Geschrieben am 4. März 2019 von für Crimemag, CrimeMag März 2019

Fatih Akin „Der Goldene Handschuh“

Empörung oder: Die Hässlichkeit des Tötens

Sonja Hartl über einen umstrittenen Film

Manchmal ist die Rezeption eines Films ebenso interessant wie der Film an sich: Als bei der diesjährigen Berlinale Fatih Akins „Der Goldene Handschuh“ uraufgeführt wurde, fand der Film unter den anwesenden KritikerInnen mehrheitlich keine Zustimmung: eklig sei er, war zu lesen, das Buch sei ja viel besser. Nun ist „das Buch ist besser“ kein Bewertungskriterium für einen Film. Mal abgesehen davon, dass es zwei verschiedene Medien sind, sagt dieser Satz nichts über den Film an sich aus, über seine Ästhetik oder seine Konzeption. Es ist vielmehr ein bequemes Argument, das eine Auseinandersetzung mit dem Film vermeidet. 

Dazu kamen aber noch weitere Reaktionen auf diesen Film, die vor allem von Empörung gekennzeichnet waren – oftmals von Personen, die den Film zu diesem Zeitpunkt noch gar nicht gesehen haben. Empörung, dass ein Film über einen Frauenmörder gezeigt wurde. Nun würde ich niemals sagen, dass man sich diesen Film unbedingt ansehen muss, dass man sich dieser Geschichte aussetzen sollte. Es gibt zu viel Gewalt gegen Frauen auf Leinwand, Bildschirm und in Büchern. Aber allein aufgrund der Geschichte, des Trailers und einer Interviewaussage von Fatih Akin ein Urteil über diesen Film zu fällen, das über eine grundsätzliche Ablehnung dieser Geschichte hinausgeht, zeugt von einem einfachen Empörungsreflex.

Und dieser Film hätte es verdient, das man über ihn streitet. Denn Akins Adaption setzt einen klaren Gegenpunkt zu der Verbrechensromantik, die man von vielen Orten und zu vielen Serienmördern kennt. Oftmals sind die Täter irgendwie charismatisch, klug oder wenigstens gerissen. Fritz Honka (Jonas Dassler), der zwischen 1970 und 1975 in seiner Wohnung in Hamburg-Ottensen wenigstens vier Frauen ermordet hat, ist das nicht. Er ist hässlich, hat abstoßende Zähne, fettige Haare, hinkt, wird schnell wütend. Aber er hat einen Job, daher Geld und kann Alkohol kaufen. Die Frauen, die mit ihm in die Wohnung gehen, sind meist über 50 Jahre alt, offensichtlich verlebt, sie sind dick, teilnahmslos, Gelegenheitsprostituierte, Stadtstreicherinnen, die nicht vermisst werden – und für ein alkoholisches Getränk schon einmal mit einem Mann mitgehen und so manches über sich ergehen lassen. Es ist eine erschütternde Passivität, die aber zugleich sehr viel über das bisherige Leben dieser Frauen aussagt.

„Der Goldene Handschuh“ setzt unmittelbar nach der ersten Tat ein. Die Leiche einer Frau liegt in Honkas Wohnung, aber sie ist zu schwer, um sie zu tragen, also muss Honka sie zerteilen. Auf dem Boden liegt da diese tote Frau, Honka zieht sie aus, trinkt sich mehrfach Mut an, legt Adamos „Es geht eine Träne auf Reisen“ auf – und wenn er die Säge ansetzt, dann ist nicht zu sehen, dass er ihr den Kopf absägt. Aber es ist zu hören. Ein saftiges, knackendes Geräusch, das sich unerbittlich in die eigenen Eingeweide einfrisst. Und dessen musikalische Untermalung die Grausamkeit nur noch unterstreicht, nicht ironisch kommentiert. 

Es ist nicht die schlimmste Szene des Films, die folgt erst später, wenn Honka eine Frau erwürgt. Akin hat nicht vor, hier irgendetwas zu beschönigen, deshalb sieht man diesen Todeskampf der Frau, hört ihr Würgen, sieht, das ihr Schließmuskel versagt hat – und es ist beinahe unerträglich. Aber Serienmorde sind unerträglich. Sie sind brutal. Ihnen haftet nichts Glamouröses an, sondern sie erfordern auch körperliche Kraft – und endlich zeigt das einmal ein Film, ohne zum Gewaltporno zu verkommen oder von sich zu behaupten, die Realität abzubilden. „Der Goldene Handschuh“ nutzt genuin filmische Mittel dafür: Oftmals sieht man Honka bei den Gewaltszenen von hinten, sein Körper verdeckt, was er tut, aber man hört es. Die Gewalt entsteht im Kopf des Zuschauers. Und zwar unmittelbar: Wenn Honka das Versteck der Leichen öffnet und zu würgen beginnt, ist der Würgereiz da. 

Akin erzählt in seinem Film von abstoßenden Menschen, aber er blickt auf sie nicht mit Verachtung, Zynismus oder Ironie. Stattdessen zeigt sich gerade in den Sequenzen in „Zum Goldenen Handschuh“ eine Liebeswürdigkeit, nur sind die Gäste dort nicht liebenswürdig. Sie sind alles andere als funktionale Alkoholiker, sie sehen eben nicht aus wie Emily Blunt in Girl on a train oder Nicolas Cage und Elizabeth Shue in Leaving Las Vegas; sie sehen nicht aus wie Charlize Theron in Dark Places – oder Christian Bale in Psycho. Sie sind dick, haben Tränensäcke, schlechte Haut, dreckige Fingernägel, fettige Haare, braune Zähne, schlechtsitzende Klamotten; sie lallen, reden dummes Zeug. Aber wenn dann im „Goldenen Handschuh“ Heintje gespielt wird, spürt man die Sehnsucht, die in allen noch steckt, die Traurigkeit des Wissens, dass sie vielleicht einmal mehr wollten, als bis zum nächsten alkoholischen Getränk zu kommen. Außerhalb des Kinos würde das kaum jemand bemerken, man würde diese Menschen nicht bemerken, nicht bewusst hinsehen. Es ist einfach, mit individuellen Figuren in Filmen Mitleid zu haben – aber mit dem offensichtlich Betrunkenen, der jede Woche in der Kneipe am Eck sitzt, haben das nur wenige. 

Es sei denn, sie werden zu Kuriositäten. Einmal sitzt ein bürgerliches Paar im „Goldenen Handschuh“, offenbar will es einmal etwas „erleben“ – und lässt sich von dem freundlichen Wirt erklären, was es denn mit den Spitznamen auf sich hat. Die Angesehenen haben einen Doppelnamen: Tampon-Günther zum Beispiel. Oder Doornkaat-Max. Oder Soldaten Norbert. Natürlich ist das lustig, natürlich ist das eine hübsche Anekdote, die auch in diesem Film für Erleichterung sorgt und die das Ehepaar dann zu Hause an der bundesrepublikanischen Kaffeetafel der 1970er Jahre erzählen kann. Aber das Leben dieser Menschen bleibt dennoch hart – und dem Film gelingt es, sie gerade nicht der Lächerlichkeit preiszugeben, obwohl sie – insbesondere Honka – haarscharf auf der Grenze zur Karikatur sind.

Es ist der Blick, der diesen Film auszeichnet. Das zeigt sich bei Honka, im „Zum goldenen Handschuh“, aber auch im Produktionsdesign, das herrlich schäbig und verranzt ist, da wird der Dreck auf der Straße endlich mal im Kino sichtbar. Auch so waren die 1970er Jahre in der Bundesrepublik. Aus dem Radio kommen Schlager, gefeiert wird mit Astra, Korn und Doornkat und einer Tüte Chips. Das Wirtschaftswunder hat nicht alle mitgenommen, aber viele haben noch ganz kleinbürgerliche Träume: eine Wohnung, eine Beziehung. Die Erwachsenen haben den Krieg noch miterlebt, sie sind traumatisiert und am Rand der Gesellschaft gelandet. Doch in Vorstädten träumen die Jugendlichen schon von einem aufregenden Leben. Auch das ist eine schöne Gegengeschichte in diesem Film: Der Junge, der dem Mädchen seiner Träume zeigen will, wie weltmännisch er denn ist und sie mit in den Goldenen Handschuh nimmt. Nicht nur sind sie aufgrund ihres Alters völlig fehl am Platze, er verkennt auch die Gefahr dieses Ortes – und das wird nicht für beide gut ausgehen.

Akin macht in seinem Film allzu deutlich, dass er gerade nicht einen Serienmörder glorifizieren will oder die Opfer aus den Augen verliert. Und deshalb ist „Der goldene Handschuh“ ein interessanter Beitrag zu einem Genre, das sich allzu oft in reinen Schauwerten verliert.  

Sonja Hartl

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