch in einer überarbeiteten Fassung. 1988 erschien der Roman erstmals unter dem Titel The Holy Innocents. Dass der Stoff nun von Bernardo Bertolucci verfilmt wurde, veranlasste Adair zu einer Überarbeitung und beschert uns nicht zuletzt die Freude dieses Buches.

Insel der Lust und Begierde

Der Roman führt ins Paris des Jahres 1968 und beginnt wie eine klassische Dreiecksgeschichte unter Cineasten. Der schüchterne amerikanische Student Matthew hat sich dem Zwillingspaar Théo und Isabelle angeschlossen, regelmäßig treffen sie sich in der Cinémathèque Française, um in die Welt des Kinos abzutauchen. Die politische Stimmung um sich herum nehmen sie nur peripher wahr, nämlich als die Cinémathèque eines Tages geschlossen ist. Sie beginnen darauf, sich in der Wohnung der Geschwister zu treffen, deren Eltern für eine Weile verreist sind. Mit einem harmlos erscheinenden Filmratespiel vertreiben sie sich die Zeit, anfangs spielen sie um Geld, doch bald erhöht sich der Einsatz. Die Wohnung wird zu einer von der Außenwelt abgeschirmten Insel der Lust und Begierde. Eifersucht, Dominanzstreben, Inzest und Bisexualität bestimmen einen unwirklichen Tagesablauf, bis ein Pflasterstein, der durch eine Fensterscheibe fliegt, signalisiert, dass auch die Außenwelt aus den Fugen geraten ist. Wie aus einem Traum gerissen, werden die drei mit Demonstrationen, Utopien und Tränengas konfrontiert – doch der wirkliche Albtraum soll erst noch beginnen.

Adair ist mit diesem Roman eine ebenso erotische wie politische Hommage an die Macht des bewegten Bildes gelungen – an ein Medium, das sowohl die wirkliche Welt vergessen machen als auch aufklären kann. Am Aufspüren der Filmzitate mag sich der Cineast versuchen, allen anderen bleibt eine mitreißende und tragische ménage à trois in Zeiten des Umbruchs.

Frank Schorneck

Gilbert Adair: Träumer. Aus dem Englischen von Thomas Schlachter. Edition Epoca 2003. Gebunden. 167 Seiten. 19,95 Euro. ISBN 3-905513-31-5