Von Katja Bohnet
Quoten-Weiße. Noch nie davon gehört?
Gibt’s jetzt im Film. Ein Film, der von afroamerikanischen Menschen erzählt. Von ihrem Leben. Ein Leben, das ohne Benachteiligung nicht zu denken ist.

Die Regisseurin dieses Films heißt Melina Matsoukas. Der Film heißt „Queen und Slim“. Die amerikanische Regisseurin mit kubanischen Wurzeln, die vorher durch außergewöhnliche Musikvideos auffiel, die sie für Stars wie Beyoncé und Lady Gaga drehte. Manche Menschen sind schwarz, andere Menschen sind schwarz und Frau. Vielleicht ist es deshalb schwer, über „Queen und Slim“ zu schreiben, ohne Themen wie Rassismus und Sexismus gemeinsam zu verhandeln.
Schüsse lösen sich
Ausgangssituation dieses Films scheint ein harmloses Date zu sein. Zwei Menschen tindern, treffen sich. Sie ist Anwältin, eine Macherin. Er ist ein junger Mann mit Jobs, der eine Beziehung sucht. Schon hier macht sich das Umkehrspiel der Regisseurin mit Geschlechter-Stereotypen bemerkbar. Die schlanke, reservierte Queen weiß genau, was sie will. Slim benimmt sich unsicher, hat keinen echten Plan. Als die beiden auf dem Heimweg von einem Streifenpolizisten angehalten werden, treffen sie auf einen Ordnungshüter, der nur das Schlechteste von seinen schwarzen Mitbürgern hält. Er kontrolliert die beiden wie Schwerverbrecher. Auch ein Mindestmaß an Bildung schützt vor Rassismus nicht. Die Situation eskaliert, als Queen sich auf ihre Rechte beruft, der Rassist aber auf seiner Ordnungsmacht besteht. Ein Schuss löst sich; Queen wird getroffen. Im nachfolgenden Handgemenge erschießt ausgerechnet der friedliebende, gottesfürchtige Slim aus Notwehr den Polizisten. Eine Kamera filmt mit. Das Video geht viral.
Sich wie ein König zu fühlen
Was Matsoukas Film zu etwas Besonderem macht, ist der Mut zur Ikonisierung ihrer Figuren. Der Mut zur Ausschließlichkeit. Die Kamera begleitet Queen und Slim auf ihrer Flucht. Es sind starke Farbbilder mit Hang zum Retrohaftem eines Polaroids. Oft intime Aufnahmen von Gesichtern, Körpern. Oft weite Landschaften im Panorama, durch die diese Menschen reisen. Und so flüchten die beiden Täter zu Queens Onkel in New Orleans. Ein schräger Typ mit Hang zu schwerem Goldschmuck und auffälligen Trainingsanzügen, der seiner Nichte noch einen Gefallen schuldet. Und hier treffen sich wieder feministischer Diskurs und Erzählungen über das Leben der US-Einwohner afroamerikanischer Herkunft. Queens Onkel wird von Matsoukas als ein Krimineller inszeniert, als Zuhälter. Aber seine Frauen (Plural) sind diejenigen, die ihm sagen, wo es lang geht. Sie wissen, was sie tun müssen, damit er sich „wie ein König“ fühlt, obwohl er in der amerikanischen Gesellschaft ein Niemand, ein Straftäter, ist. Benachteiligung hat immer etwas mit Macht und ihrer ungleichen Verteilung zu tun. Von der Macht ausgeschlossen zu sein, zwingt zur Subversion.
Immer, wenn Queen und Slim auf ihrer Flucht durch Amerika wichtige Entscheidungen treffen müssen, hat Queen das Sagen. Sie kennt ihre Rechte und weiß um die Fallstricke im Kontakt mit weißen Menschen. Hier kehrt sich die Mär vom kriminellen Schwarzen und dem guten Weißen wie selbstverständlich um. Queen und Slim sind vor dem Gesetz flüchtige Kriminelle. Wem können sie noch trauen?
Lichtblick Black Community
Virtuos spielt Matsoukas auf der Klaviatur der Möglichkeiten. Nicht jeder Schwarze ist ein Freund, nicht jeder Weiße ein Feind. Wer das Finale dieses Filmes sieht, wird auch hier vom langen Atem des Feminismus umweht: Es sind nicht immer nur Männer, sondern zu oft Frauen, die der guten Sache ihrer Geschlechtsgenossinnen schaden.
Ansonsten fotografiert Matsoukas die Flucht der beiden als Stationen eines Amerikas, das den Schwarzen gehört. Diese rein afroamerikanische Community erinnert an „Black Panther“, ein Film, bei dem man Weiße nicht vermisst. Diese Orte schwarzen Lebens, schwarzer Solidarität, die trotz Rassismus und immer noch herrschender Benachteiligung fast im Verborgenen florieren, beschreibt Matsoukas. Bars, Häuser, in denen People of Color „sicher“ sind. Dieser Zusammenhalt tut gut. Sie wird zur Pflicht, wenn einige Menschen von Besitz und Bildung ausgeschlossen werden. Wenn Marginalisierung sie in die Illegalität treibt. Wenn besonders ethnische Minderheiten für Straftaten belangt werden. Solidarität fehlt in Zeiten zunehmender Zersplitterung, Geschichtsklitterung, Dämonisierung, in Zeiten immer größer werdender Kluften zwischen Arm und Reich. Aber Matsoukas thematisiert auch, wie dieser Zusammenhalt schnell in Fanatismus umschlagen kann. Wie Gewalt, auch ungewollte, neue Gewalt gebiert. Wie sie neue Unschuldige treffen muss.
Kanon und Qualität
Wer in Zusammenhang mit diesem Film die überlebensgroßen Beispiel „Bonnie und Clyde“ oder „Thelma und Louise“ erwähnt, folgt nur einem Reflex. Nur wenige Geschichten werden zum ersten Mal erzählt. Aber der Verweis drängt die Kunst der People of Color in die gleiche Ecke wie Kunst von Frauen. Die eine können nicht ohne die Zitate weißer Kultur leben, die anderen müssen sich stets an männlichen Vorbildern messen lassen. Das ist aus einer Million Gründen ungerecht. Es negiert die Tatsache, dass der Kanon, auf den wir uns in der Kunst immer wieder beziehen, ein von den Herrschenden (Alten, Weißen, Männern, alten weißen Männern …) geprägter ist. Du kannst nur zitiert werden, wenn dich jemand kennt. Du kannst nur von einer Vergangenheit erzählen, wenn es dir jemand zugesteht. Aber Kanonisierung ist nicht gleichbedeutend mit Qualität. Unter dem kritischen Blick, mit dem wir heute Kunst betrachten, findet sich unter Standardwerken viel Mittelmaß und Lücken vom den Ausmaßen ganzer Ozeane. Es bedarf also eines differenzierten Blicks, um zu erkennen, wer wann etwas als „genial“ geadelt hat und warum.

Vom Aufschauen
Man sollte sich diesen außergewöhnlichen Film ansehen. Möchte man Matsoukas etwas vorwerfen, muss man lange suchen. Die Bilder sind stark, die Dialoge griffig, manchmal mit einer direkten Steilvorlage zum Zitat. Die Musik ist packend. Dominant, allgegenwärtig, cool und hypnotisch abgemischt, stammt sie überwiegend von männlichen afroamerikanischen Musikern. Sie verleiht den Bildern „Streetcredit“, „schwarzes Lebensgefühl“. In ihrem ersten Langfilm neigt die Regisseurin zum Pathos in den „gesprochenen Gedanken“ ihrer Hauptfiguren. Da wird der Bogen manchmal überspannt. Obgleich: Wer vermag den Schmerz der anderen einzuschätzen, wenn man selbst nicht leiden muss?
Ikonographisch ist das Foto, das ein Junge, ein Fan der Flüchtenden, von den Queen und Slim vor einer Werkstatt schießt. Ein herausragendes Bild, das — so lässt uns das Ende des Filmes vermuten — noch Generationen von Menschen inspirieren wird. Auf diesem „Schnappschuss“, der auch gleichzeitig das Werbeplakat des Filmes darstellt, sitzen Queen und Slim, halb lehnen sie, an der Motorhaube eines amerikanischen Wagens. Ein Schlachtschiff. Das Auto als Allegorie auf das fahrende Heim in Amerika, das Fortkommen im Leben, auf Freiheit und Abenteuerlust. Auf diesem Foto also schaut Slim ernst, cool in die Kamera. Queen sitzt leicht erhöht, betrachtet ihn. De facto schaut Slim während des ganzen Films zu Queen auf.
„Queen und Slim“, ein Film mit komplexen Botschaften, stark in der Ästhetik, stark im Ton.
- Queen und Slim, USA 2019, Länge 133 Minuten, FSK: 12, Regie: Melina Matsoukas, Drehbuch: Lena Waithe, Kamera: Tat Radcliffe, Musik: Deventé Hynes.