Geschrieben am 21. Juli 2018 von für Bildband, Litmag, ReiseMag 2018, Specials

Reise zu den schönsten Bibliotheken der Welt

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Die Klosterbibliothek Wiblingen, nahe Ulm – Foto: Massimo Listri

Paradies-Tour für Bücherfreunde

Im XL-Format führt ein opulenter Bildband durch die schönsten alten Bibliotheken der Welt. Alf Mayer hatte Gelegenheit, sich ein Vorexemplar anzusehen.

In diesem Buch kann man sich verlieren. Es ist passend, dass der Mann, der für dieses teuflisch verführerische Prachtbuch indirekt das Samenkorn legte, in Fontanellato nahe Parma in jahrelanger Arbeit das weltgrößte Labyrinth gebaut hat, von dem er bereits seit seiner Kindheit träumte: im Museumsareal La Masone. Der Verleger und Designer Franco Maria Ricci, besonders durch seine ab 1982 xl-listri_libraries-cover_05763erscheinende Kunstzeitschrift FMR bekannt geworden, war der erste große Arbeitgeber des 1953 geborenen Fotografen Massimo Listri. Bei ihm konnte er seine große Fotoreportagen über prachtvolle Paläste, ungewöhnliche Villen und historische Bauwerke aller Zeiten realisieren. Über 70 Fotobände hat Massimo Listri bis heute veröffentlicht. Ein Blick auf seine Internetseite lohnt sich.

Prachtbände waren dem heute im verlegerischen Ruhestand befindlichen FMR nicht fremd. „Die schönsten Bibliotheken der Welt“ aber hätten auch ihn umgehauen. Schwer und groß wie ein mittelalterlicher Foliant, in bester Qualität auf kräftigem Papier gedruckt (in Italien), ist der großformatige Bildband ein Monument der Ehrerbietung  und Wertschätzung für Bücher und ihre Sammelstätten, ein klassisches Qualitätsprodukt des Hauses Benedikt Taschen, mustergültig im Verhältnis von Preis und Leistung. Sagen wir es ehrlich: für Bücherfreunde ein fetischwürdiges Objekt.

Es ist eine Reise durch die Kathedralen der Bücher, durch prachtvolle, oft mehrstöckige Säle, die meisten zwischen dem 15. und 19. Jahrhundert erbaut. Viel Barock und Rokoko also. Massimo Listri hat es zur Meisterschaft entwickelt, solche Feierstunden der Ästhetik auf Fotos zu bannen. Das Buch ist die Frucht jahre-, ja jahrzehntelanger Beschäftigung. Fast muss man fürchten, Angesichts so viel Schönheit zu erblinden. In dieses Buch kann man immer wieder eintauchen.

Das Cover zeigt den prächtigen Schauraum der Klosterbibliothek Wiblingen nahe Ulm – eines der bedeutendsten Zeugnisse des südwestdeutschen Rokoko, erbaut zwischen 1740 und 1750, nach Plänen von Christian Wiedemann, illusionistische Deckenmalerei von Franz Martin Kuen.  „In quo omnes thesauri sapientiae & scientiae“ steht dort über dem Portal. „Alle Schätze der Weisheit und der Wissenschaft“ seien hier verfügbar. 15.000 Bücher umfasste die Bibliothek vor der Säkularisation von 1806.

„… den Musen als Palast“

Beim Studieren dieses Buches wurde mir wieder klar, in welch schöner Umgebung ich doch aufgewachsen bin. Gleich vier wahnwitzige Klosterbibliotheken aus der Nähe meines Geburtsortes im Unterallgäu finden sich in dem Band: OttobeurenSchussenried, Wiblingen und die 1983 zum UNESCO-Weltkulturerbe erhobene Stiftbibliothek St. Gallen auch nicht weit. Schwäbischer und Voralberger Barock und Rokoko. Schwelgen im Glück. 

St. Gallen, eines der bedeutendsten und gelehrsamsten Klöster des Abendlandes, erlebte seine erste Blüte bereits im 9. Jahrhundert. „Heilstätte der Seele“ verkündet das Portal der Bibliothek. Im Chorherrenstift der Prämonstratenser in Schussenried verfügt der von Dominikus Zimmermann (1685-1766) entworfene Bibliothekssaal über eine eingebaute Orgel inmitten der Bücher – für Musikaufführungen. Die Fresken stammen von Franz Georg Hermann (1692-1768). Der Buchbestand einst rund 15.000 Bände. Dieses Volumen hatte auch der Bestand in Ottobeuren, die Bücher dort allesamt in weißes Schweinsleder gebunden. Die ehemalige Reichsabtei wurde 764 gegründet, verfügte über eine eigene Schreib- und Malschule. Die Deckenfresken im barocken Büchersaal stammen von Elias Zobel (1677-1718). „Den Musen als Palast, der Religion als Bollwerk und sich selbst als Denkmal“, so segnete Abt Rupert das grandiose Bauwerk im Jahre 1718 ein, es wird auch als „schwäbischer Escorial“ bezeichnet. (Auf der Dreifaltigkeitsorgel der Basilika übrigens improvisierte Keith Jarrett 1976 seine „Hymnes/ Spheres„.)

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Biblioteca di Ottobeuren in Germania

Stiftsbibliothek St. Gallen, Stiftsbibliothek Kremsmünster, Klosterbibliothek Ottobeuren (von oben nach unten) – Fotos: Massimo Listri

Vier Fotodoppelseiten führen in das Buch, öffnen sozusagen die Flügeltüren in all die großartigen Säle und Kathedralen des Geistes. In das magische Reich der Bücher.

Georg Ruppelt, der langjährige Leiter der Gottfried Wilhelm Leibniz Bibliothek in Hannover, Autor von mehr als 400 Aufsätzen und 40 Monographien zum Buch- und Bibliothekswesen, gibt eine umfassende Einführung, nennt in seinem Essay Bibliotheken das „Gedächtnis der Welt“. Vier umfangreiche Bildkapitel führen dann nach Südeuropa (Italien, Spanien, Portugal), West- und Nordeuropa (Irland, England, Frankreich, die Niederlande, Schweden), Mitteleuropa (Deutschland, Schweiz, Österreich, Tschechoslowakei) und Amerika (USA, Mexiko, Brasilien, Peru). 

Jeweils am Ende der opulenten Bildstrecken porträtiert die Kunst- und Architekturhistorikerin Elisabeth Sladek die zuvor so großzügig in großformatigen Fotos ausgebreiteten Bibliotheken in jeweils sehr kundigen Miniaturen. Beschrieben werden Entstehung, Architektur und die oft wechselvolle Vergangenheit der vorgestellten Bibliotheken – „wohlangelegte Gärten, wo uns bei jedem Schritt neue Blumen aufsprießen, die die Gegend verschönern und das Vergnügen von sich duften“, meinte der Pädagoge Johann Christoph Stockhausen im Jahr 1771. Casanova verglich seinen Aufenthalt 1764 in der Wolfenbüttler Bibliothek mit dem Leben der Seligen.

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Biblioteca Statale Oratoriana die Girolamini, Neapel – Foto: Massimo Listri

Hier die Reiseroute, die das Buch nimmt

Biblioteca di Palazzo Guicciardini, Florenz
Biblioteca Apostolica Vaticana 
Biblioteca Malatstiana, Cesena
Biblioteca Clasense, Ravenna
Biblioteca Medicea Laurenziana, Florenz
Biblioteca Nazionale Marciana, Venedig
Biblioteca dell’ Academia della Crusca, Florenz
Biblioteca Statale Oratoriana die Girolamini, Neapel
Biblioteca Riccardiana, Florenz
Biblioteca Angelica, Rom
Biblioteca Civica Gambalunga, Rimini
Biblioteca Civica „Romolo Spezioli“, Fermo
Biblioteca Casantese, Rom
Biblioteca Comunale di Imola
Biblioteca Palatina, Parma
Biblioteca Nazionale Braidense, Mailand
Biblioteca Nazionale di Napoli „Vittorio Emmanuele III“

Real Biblioteca del Monasterio de San Lorenzo de El Escorial, Madrid
Archiva General de Indias, Sevilla
Biblioteca Joanina, Coimbra
Biblioteca do Convento de Mafra

Trinity College Library, Dublin
Marsh’s Library, Dublin
The Codrington Library, Oxford
Eastnor Castle Library, Heresfordshire
Bibliothèque Sainte-Geneviève, Paris
Bibliothèque Mazarine, Paris
Bibliothèque Charles de Beistegui, Château de Groussay Montfort-l’Amaury

Bibliothèque du Château de Chantilly
Bibliothèque Paul Marmottan, Boulogne-Billancourt
Rijksmuseum Research Library, Amsterdam
Skoklosters Slotts Bibliotek, Skokloster

Klosterbibliothek Ottobeuren
Klosterbibliothek Metten
Klosterbibliothek Wiblingen
Fürst Thurn und Taxis Hofbibliothek und Zentralarchiv, Regensburg
Stiftsbibliothek Waldsassen
Bibliothekssaal Kloster Schussenried
Klosterbibliothek Fürstenzell
Herzogin Amalia Bibliothek, Weimar
Stiftsbibliothek Sankt Gallen
Stiftsbibliothek Kremsmünster
Stiftsbibliothek Admont
Stiftsbibliothek Melk
Stiftsbibliothek Seitenstetten
Stiftsbibliothek Zwettl
Österreichische Nationalbibliothek, Wien
Universitätsbibliothek der Akademie der bildenden Künste, Wien
Strahovská Knihovna, Prag
Knihovna Kláštera Augustiniánu sv. Tomáše, Prag

The Morgan Library, New York
Biblioteca Palafoxiana, Puebla
Real Gabinet Português de Leitura, Rio de Janeiro 
Biblioteca del Convento de Santo Domingo, Lima
Biblioteca del Convento de San Francisco de Asís, Lima

Ein nützliches Register verzeichnet die Adressen, Öffnungszeiten und Internetauftritte all dieser Bibliotheken. In einer noch perfekteren Welt lägen dieses Informationen dem Buch zusätzlich als Faltblatt bei, damit man damit arbeiten und Reiseabstecher planen könnte …

Eines jedoch ist schlüssig, nach diesem Buch; man muss ihm zustimmen: „Ich habe mir das Paradies immer als eine Art Bibliothek vorgestellt“, sagt der Schriftsteller und Bibliothekar Jorge Luis Borges (1899 – 1986) in „Die letzte Reise des Odysseus“.

„Siempre imaginé que el Paraíso sería algún tipo de biblioteca.“

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Biblioteca do Convento de Mafra (im Buch). Und ab hier in der Reihenfolge nach unten: Klosterbibliothek Metten, Biblioteca Civica „Romolo Spezioli“, Fermo, Real Biblioteca del Monasterio de San Lorenzo de El Escorial, Madrid, Strahovská Knihovna, Prag – Fotos: Massimo Listri

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Massimo Listri: Die schönsten Bibliotheken der Welt. Text von Georg Ruppelt und Elisabeth Sladek. Mehrsprachige Ausgabe: Deutsch, Englisch, Französisch. Verlag Benedikt Taschen, Köln 2018. Hardcover, Format 29 x 39,5 cm, 560 Seiten, 150 Euro. Verfügbarkeit: August 2018. Verlagsinformationen.

(c) Alle Fotos: Massimo Listri /Verlag Benedikt Taschen. Mit freundlicher Erlaubnis.

Alf Mayer ist Journalist & Literaturkritiker, Autor des Ed McBain-Readers „Cops in the City“ (zusammen mit Frank Göhre) und CrimeMag-Redakteur, lebt in Bad Soden am Taunus. Seine CulturMag-Texte hier.

 

 

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