Heute: Christopher G. Moore
von Marcus Müntefering.
Christopher G. Moore, Jahrgang 1952, ist ein kanadischer Anwalt, der seit bald drei Jahrzehnten in Bangkok lebt und in ganz Südostasien unterwegs ist. Er hat Dutzende Romane geschrieben, die Bücher um den Privatdetektiv Vincent Calvino aus Bangkok sind teilweise auch ins Deutsche übersetzt und früher beim Unionsverlag erschienen. Moores neuester Roman “Springer” ist vor Kurzem auf Deutsch erschienen, übersetzt und herausgegeben von Peter Friedrich. Mehr dazu lest ihr hier.
In Thailand ist es inzwischen nicht mehr so einfach, die Bücher von Moore zu bekommen, verriet er mir bei einem Treffen in Bangkok im Dezember 2017. Seine Auseinandersetzung mit Korruption und den dunklen Seiten des Landes passt nicht ins Thailand-Bild, dass die Militärdiktatur vermitteln möchte. Dennoch habe ich bei der Kette Asia Books ein paar Romane von Moore gefunden – in der Ramschkiste einer Filiale auf der Sukhumvit Road.
1 Haben Sie je darüber nachgedacht ein Verbrechen zu begehen oder gar schon mal eines begangen?
Nein, ich hatte niemals vor, mich für ein öffentliches Amt zu bewerben oder CEO eines Fortune-500-Unternehmens zu werden.
2 Wer ist der schlimmste Schurke (oder der beste Bösewicht) der Literaturgeschichte?
Hätte ich eine Kamera an der Ziellinie der größten Kriminalromane aufgestellt, würde es ein photo finish zwischen Meursault aus Albert Camus’ „Der Fremde“ und Frank Friedmaier, dem Schurken aus Georges Simenons „Der Schnee war schmutzig“ geben. Fast wären die beiden kurz vorm Ziel noch von einem Jurastudenten namens Raskolnikow aus Dostojekwskis „Verbrechen und Strafe“ eingeholt worden. Als jemand, der früher selbst Jura-Professor war, frage ich mich manchmal, ob ein Raskolnikow in meinen Kursen saß und einen Mord plante.
3 Erinnern Sie sich an Ihren ersten literarischen Mord?
Das ist eine sensible Sache, wenn man bedenkt, in welchem Land dieser Fragebogen veröffentlicht wird. Lassen Sie mich nur sagen, dass ich Menschen aus vielen Nationen um die Ecke gebracht habe. Ich bin kein Sniper mit einer exakten Kill-Liste, aber es müssten Hunderte Namen draufstehen.
Okay, ich habe lange genug um den heißen Brei herumgeredet. Es geschah während des Burenkriegs im heutigen Südafrika. In meinem Roman „His Lordship’s Arsenal“ (Anmerkung d. Red.: keine deutsche Übersetzung, was leider für die meisten Romane von Christopher G. Moore gilt) habe ich einen Deutschen namens Martin Scheidel umgebracht, der einen Prototyp der Thompson-Maschinenpistole entwickelt hatte, einer Waffe, welche die Art, Kriege zu führen, verändert hat.
4 Die Beatles-oder-Stones-Frage: Chandler oder Hammett?
Ich finde einfach keinen Weg, binäre Fragen zu beantworten, dafür ist das literarische Universum zu vielfältig. Ist Schrödingers Katze tot oder lebendig? Kommt auf den Beobachter an. Die Chandler-artigen Landschaften in meinen Romanen sind voller metaphorischer Berge, Flüsse, Wüsten, Pfützen und Gräber; und die Metaphern speisen sich aus meinem Hammett ebenso wie aus den Erfahrungen, die ich in den bald dreißig Jahren gemacht habe, die ich in Südostasien unterwegs bin.
5 Haben Sie schon mal einen Toten gesehen? Wenn ja, wie hat dies Ihr Leben verändert?
Mehrere, mit unterschiedlicher Wirkung, je nachdem, ob ich den Toten gekannt habe oder nicht. In Leichenschauhäusern habe ich Leichen von Fremden gesehen, auch bei Verkehrsunfällen oder gewalttätigen Auseinandersetzungen. Der Tod ist unsere existentielle Furcht vor der Entfremdung. Aber wenn du ihm oft genug begegnet bist, ist er nur noch eine weitere Drehung des Rads im Mandala des Lebens. Wenn der Tote jemand war, den du kanntest, stellt sich ein intensives Verlustgefühl ein, und es braucht viel Zeit, bis man mit der sich ausbreitenden Traurigkeit über den Verlust klarkommt.
6 Wurden Sie jemals Zeuge eines Verbrechens?
Ein halbes Dutzend Mal, und das schon vor dem Frühstück. Es gibt keinen Tag in Bangkok, Phnom Penh, Rangun oder Hanoi, an dem man nicht dem Verbrechen begegnet. Motorräder, die über Fußwege brettern, Autofahrer, die rasen, rote Ampeln oder Zebrastreifen ignorieren. Ich habe einen jungen Mann gesehen, der im alten T3-Gefängnis in Phnom Penh an den Fußboden gekettet wurde, in Missachtung der UN-Menschenrechte. Ich habe, allerdings eher selten, Prügeleien und Messerstechereien beobachtet.
7 Gibt es irgendjemanden auf der Welt, dem Sie den Tod wünschen?
Vielleicht nicht tot. Aber ich würde bares Geld dafür bezahlen zu sehen, wie sich Robert Mugabe und Rupert Murdoch in Manila ohne Handschuhe im Matsch prügeln. Mit Rodrigo Duterte als Schiedsrichter, der den Verlierer erschießen dürfte. Aber nur, wenn er will. Kein Zwang.
8 Welche Jobs hatten Sie, bevor Sie vom Schreiben leben konnten?
Schön, dass Sie mich das fragen. Ich habe einen kurzen Essay mit dem Titel „How I became a literay legend in Asia“ geschrieben, der detailliert davon erzählt, wie ich mit 13 als Zeitungsausträger arbeitete und mein Leben den Bach runterging. Sie können den Essay auf der Website meines früheren deutschsprachigen Verlags (Unionsverlag) lesen, wo er wie ein toter Planet in einem leblosen Sonnensystem herumkreist.
9 Wären Sie nicht Schriftsteller – was würden Sie stattdessen tun (wollen)?
Zaubertricks lernen und Menschen eine Show bieten, die traurig, einsam, verloren und verlassen sind. Danach würde ich ein Sachbuch über einen Magier schreiben, der von gefährlichen und skrupellosen Primaten entführt wird, die ihn foltern, um ihm die Geheimnisse seiner Zunft zu entlocken.
10 Hören Sie beim Schreiben Musik? Und falls ja: welche?
Ich höre beim Schreiben Bach (Glen Goulds „Goldberg Variationen“) Claude Debussy, „Nocturnes“, Miles Davis, „Kind of Blue“, Bill Evans, „Sunday at the Village Vanguard“, John Coltrain, „Blue Train“, Bob Dylan, „Tangled up in Blue“, Leonard Cohen, „Hallelujah“, and Liszt, „Transcendental Etudes S. 139“, Oscar Peterson, „Hymn To Freedom“. Aber nicht unbedingt in dieser Reihenfolge.
11 Schreiben Sie lieber tagsüber oder nachts? Zu Hause am Schreibtisch oder wo immer Sie gerade sind?
Ich schreibe nachts. In der Stille der Nacht. Wenn die Noir-Dämonen sich anschleichen und dich packen und dich in den Kaninchenbau ziehen. In der Nacht, während die anständigen Menschen schlafen, kommt an die Oberfläche, was sonst darunter liegt.
12 Was machen Sie an Tagen, wenn Sie kein Wort schreiben können?
Es ist leicht, ein Wort zu schreiben. Die Herausforderung ist es, das richtige Wort an der richtigen Stelle zu finden. Es hilft, wenn ich die Musik, die ich unter Punkt 10 aufgelistet habe, richtig schön laut drehe.
13 Was passiert nach dem Tod? Und was sollte nach dem Tod passieren?
Die erste Frage ist sinnlos, als würden Sie mich fragen, was nördlich des Nordens liegt. Die zweite Frage regt die Fantasie an, und man denkt darüber nach, wie der Norden sein sollte. In dieser wenig metaphysischen Welt sieht es so aus, als würde mit dem Tod einfach unsere Glücksträhne aufhören. Wir sollten zu einem weiteren Band in Borges’ unendlicher Bibliothek werden, einen Platz im Regal neben all den anderen Meisterwerken an Witz, Intelligenz und Weisheit finden.
14 Verbrechen und Bestrafung: Was halten Sie vom Prinzip Auge-um-Auge / von der Todesstrafe?
Historisch betrachtet spielen Verbrechen und Strafe eine entscheidende Rolle dabei, dass der Homo sapiens in den vergangenen 7.000 Jahren domestiziert wurde. Die mächtigen Eliten nutzen diese Werkzeuge, um die Herde zu kontrollieren, indem sie sie in Angst versetzen. Die Todesstrafe ist ein Beispiel für staatlich sanktionierte Gewalt, und es ist nicht gelungen, zu verbergen, dass sie dazu da ist, unsere Existenz zu formen – die Würfel sind gezinkt, und wenn wir sie werfen, stehen die Chancen zugunsten der Bank.
15 Ihr Kommentar zu dem Bert-Brecht-Zitat „Was ist ein Einbruch in eine Bank gegen die Gründung einer Bank“…
Für Ersteres braucht man eine Pistole, einen Plan und Glück. Für Letzteres nimmt man die Beute früherer Bankräuber, übergibt sie der nächsten Generation, die sie wäscht, indem sie eine Bank gründet, die die nächste Generation dann wieder überfallen kann. Ein endloser Kreislauf aus Ausrauben und Gründen, bis wir endlich verstehen, dass es sich um zwei Seiten derselben Münze handelt.
16 Was soll auf Ihrem Grabstein stehen?
„Wenn Schriftsteller sterben, werden sie zu Büchern, was am Ende keine schlechte Art der Reinkarnation ist“ – Jorge Luis Borges.
CrimeMag-Südostasien-Korrespondent Christopher G. Moore beim Unionsverlag. Auf auf CrimeMag.
Seine Internetseite hier.
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