Munk presents Teutonik Disaster (Toy Tonics)

Vor ein paar Monaten erschien die Strut-Compilation „Kreaturen der Nacht“ mit Dancehits der NDW-und Postpunk-Ära, wir berichteten (http://culturmag.de/musik/kreaturen-der-nacht-sowas-von-egal/113971). Im Zuge der Rezeption erinnerten sich einige an den inzwischen legendären (und teuer gehandelten) Sampler „Teutonik Disaster“, veröffentlicht 2002/03 in zwei Editionen auf dem Gomma-Label. Darauf befanden sich skurrile Stücke aus den späten Siebzigern bis frühen Achtzigern von kurzlebigen, längst vergessenen Bands wie The Tanzdiele (mit Piet Klocke!), Scala, Carmen oder Camilla Motor – die Geisterfahrer und Mythen in Tüten sind noch die bekanntesten Namen. Auffälliges und vereinendes Merkmal dieser Songs, die niemals von Dieter Thomas Heck präsentiert wurden, war ihre Tanzbarkeit, musste diese angesichts der eckigen, teutonik-funky Rhythmik auch hart erarbeitet werden. Jetzt haben sich Mathias Munk Modica und DJ Kapote vom Label Toy Tonics (sic!) dieser Compilations angenommen, acht Tracks ausgewählt und geremixt: The Tanzdieles „Musik Musik Musik“ ist nicht dabei, dafür Perlen wie der bewusst gelangweilt vorgetragene „Alltag“ von BBB („Montag, Dienstag, Mittwoch… Feiertag“), Exkurs‘ aufrührerisches „Fakten sind Terror“, „Schlaraffenland“ von Carmen oder das lyrisch fragwürdige Stück „Frauenkörper“ von Die Chefs. Die Tracks wurden behutsam „gereworkt“, also klanglich aufpoliert, gestreckt und mit zum Teil enormen Bässen unterlegt, die man 1980 noch nicht erahnen konnte. Das Ergebnis ist ein herrlich freakiger Hybrid aus teutonischem New-Wave-Verständnis und jetztzeitiger Dancefloor-Expertise. Im besten Sinne anachronistisch, ein Schritt zurück und zwei nach vorn.

Too Slow To Disco Neo En France(How Do You Are? / City Slang)
DJ Marcus Liesenfelds Reihe “Too Slow to Disco” geht in die sechste Runde: Ganz offensichtlich hat die compilation series of Late 70s Westcoast Yachtpop you can almost dance to einen Nerv getroffen, der mehr bedeutet als rein ironisches Gutfinden von… ja, was eigentlich? Die bisherigen fünf Ausgaben von TSTD versammelten sanften Disco- , Soul- und Softrocksound der siebziger Jahre (also nicht Retro, sondern Vintage) von Leuten wie Carly Simon, Hall & Oates, Carole King, den Doobie Brothers, oder wie bei der letzten Nummer brasilianische Dancemusic, zusammengestellt von Gastkurator Ed Motta. TSTD Vol. 6 wendet sich erneut nach Westen, aber auf dem hiesigen Kontinent: NEO – En France präsentiert ganze siebzehn französische Popsongs, alle höchstens vier Jahre alt. Eine buchstäblich naheliegende Entscheidung, schließlich ist French Pop ist ein ganz eigenes Kapitel, bei dem es beinah unmöglich ist, den Überblick zu behalten – Marcus Liesenfelds Compilerhändchen kann man aber uneingeschränkt vertrauen. Vom ätherischen Schmachtfetzen bis zu clubbig groovendem Elektro ist einiges dabei, zu dem man gepflegt von den Cocktails auf die Tanzfläche wechseln kann: Das hierzulande inzwischen sehr populäre Duo Polo & Pan zum Beispiel mit „Pays Imaginaire“, Super-Producer Bertrand Burgalat (Nick Cave, Supergrass, Depeche Mode) im Kombipack mit Liesenfeld himself alias DJ Supermarkt, die Band L’Impératrice oder Cléa Vincent, die letztes Jahr mit ihrer Coverversion von Ace of Base‘ „All that she wants“ Furore machte – auf TSTD En France ist sie selbstverständlich mit einem eigenen Stück vertreten („Retiens Mon Désir“). Wie üblich erscheint die Compilation mit ausführlichen Linernotes, die interessante Details über die KünstlerInnen verraten. Vinyl-Edition in fruchtigem Pink – que veut-on de plus?
Video Lomboy: Loverboy
Coming Home by Jochen Distelmeyer (Stereo Deluxe / Warner)

Unlängst
war Jochen Distelmeyers bei Thomas Meineckes Veranstaltungsreihe
„Plattenspieler“ zu Gast und verblüffte die Zuhörenden damit,
dass er „Theme from S-Express“ von S-Express zu seinen
Lieblingsliedern zählt. Dass Distelmeyer keineswegs nur auf Bob
Dylan steht, sondern grenzüberschreitend hört, denkt und fühlt,
hatte er schon mit dem Album „Songs from the Bottom“ gezeigt, auf
dem Britney Spears‘ „Toxic“ oder „Let’s Stay Together“
von Al Green coverte. Jetzt bestückte er eine ganze Compilation mit
persönlichen Faves: Das Label Stereo Deluxe, bekannt für seine
Lounge-Sampler („Café Abstrait“), hat für die Reihe „Coming
Home“ bisher konsequent ausschließlich männliche Kuratoren
bestellt. Unter anderem durften Sven Väth, Pantha du Prince, DJ Hell
und Bands wie Tocotronic, Jazzanova und Boozoo Bajou ihre
Lieblingsmusik auf den aufwendig gestalteten Alben präsentieren.
Distelmeyer befindet sich also auf homogenem Terrain und macht das
Beste draus. Seine Zusammenstellung mäandert durch
unterschiedlichste Stilrichtungen: beginnend mit der Solinger
Ur-Punkband S.Y.P.H. streift Jochen mit Chris Gantry, Kris
Kristofferson und Blaze Foley durch Country und Folk, bounct und
tanzt mit Missy Elliot, Pharrell Williams und Young Thug, zollt
Andreas Dorau, Max Müller, Justus Köhncke und Doc Schoko Respekt
und hat mit Chastity Belt auch ein paar junge Musikerinnen im
Portfolio. Das Album endet mit Doris Days herrlicher Schnulze „Dream
A Little Dream of Me“, ein unabsichtlich passendes Farewell
für die vor wenigen Tagen verstorbene Künstlerin.
Immer wieder
schön und überraschend zu hören, worauf persönliche
Musikbiographien aufbauen – und vielleicht darf bei „Coming Home“
demnächst ja mal Christiane Rösinger ran. Oder Danielle De
Picciotto. Oder Gudrun Gut oder Ebow. Nur so eine Idee…
Video https://www.youtube.com/watch?v=0ntfEZySu1A: