Geschrieben am 1. August 2018 von für Litmag, Specials, Story-Special 2018

Story: Gabriele Haefs: Mein Haus

 

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Hotel

Mein Haus steht an der niederländischen Nordseeküste, es ist ein altes Hotel mit dem geheimnisvollen Namen Monsmarem. Naja, so geheimnisvoll ist der ja nicht, aber als ich zuerst davorstand und mir vorstellte, dass in diesem Haus einfach jedes Märchen wahr werden könnte, war ich noch sehr klein und die erste Lateinstunde lag weit in der Zukunft. Das Monsmarem ist ein viereckiger Kasten aus den 20er Jahren, aber nur von außen. Von innen ist er verwinkelt, verworren, verwunschen. Mit zehn habe ich mich in den Aufenthaltsraum geschlichen und wusste offenbar schon, dass man in Lokalen konsumieren muss. Ich kaufte mir für zehn Cent (niederländische Cent, 1/10 von einem Gulden, damals eine gewaltige Summe) einen Schokoriegel, lieh mir vom Kellner das Reiseschachbrett aus und versuchte, mir Schachspielen beizubringen. Die Liebe zu Cafébesuchen hat mich nie mehr verlassen, die Liebe zu Bergen aan Zee, wie mein Ort heißt, auch nicht.

Aber ich habe mich auch in die Hotelgänge geschlichen, heimlich einen Blick in die Zimmer geworfen, und ich wusste: So will ich wohnen, und wenn ich so lebe, dann erlebe ich auch etwas. Dabei glaube ich heute, dass es ganz normale Hotelzimmer, mit Bett, Tisch und Badezimmer nebenan waren. Mir kamen sie vor wie das Vorzimmer zum Paradies. Ich würde gar nicht das ganze Haus brauchen, so ein Zimmer im Monsmarem würde mir schon reichen. Da könnte ich dann sitzen und endlich mein großes Werk schreiben (das über den heiligen Cucuphatus, oder vielleicht auch ein anderes, bestimmt würden mir die Ideen nur so aus dem Ärmel kullern).

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Nur, so einfach ist das alles nicht. Das Monsmarem steht noch da, aber der Name ist weg. Es sieht mehr und mehr aus wie ein Spukhaus, und als ich vor drei Jahren anfing, herumzufragen, was da los sei, wussten viele schon nicht mehr, dass dieses alte Hotel früher Monsmarem hieß. Aber was los ist, wissen alle. Es steht gar nicht leer, es sieht nur so aus. Drinnen wohnt Frank Vrasdonk, der Wohnrecht hat. Ein Bauunternehmer, der reichlich Erfahrungen mit dem Bau von Hotelanlagen in Ostafrika gemacht hat, möchte das alte Hotel kaufen, abreißen und durch Luxusappartements ersetzen. Das geht aber erst, wenn Frank Vrasdonk auszieht, und der will nicht. Luxusappartements findet er offenbar überflüssig, er möchte lieber das Monsmarem mit Hilfe von Freunden restaurieren und dann als Wohn- und Ausstellungshaus für Künstler nutzen. Eine wunderbare Idee, und er machte einen tapferen Anfang, drei Fensterbänke wurden frisch und himmelblau gestrichen.

So ist mein Leben im Traumhaus: Ich trinke in dem alten Aufenthaltsraum Kaffee, dann gehe ich in mein Zimmer und schreibe an meinem Buch, und zwischendurch schaue ich durch mein himmelblau umrandetes Fenster auf die Dorfstraße. Das Postamt ist auf der linken Seite, ich sehe, wenn die Post kommt, und mache eine Pause. Wenn Besuch kommt, dann eher von rechts, und wenn es der ist, auf den ich mich schon gefreut habe, laufe ich nach unten – und dann nehme ich den Besuch an der Hand und ziehe ihn um die Ecke, dorthin, wo es das beste Eis der Welt gibt.

Gabriele Haefs

Gabriele Haefs_Miguel FerrazGabriele Haefs (Wikipediaeintrag hier) ist Übersetzerin und Herland-Frau. Sie verteidigt das Wort. Und die Worte der Frauen.

*1953 in Wachtendonk, Studium in Bonn und Hamburg, Volkskunde, Sprachwissenschaft, Keltologie und Skandinavistik. Übersetzerin und literarische Gelegenheitsarbeiterin in Hamburg, mit vielen Abstechern nach anderswo. Frisch erschienen: dieses Buch! Lesereise Norwegen

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