California Nightmare
Mit dem wunderbaren Mafia-Roman „Frankie Machine“ hatte Don Winslow zu Recht Ruhm und Ehre angehäuft. Die Surferromane um Boone Daniels liegen deutlich auf einem anderen Level. Freunde haben sie aber dennoch. Jörg von Bilavsky gehört dazu.
Der einsame Schnüffler sitzt nicht mehr in einem verrauchten Büro mitten in der sündigen Großstadt, die Füße auf dem Schreibtisch und die Whiskey-Flasche in der Schublade. Er wartet nicht mehr auf die hereinstöckelnde Blondine, die mit verweinten Augen nach ihrem kriminellen Geliebten sucht. Nein, heute aalt sich der braungebrannte und muskelgestählte Privatdetektiv auf seinem Surfbrett, paddelt mit seinen Kumpels auf den Pazifik hinaus und wartet auf die nächste Welle. Und natürlich auf den nächsten Klienten. So wie Boone Daniels, der nicht wie Philipp Marlowe im schmutzigen Los Angeles, sondern im sonnigen San Diego ermitteln darf. Dort, wo die Welt noch in Ordnung zu sein scheint. Scheint, wohlgemerkt.
Denn im kalifornischen Surferparadies ist in Wahrheit die Hölle los. Nur hat Boone davon noch nichts gemerkt, umgeben von den ehrbaren und treuen Surfkumpanen. Bis zu dem Tag, als ihr aller Idol, der hawaiianische Profisurfer Kelly Kuhio, eines Abends Opfer einer Jugendbande wird, nach einem „Superman Punch“ zu Boden geht und nie mehr aufsteht. Das halbstarke Millionärssöhnchen Corey Blasingame soll den tödlichen Schlag ausgeführt haben und sitzt dafür jetzt im Knast. Geschieht ihm recht, Strafe muss sein, denken sich Boone und seine Kumpels von der Dawn Patrol. Und Coreys vermeintliche Freunde sind ganz froh, dass er für sie den Kopf hinhält.
Es besteht also kein Zweifel, dass der von allen drangsalierte, herumgeschubste und ausgenutzte Teenager der Täter war. Alles, was sein Anwalt für den Todeskandidaten vermutlich noch rausschlagen kann, ist vielleicht Totschlag. Doch um seinen Schützling zu schonen, braucht er genauere Informationen zum genauen Tathergang. So schickt er seine atemberaubend schöne Anwaltskollegin Pete aus, um den szenekundigen Boone anzuheuern. Mit Erfolg. Denn Boone ist nach anfänglichen Gewissensbissen bereit, seine Freunde für Petes Hingabe und Rundungen zu opfern. Als er dann auch noch rausfindet, dass Corey nicht zweifelsfrei die Alleinschuld trifft, wenden sich seine Surfkollegen vollends von ihm ab. Wer den Mörder ihres Idols Kelly Kuhio entlastet, gehört nicht mehr zu ihnen. So einfach ist die Weltsicht unter Surfjunkies.
Viele bunte smarte Surfer …
Freilich macht Boone die Abfuhr seiner Freunde schwer zu schaffen. Aber Boone wäre kein integerer Privatdetektiv, würde er statt der Wahrheit nur nach Rache suchen. Und so beißt er in den sauren Apfel und findet neben entlastenden Informationen auch belastende für eine ganze Reihe anderer Verdächtiger. Schließlich kommt der smarte Surfer nicht nur den rassistischen Motiven der brutalen Jugendgang auf die Spur, sondern auch einem handfesten Immobilienskandal. Auf Umwegen allerdings. Schnüffelt er doch zugleich der Ehefrau eines entfernteren Freundes hinterher, die mit einem anderen ins Bett geht. Der Andere aber ist ein bestechlicher Ingenieur, der Gefälligkeitsgutachten ausstellt und nicht als einziger in diesem Spiel um Macht und Geld dafür bitter büßen muss. Wie der Mord an Surflegende Kuhio und die Korruptionsfälle miteinander verwoben sind, erfahren wie zum Glück erst in letzter Minute. Der Schriftsteller und ehemalige Privatdetektiv Don Winslow weiß durch seine raffinierte Hinhaltetaktik, wie man die Spannung und so seine Leser bei der Stange hält.
Der Autor des ebenso grandiosen wie blutrünstigen West-Coast-Mafia-Thrillers „Frankie Machine“ spart aber auch in „Pacific Paradise“ nicht mit Gewalt und Niedertracht. So harmlos wie alles anfängt, so brutal scheint auch alles zu enden. Dass Boone schließlich doch noch mit heilen Knochen davonkommt, grenzt nach den erlittenen Strapazen schon an ein mittelgroßes Wunder. „Good Guys“ haben immer einen Schutzengel. Verzeihen wir also Boone und Winslow die endlosen Surfermetaphern und das kalifornisch-kitschige Happy End im Sonnenuntergang. Der Privatdetektiv und sein Alter Ego haben es sich nach knapp 400 spannenden Seiten redlich verdient.
Jörg von Bilavsky
Don Winslow: Pacific Paradise (The Gentlemen`s Hour, 2009). Roman. Aus dem Amerikanischen von Conny Lösch. Berlin: Suhrkamp 2010. 386 Seiten. 9,95 Euro.