Willkommen woanders
„Lesen heißt, die Welt erfahren – Kultur kennt keine Grenzen“, lautet ein Claim von Corso, „Die Welt will entdeckt werden“, lockt die Edition Erdmann. Beide Verlage erzählen mit ihren Büchern von den Abenteuern und Schönheiten der Ferne, der eine mit historischen Reiseberichten, der anderen mit literarischen Texten zur Welterfahrung. „Willkommen woanders“ steht auf manchen der Bücher, das Motto kann für sie alle gelten. Alf Mayer porträtiert die Verlage und ihren Verleger Lothar Wekel.
Sie sind ein gutes Bild, die wilden Papageien mit ihrem leuchtend grünen Gefieder im Biebricher Schlosspark, durch den Lothar Wekel jeden Morgen mit Verlagshund Alma seine Joggingrunden zieht. Einen großgewachsenen Mann wie ihn in die Nähe bunter Vögel zu rücken, das mag etwas schräg anmuten, aber sein in Wiesbaden nahe der Biebricher Allee in einer alten Villa beheimatetes Verlagshaus Römerweg ist tatsächlich eine ziemlich farbige Erscheinung in der deutschen Büchermacherlandschaft – eine wichtige Rolle dabei spielen Reisebücher.
Einen „Bücherversteher, geschickt und mutig, einer der Besten der Branche“ hat sein ehemaliger Chef Carel Halff ihn einmal genannt, damals Vorsitzender der Geschäftsführung von Weltbild. Lothar Wekel war dort Katalogchef, als das Unternehmen kometenhaft zu einem der größten Buchhändler Europas mit hunderten Filialen und einem Versandhandel aufstieg. Wekel, der in Bonn Germanistik und Geschichte studierte und bei Bouvier eine Ausbildung zum Buchhändler absolvierte, hatte einige Jahre für die auf Kunst und Kunstwissenschaft spezialisierte Buchhandlung Walther König und für Gondrom gearbeitet, ehe ihn die Verlagsgruppe Weltbild holte. Danach setzte er seine Karriere bei Heyne und im Club Bertelsmann fort, bis er sich im Jahr 2002 einen Traum erfüllte und sich als Verleger selbständig machte. Als „Verlagshaus Römerweg“ ist dieser Traum Wirklichkeit geworden. Und wir Leser und Buchliebhaber dürfen mitträumen.
Bücher, die schönste und interessanteste Ware der Welt
Es begann 2002 mit dem auf Judaika spezialisierten Wiesbadener Fourier Verlag mit angeschlossenem Großantiquariat. 2004 wurde der Marix Verlag gegründet, dessen Spezialität kultur- und geisteswissenschaftliche Themen sowie Klassiker der Weltliteratur und die populärwissenschaftliche Buchreihe „marixwissen“ sind. 2008 übernahm Lothar Wekel die – hier gleich näher vorgestellte – Edition Erdmann, die sich besonders um historische Reiseberichte kümmert. 2010 kamen der regional orientierte Verlag Waldemar Kramer und der 2010 in Hamburg gegründete Corso Verlag hinzu, der mit wunderschönen Reisebüchern Aufsehen erregt hatte. Die 2013 aus der Insolvenz dazu geholte Weimarer Verlagsgesellschaft bewegt sich in den Bereichen Philosophie und Kulturgeschichte. Im Juni 2014 fasste Lothar Wekel seine Verlage unter dem Dach „Verlagshaus Römerweg“ in Wiesbaden zusammen. Im Herbst 2014 übergab Gottfried Honnefelder, der frühere Vorsteher des Börsenvereins, seinen Verlag Berlin University Press (BUP) an Wekel. Sechs Säulen also hat sein Büchertempel.
„Das Verlagshaus Römerweg glaubt, dass Bücher, im Besonderen: schöne Bücher, die schönste und interessanteste Ware der Welt sind, von der Wissen, Aufklärung und Weltverständnis ebenso ausgehen wie Verzauberung und Verführung. Eine Verführung, der es selbst erlegen ist, aufgrund derer es tut, was es tut: Was als persönliche Leidenschaft begann, ist mittlerweile längst zum Beruf geworden, und so wurde aus der Lust am Sammeln von Büchern unterschiedlichster Couleur und Thematik, von Literatur der verschiedensten Art, ein eigenes Haus für eben solche Bücher“, heißt es auf der Verlagswebseite. Buchmarkt-Gründer Christian von Zittwitz hat aus eigener langer Bekanntschaft mit Lothar Wekel die Sachverhalte dieses Zitats anlässlich des 60. Geburtstags von Lothar Wekel im Frühjahr 2018 noch einmal öffentlich bekräftigt.
Lothar Wekel weiß: „Als kleiner Verlag muss man extrem überzeugen.“ Sein Rezept dafür heißt Qualität auf allen Ebenen. „IM HAUS DER SCHÖNEN BÜCHER“, verkündet der Verlagsauftritt im Internet. Die teils dezentral aufgestellten Römerweg-Verlage haben allesamt starke Profile und gefestigte, gut angenommene Programmlinien. Das Kernteam ist klein. Ein Dutzend Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter plus der Geschäftsführer – vier im Lektorat, vier im Vertrieb, zwei Grafik/Veranstaltung/Presse und die beiden anderen Verwaltung – bewältigen im Jahr 2018 rund 60 Novitäten. Besondere Erwähnung gebührt dabei Karina Bertagnolli als Verantwortliche für Gestaltung und ihrer Kollegin Anja Carrà: Buchcover, Vorschau, Magazine etc. und eben das Erscheinungsbild der allesamt begeisternd schön ausgestatteten, qualitativ hochwertigen Bücher.
Wenn Bücher sich behaupten sollen, lautet Lothar Wekels Devise, müssen sie gut umgesetzt, müssen sie ansprechend und dem Inhalt angemessen gestaltet sein. Die Formate und Ausstattungen reichen dabei von der französischen Broschur bis zur sorgfältig gebundenen Ausgabe, farbige Vorsatzpapiere obligatorisch, von der Kartonierung bis zur feinen Leinenausstattung, von der textkonzentrierten Aufmachung bis zum opulent ausgestatteten Bildband – je nach Verlag und Titel und je Inhalt und Ausrichtung eines Titels. Stolz übrigens heißt es: „Wir drucken ausschließlich in Deutschland.“
Seinen Qualitätsbegriff bezieht Lothar Wekel aber nicht nur auf die äußere Anmutung. Der Anspruch ist es, Bücher zu machen, von denen „Wissen, Aufklärung und Weltverständnis ebenso ausgehen wie Verzauberung oder Verführung“. Dabei geht es auch um die Art und Weise, wie der Text sich einem Thema nähert, sich mit ihm auseinander und es in Szene setzt. Gründlichkeit, Sorgfalt und Kreativität sind die Nährstoffe der in jeder Hinsicht anschaulichen Bücher aus dem Verlagshaus Römerweg. Das Lektorat spielt hier seine wichtige Rolle ebenso wie die Sorgfalt der Herausgeberschaft, Fachbetreuung und der Übersetzung. Als sich das Haus im Frühjahr 2018 für ein Salongespräch öffnete, war nicht von ungefähr das Arbeitsethos seiner Übersetzungen das Thema. Manche der Bücher, etwa Jacques Cartiers „Die Entdeckung Kanadas. 1534-1542“ mit seinem altertümlichen Französisch, stellen die Übersetzer vor ziemliche Schwierigkeiten. Die sechssprachige Alexandra Maria Linder und Niels-Arne Münch haben das in diesem Fall überzeugend bewältigt. Herausgeber Udo Sautter war als Historiker 30 Jahre an kanadischen Universitäten tätig, ehe ihn die Universität Tübingen auf die Professur für Nordamerikanische Geschichte berief, die er bis zu seiner Emeritierung 2003 inne hatte. Er ist ein ausgewiesener Fachmann zur Geschichte der USA und Kanadas. Die Editionsgeschichte dieses Bandes steht hier stellvertretend für den als Selbstverständlichkeit betriebenen editorischen Aufwand.
Die größte Sammlung alter Reiseberichte im deutschsprachigen Raum
„Die Welt will entdeckt werden“ lautet das Motto der Edition Erdmann, die in sorgfältig betreuten Ausgaben „Die 100 bedeutendsten Entdecker“ versammelt. Es ist die größte Sammlung alter Reiseberichte im deutschsprachigen Raum. Die nicht nur verdienstvolle, sondern auch enorm lesbare, augenweitende Reihe macht die originalen Reisebeschreibungen und Tagebuchnotizen zugänglich. Schiffbruch, Skorbut, Erfrierungen und Seeräuberei, Entbehrungen, Abenteuer und Gefahren, ganze Schatzkisten voller Geschichten sind hier versammelt; Grenzgänger, Seefahrer, Forscher, Pioniere und Abenteurer kann man hier hautnah erleben.
Ergänzt wird das mittlerweile von der Reihe „Die kühne Reisende“, herausgegeben von Susanne Gretter und 2017 mit dem ITB Book Award ausgezeichnet. Dazu gehören zum Beispiel:
– Isabelle Eberhardts algerisches Tagebuch „Nomadin war ich schon als Kind“, 1902;
– die Schottin Frances Calderón de la Barca und ihr „Viva Mexiko!“ im Wirbel der Revolution, 1839/40;
– Gertrude Bells Reise durch das alte Syrien: „Das Raunen und Tuscheln der Wüste“;
– Isabella Bird und ihr Ritt „Durch die Wildnis der Rocky Mountains“, 1854;
– die Engländerin Emily Lowe in Sizilien: „Palermo, oh Palermo!“, 1857;
– Maud Parrish, die ab 1895 „Mit leichtem Gepäck“ siebzehn Mal um die Welt reiste;
– Vita Sackville-West unterwegs nach Persien: „Bombay, Bagdad, Teheran“, 1926;
– Freya Stark „Auf der Weihrauchstraße“ im südlichen Arabien, 1934;
– Ethel B. Tweedie und ihr wilder Ritt durch Island: „Ins Land der Sagas und Geysire“, 1886;
– Edith Wharton „In Marokko“, im Herbst 1917.
Übersetzt von der großen Eva Moldenhauer gibt es jetzt im Herbst 2018 Alexandra David-Néels Nepal-Reise „Im Herzen des Himalaya“. Als Bettlerin verkleidet, von den Strapazen abgemagert, war sie die erste Europäerin, der es gelang, die verbotene Stadt Lhasa zu betreten. 1868 in Paris geboren, im Alter von 101 Jahren gestorben, war diese Forschungsreisende und Frauenrechtlerin eine international erfolgreiche Autorin von über 30 Büchern. Verheiratet, aber immer solo unterwegs, interessierte sie sich als junge Frau für den russischen Anarchisten Bakunin, später für Theosophie und Buddhismus, studierte als erste Frau an der Sorbonne und am Pariser Institut für orientalische Sprachen, debütierte 1895 erfolgreich als Opernsängerin in Hanoi. Den größten Teil ihres Lebens verbrachte sie in Asien. In Tibet wurde sie als erste Europäerin in den Stand eines Lama erhoben. Hundertjährig ließ sie sich noch einmal ihren Reisepass verlängern. Jetzt im Herbst erscheinen auch ihre Briefe aus Tibet: „Mein langer Weg in die verbotene Stadt“ sowie ihre Reisetagebücher in Briefen „Wanderin mit dem Wind“. Sie zeigen, meint Herausgeberin Susanne Gretter, „eine furchtlose Frau, die allen bewiesen hat, ‚was der Wille einer Frau vermag’“.
„Wenn schon sterben, dann ziehe ich die Straße vor, irgendwo in der Steppe, mit dem schönen Himmel über meinem Kopf …, statt in einem Zimmer von dem Bedauern getötet zu werden, nicht genug Mut gehabt zu haben“, schrieb sie im März 1920 aus dem chinesischen Kum-Bum an ihren Mann. – Sieben Textauszüge von kühnen weiblichen Reisenden finden Sie nebenan in diesem ReiseMag als Primärtext.
In alle Himmelsrichtungen, mit der Edition Erdmann
Die Entdeckerliteratur und historischen Reiseberichte der Edition Erdmann sind im Katalog nach Himmelrichtungen geordnet, je eine Handvoll Titel soll hier für einen ersten Eindruck genügen.
„Nach Süden. Afrika“ etwa geht es mit Johann Ludwig Burckhardt, dem ersten europäischen Forschungsreisenden am Oberlauf des Nils, zu seinen „Entdeckungen in Nubien“.
Gustav Nachtigal schildert in „Tibesti“ die Entdeckung des Riesenkraters und die Erstdurchquerung des Sudan;
Karl Mauch berichtet von „Reisen im Inneren von Süd-Afrika“;
Mungo Park von „Reisen ins innerste Afrika“;
Georg Schweinfurth war „Im Herzen von Afrika“; und natürlich fehlt hier nicht
Henry M. Stanley „Wie ich Livingstone fand“.
Die Abteilung „Nach Süden. Australien und Neuseeland“ bietet zum Beispiel:
Matthew Flinders „Die Entdeckungsreise nach Australien“;
James Cook „Entdeckungsfahrten im Pazifik“;
William Bligh „Die Reise der Bounty in die Südsee“; und natürlich auch
Ludwig Leichhardt „Die erste Durchquerung Australiens“ (die den Nobel-Literaten Patrick White zu seinem großen Roman „Voss“ inspiriert hat).
„Nach Osten“ führen uns:
Marco Polo „Beschreibung der Welt“;
Sven Hedin „Trans-Himalaja“/ „Durch Asiens Wüsten“/ „Abenteuer in Tibet“;
Mark Twain „Meine Weltreise nach Indien“;
Vasco da Gama „Die Entdeckung des Seewegs nach Indien“;
Alexander von Humboldt „Reise durchs Baltikum nach Russland und Sibirien“;
Alfred Russel Wallace „Der maliiische Archipel“ u.v.a.
„Nach Westen. Nordamerika“ geht es mit:
Geoge Catlin „Die Indianer Nordamerikas“;
Jedediah Smith „Durch Amerikas Südwesten“;
John Wesley Powell „Die Erforschung des Colorado Rivers und des Grand Canyons“;
Jacques Cartier „Die Entdeckung Kanadas“.
„Nach Westen. Südamerika“ führen:
„Das Bordbuch“ des Christoph Kolumbus;
Amerigo Vespucci „Neue Welt. Mundus Novus“;
Hernán Cortés „Die Eroberung Mexikos“;
Alexander von Humboldt „Amerikanische Reise“.
„Nach Norden“ reist man mit:
Fritjof Nansen „Auf Schneeschuhen durch Grönland“/ „In Nacht und Eis“;
Roald Amundsen „Nordwest-Passage“/ „Die Eroberung des Südpols“;
Richard Evelyn Byrd „Flieger über dem sechsten Erdteil“;
Ernest Henry Shakleton „Südwärts“;
John Franklin „Ins Arktische Amerika“.
Nach „Europa und rund um die Welt“ kommt man mit:
Charles Darwin „Reise um die Welt“;
Antonio Pigafetta „Mit Magellan um die Erde“;
Ibn Battuta „Reisen ans Ende der Welt“, und last but not least:
Sir Francis Drake „Pirat im Dienst der Queen“.
„Durch das Medium der Literatur die Völker einander näherzubringen und Vorurteile abzubauen … und den Gesichtskreis in einem weltumspannenden Sinn zu erweitern“, das war 1956 das Gründungsversprechen der als „Verlag für Internationalen Kulturaustausch“ in Berlin gegründeten heutigen Edition Erdmann. Der Verleger Horst Erdmann hatte eine, gelinde gesagt, höchst interessante Biografie, die es sich nachzulesen lohnt. Der Verlag zog bald nach Bad Herrenalb (Schwarzwald) um, dann nach Tübingen, später nach Lenningen, kam beim Stuttgarter Verlagshaus K. Thienemann unter, ging dann an Bonnier, wurde 2003 von Jörg Weitbrecht neu aufgestellt. Bereits 1976 bis 1986 erschien eine zehnbändige Bibliothek arabischer Klassiker. Hier eine alphabetische, nicht aktuelle Titelliste.
Corso: Wunderschöne Bände am laufenden Band
Literatur und Reisen als „Welterfahrung und Herzensbildung“ sind das Programmversprechen des 2010 vom vielfach preisgekrönten Buch- und Mediengestalter Rainer Groothuis in Hamburg gegründete Corso Verlages, der seit 2014 zu Lothar Wekels Verlagshaus gehört. Man ist versucht zu sagen: In diesem Verlag gibt es NUR schöne Bücher. Zum Bestseller geworden – und ein Verlag braucht so etwas – ist dieses Jahr die fulminant ausgestattete literarische Rhein-Reise „Alles fließt. Der Rhein. Eine Reise | Bilder | Geschichten“ von Elke Heidenreich und Tom Krausz.
„Ein Traum von Paris“ von Georg Stefan Troller überraschte jüngst mit frühen Texten und Fotografien des 96-jährigen Dokumentarfilmers, Regisseurs und Autors. Troller glaubte, die Fotos aus den 1950er Jahren verloren zu haben – bis sie von seiner Tochter in einem Umschlag unter dem Bett gefunden wurden. Bei Corso ist daraus ein wunderschönes Buch geworden.
Welterfahrung, das ist in diesem Verlag zum Beispiel Nele Gülcks und Nikolai Antoniadis Reportagenbuch „Das helle Herz des Balkans. Geschichten zwischen Adria und Istanbul“, hier gelingt die perfekte Balance zwischen Text und Bild. Den Band „Russland. Menschen und Orte in einem fast unbekannten Land“ der Autorinnen Jessisca Schober und Wlada Kolosowa halte ich für eines der besten und anschaulichsten Bücher über das Land. Auch „Tel Aviv“, „Apulien“ oder „Tula“, um nur einige der Corso-Bände zu nennen, sind sehr gelungen. Ein „Magazin in bester Buchform“, eine Feier von Haptik und Körperlichkeit, das ist die Reihe CORSOfolio, herausgegeben von renommierten Autoren als Gastgeber. Mit Martin Mosebach und „Rom“ wurde begonnen, einzelne Weltstädte literarisch und mit erzählenden journalistischen Formen zu porträtieren. London, Paris, Wien, Barcelona, Kopenhagen, Venedig, London sind gefolgt; das Komma nach dem Titelwort, wie etwa hier bei „London,“ ist zum Markenzeichen geworden.
2017 erschien der Roman „Die Freuden des Teufels“ des litauischen, in Israel lebenden Autors Grigori Kanowitsch. Insgesamt gab es zum Gastland der Leipziger Buchmesse bei Corso gleich fünf Neuerscheinungen. Unverzichtbar geworden ist die traumschön ausgestattete Pasolini Werkausgabe, zu einem weiteren Schwerpunkt hat sich die Neuentdeckung des reisenden Italieners Edmondo de Amicis (1846–1908) entwickelt. Spannend sein „Marokko“, „Paris“, „Istanbul“ und sein „Indien“, beeindruckend – und betörend schön ausgestattet – sein „Auf dem Meer“, Bordtagebücher, die von den großen Bewegungen des 19. Jahrhunderts erzählen, von Bewegungen, die wir fast vergessen haben. Wunderschön auch der Band „Vollkommene Räume: Orte der Harmonie und ihre Geschichte“ von Karen Michels.
.. vom Paradies erzählen lassen
Einer meiner Schätze zuhause im Regal ist der Prachtband „Mallorca. Die schönste Insel der Balearen, geschildert in Wort und Bild“ von Ludwig Salvator Erzherzog von Österreich-Toskana. Auf schmeichlerischem Papier gedruckt, edel gestaltet, mit den wunderschönen Aquarellen der Originalausgabe versehen, ein Traum von einem Buch, mit großer Hingabe und Aufmerksamkeit verfasst, zwischen 1870 und 1890 entstanden. Der unkonventionelle Ludwig Salvator (1847 bis 1915) war ein Weltenbummler und Forscher, schrieb weit über 50 Bücher, in denen er seinen Lesern die Schönheit der Welt nahezubringen suchte. Der Weltausstellung wegen reiste er zum Beispiel nach Melbourne; aus einem dreiwöchigen Abstecher nach Tasmanien entstand das exzellente Stadtporträt „Hobarttown“. Seinem engen Freund Jules Verne diente der „Archiduque“ als Vorlage für den Helden in „Matthias Sandorf“ (1885).
Von seiner Lieblingsinsel Mallorca aus erforschte Ludwig – im besten Humboldt’schen Sinne – den ganzen Mittelmeerraum. Das siebenbändige, rund 6000 Seiten umfassende Monumentalwerk „Die Balearen. In Wort und Bild geschildert“ erschien zwischen 1869 und 1891. Für die ersten beiden Bände erhielt er auf der Pariser Weltausstellung 1878 die Goldmedaille. Das hier vorliegende Werk speist sich aus diesen Bänden, die erzherzoglichen Texte sind vergnüglich zu lesen. Ludwig beschreibt die geographischen Verhältnisse, Klima, Fauna und Flora, Meteorologie, Geschichte, Volkskunde, Architektur, Landschaften und Bevölkerung, ihre Nahrung, Kleidung, Lieder und Gedichte, Spiele und Gebräuche, Weinbau, Viehzucht, Jagd und Fischerei, Schifffahrt und Schiffbau, Industrie und Handel, das Verkehrswesen, Behörden und Abgaben. Ludwig mochte besonders den Westen der Insel, er erwarb die Küstenstraße und viel Land zwischen Valldemossa und Deià, stattete sie mit heute noch genutzten Aussichtspunkten aus, „Miradores“ genannt. In seinem Landhaus S’Estaca wohnt heute der Hollywoodstar Michael Douglas, der ein großer Verehrer des Erzherzogs und seiner Forschungen ist.

„Viel flaniert, gelesen, gesehen, gelebt“
Auf CulturMag besprochen habe ich 2017 einen weiteren Corso-Band, nämlich „Gefangen.Leben und Hoffen hinter Gittern. Eine literarische Inventur aus drei Jahrhunderten“ von Stefan Geyer und Lothar Wekel. Und zu meinen neuen Schätzen gehören Mary Shelleys zweibändige „Streifzüge durch Deutschland und Italien“, eine Feier von Buchkunst, Haptik, Bild- und Textdramaturgie und kluger Herausgeberschaft. Siehe dazu auch die Primärtext-Auszüge nebenan in diesem ReiseMag.
Als ich mich per Mail mit Lothar Wekel über die Halsbandsittiche und die etwas größeren Alexandersittiche im Schlosspark Biebrich austauschte, antwortete er unterem so:
„… dies ergäbe eine schöne Geschichte: Den Papageien Namen verleihen und diese dann von dem Paradies erzählen lassen, in dem sie sich bewegen können – da vor allem dem Park angrenzend aufgelassene Gärtnereien und Kleingartenanlagen bestehen, die ganzjährig zum Schlemmen einladen … wo hingegen der gemeine Wiesbadener lediglich mit den Füßen die Früchte tritt. Während des Laufs gestern früh lagen Blätter und aufgehackte Früchte auf den Parkwegen, und Horden der feinen kleinen Grüngefiederten gaben ihr Stakkato …“
Freuen kann man sich im Herbstprogramm der Römerweg-Verlage zum Beispiel auf:
– die in Finnland geborene Schwedin Fredrika Bremer und ihr „Unter blühenden Alleen. Reisen durch Deutschland und die Schweiz“ aus den Jahren 1821, 1832, 1846 und 1862;
– auf die Amerikanerin Margaret Fuller „Sommer über den Seen. Eine amerikanische Reise 1843“, über das Edgar Allan Poe sagte: „Miss Fullers Stil ist einer der besten, der mir je begegnet ist.“
– Als Sonderausgabe und im Erscheinungsbild neu komponiert, erscheint anlässlich seines 200. Geburtstags John Ruskins großes Standardwerk „Die Steine von Venedig“.
– Mit über 300 Abbildungen wartet die erste Bild-Biografie des Harry Graf Kessler auf: „Viel flaniert, gelesen, gesehen, gelebt“.
Dieser Titel fasst knapp und bündig die Leseerfahrungen, die man mit den Verlagen Corso und Edition Erdmann machen kann. Chapeau!
Alf Mayer
Journalist & Literaturkritiker, Autor des Ed McBain-Readers „Cops in the City“ (zusammen mit Frank Göhre) und CrimeMag-Redakteur, lebt in Bad Soden am Taunus. Seine CulturMag-Texte hier.